Assistenz 50+

«Älter werden im Job ist eine Frage von guter Gesellschaft»

50 gilt noch immer als kritisches Alter bei der Jobsuche. Das liegt an überholten Bildern, die über Menschen dieser Altersgruppe noch immer herrschen, weiss Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Michel-Alder. Assistentinnen sind nach Ansicht der Expertin noch schlechter dran – können aber auch etwas dagegen tun.

Frau Alder-Michel; Ist es für Frauen generell schwieriger in der Arbeitswelt zu altern?
Elisabeth Alder-Michel: Jein. Frauen altern in den Augen von Vorgesetzten schneller als Männer. Sie kämpfen mit den Stereotypen über Frauen und ältere Menschen. 
 
Welche? 
Wir haben noch immer die Bilder unserer Grosseltern vor Augen und erwarten abgebaute Leute, die unbeweglich sind – geistig wie körperlich. Dabei hat sich die mentale und körperliche Fitness massiv verbessert. Forscher sagen, dass die heute 60-Jährigen so fit sind wie die 50-Jährigen 1975. 
 
Inwiefern sind Frauen dann besser dran? 
Frauen sind meist pragmatischer und flexibler bei der Jobsuche. Sie leiden weniger als Männer, wenn sie im Job an Prestige oder Status einbüssen, und definieren sich in geringerem Mass über den Beruf. Das macht sie etwas weniger verletzlich auf dem Arbeitsmarkt. Zu beobachten ist ein grosser Shift bei der Beschäftigung. 
 
Ein Shift wohin? 
Von globalisierten Grossunternehmen zu KMU, von der Stadt auf das Land, von der Privatwirtschaft in den öffentlichen Sektor. Überall dort ist das Durchschnittsalter der Mitarbeitenden höher. Auch ü50 werden da neu angestellt.
 
Von wem reden wir überhaupt, wenn wir von älteren Mitarbeitenden reden?
Ach, diese ganze Klassifizierung einzelner Altersgruppen ist irreführend. Und je nach Branche verschieden. In der Regel geht das so: Beim Berufseinstieg sind Sie ein High Poten­zial, mit spätestens 35 werden Sie zur normalen Arbeitskraft. Aber leider nur bis etwa 40, jenseits davon sind Sie schon eine ältere Arbeitskraft und gelten als nicht mehr leicht zu führen. 
 
Inwiefern?
Wir haben zu simple Belohnungssysteme: Es gibt Beförderung und mehr Geld. Damit lassen sich jüngere Leute auch tatsächlich gut steuern, die beissen dann auf die Zähne, weil sie sich vorstellen, etwas zu lernen. Irgendwann hat man seinen Karrieredeckel erreicht, die Lohnhöhe stagniert, selbstbewusste Reife macht kritischer – dann müssen sich die Vorgesetzten was einfallen lassen.  
 
Ist es für Menschen ab 50 auf dem Arbeitsmarkt so verheerend, wie oft berichtet wird? 
Jein. Die offizielle Arbeitslosigkeit ist nicht so hoch, aber neu einen Job zu finden, dauert viel länger. Für über 55-Jährige steht eine Neuanstellung in den Sternen. Arbeitnehmer ab 50 sind bei Entlassungen oft die ersten, die es trifft. Gerade wenn der Chef wechselt. Ein junger neuer Vorgesetzter schaut auf Leistungsträger in der vorhandenen Belegschaft. Die vermutet er oft in seiner eigenen Altersgruppe; mit Menschen, die seine Tanten oder Onkel sein könnten, befürchtet er Probleme und mühsame Konsenssuche. 
 
Ist das nicht menschlich?
Natürlich. Wir alle umgeben uns gern mit Menschen, die ähnlich ticken. Wir wollen schliesslich nicht alles ausdiskutieren müssen. Darum denke ich auch nicht an Boshaftigkeit, wenn sich ein neuer Chef von der alten Belegschaft trennt. Aber es ist – von aussen betrachtet – oft gedankenlos, Kompetenz missachtend und unfair. 
 
Sind Assistentinnen bei einem Chefwechsel nochmal schlechter dran als andere? 
Ich glaube ja. In der Assistenz hängt viel an der Chefbeziehung. In einer Firma, in der ich Führungsausbildungen geleitet habe, gab es den Begriff der Witwenverbrennung. Wenn ein Kadermann pensioniert wurde oder das Unternehmen verliess, wollte niemand dessen Assistentin erben. Da stand dann die Frage im Raum: Wo bringen wir die unter? Zum Teil leben Assistentinnen ja in Symbiose mit ihren Chefs, helfen deren Schwächen zu kompensieren und sind fast Teil der Familie. Ich kenne solche Figuren aus meiner Laufbahn. Die Aufopferung ist bewundernswert, aber gleichzeitig prekär. 
 
Wie kann man sich aus dieser Position retten?
Sich nicht an eine Person ketten. Ich weiss, das ist leichter gesagt als getan. Das Allerwichtigste sind regelmässige Standortbestimmungen und Wechsel – spätestens ab 45. Bilanzfragen sind: Was habe ich erfüllt, was mir erträumt, welche Kompetenzen noch nie brauchen können, was will ich noch erproben oder lernen? Daraus lassen sich die nächsten Schritte ableiten. Man geht bei der Entwicklung von Menschen von einem Siebenjahreszyklus aus. Plus minus in diesem Zeitraum macht es Sinn, sich eine neue Aufgabe zu suchen. Eine andere Umgebung wirkt wie ein Jungbrunnen, man muss sich sozial neu einordnen, neue Beziehungen knüpfen und lernt neue Zusammenhänge kennen. Idealerweise wechselt man, wenn die aktuelle Position noch stimmt, das Sprungbrett federt, nicht nach Frustrationen, wenn es schon abwärtsgeht. Wechsel heisst nicht automatisch Aufstieg; Entwicklung und Lernen gelingen auch in alternativen Geschäftsfeldern. 
 
Zum Beispiel?
Oft weitet sich im reiferen Alter das Tätigkeitsfeld. Eine Assistentin ist dann beispielweise nicht mehr nur für Administration zuständig, sondern auch für HR. Oder sie sucht sich ein neues Umfeld. Wer in einer Werbeagentur als Assistentin nicht mehr so bewundert wird, kann in einem Spital sehr geschätzt werden. Man bewegt sich hin zu einem Publikum, das besser zur eigenen Lebenssituation passt. 
 

«Frauen fällt nicht so schnell ein Zacken aus der Krone, wenn sie an Prestige verlieren.

 
Ist der Schritt in die Selbständigkeit eine Option oder sollte man den früher machen?
Die Idee, sich im Bereich Assistenz selbständig zu machen, ist prima, wenn man keine schützenden Strukturen braucht. Jeder kleine Laden, jede Kirchgemeinde, jeder Handwerksbetrieb oder IT-Supporter braucht irgendeine Form von Assistenz. Wer sich nicht scheut zu fragen, kann mit einem Portfolio ein gutes Auskommen finden. Unternehmerische Leute haben es einfacher, denn ausgeschrieben sind solche Mini-Stellen selten, man muss anklopfen. Frauen kommt zugute, dass sie keine grossen Prestigeprobleme plagen. Ihnen fällt nicht so schnell ein Zacken aus der Krone. Sie fragen nach dem Sinn des Einsatzes und wollen mit Leuten zusammenarbeiten, mit denen sie gern Umgang pflegen. Gerade reiferen Frauen ist das wichtiger als eine prestigeträchtige Tätigkeit. Älter werden im Job ist wirklich auch eine Frage von guter Gesellschaft. 
 
Was ist gut oder besser als zuvor, wenn man 50 wird?
Die Glücksforschung zeigt, dass es ab etwa 50 mit der eigenen Zufriedenheit aufwärtsgeht. 
 
Was passiert vorher? 
Mit etwa 40 Jahren findet bei vielen Menschen eine Realitätsanpassung statt. Der Optimismus vom Anfang des Berufslebens, die Zeit in der wir vor allem Potenziale sehen und uns viel zutrauen, ist vorbei. Wir erfahren die Grenzen unserer Möglichkeiten, erleben Enttäuschungen und Unfairness in der Arbeitswelt. Der Abschied von Idealen tut weh und lässt uns zweifeln.
 
Wie kommen wir da wieder raus?
Indem wir unsere Erwartungen an uns und die Umwelt anpassen. Wir wissen nun, dass es keinen nur Glück bescherenden Arbeitsplatz gibt und auch die vermeintlich tollen Unternehmen nur mit Wasser kochen. Wir hören auf, Phantomen nachzujagen und werden in anderen Dimensionen anspruchsvoll.  
 
Was kann man denn für die Arbeitnehmer über 50 tun? 
Meiner Meinung nach gibt es zu wenig spezifische Weiterbildungsangebote für diese Zielgruppe. Es gibt Kurse auf Führungsebene, solche, die auf Aufstieg zielen, es gibt Computertechnik- oder Sprachkurse. Was fehlt, sind Qualifizierungen für einen Umstieg in andere Tätigkeiten, sogenannte Mid-Career-Programs. Heute sackt die Weiterbildungsbeteiligung  ab 45 massiv ab. 70 Prozent der Menschen in diesem Alter besuchen keinen einzigen Schulungstag, weil Lernangebote fehlen, die an Erfahrungen anknüpfen und neue Berufsmöglichkeiten erschliessen. 
 
Wofür braucht es Mid-Career-Programs? 
Für die zweite oder dritte Berufswahl. Wer einmal ein KV absolviert hat, verfügt über mehrere Möglichkeiten und kann sich mit ein paar gezielten Blöcken Weiterbildung für eine neue Aufgabe fit machen. Eine Mutter, die lange Teilzeit gearbeitet hat, braucht vielleicht ein paar Module Weiterbildung, um attraktiv für den gewünschten Vollzeitjob zu sein. In den USA und in Deutschland gibt es solche Chancen.
 
 
Warum machen Unternehmen das hierzulande nicht?
Das ist ein Problem des liberalen Schweizer Arbeitsmarkts, man rekrutiert international und spart Bildungskosten. Das finde ich solange okay, als das öffentliche Bildungs­system entsprechende Ressourcen bereitstellt. 
 
Ist es denn nicht die Aufgabe jedes Einzelnen, dafür zu sorgen, fit für den Arbeitsmarkt zu bleiben? 
Ich verstehe nicht, wieso Arbeitsmarktfähigkeit eine individuelle Managementaufgabe sein könnte. Um zu beurteilen, ob man ausserhalb des eigenen Jobs arbeitsmarktfähig ist, bräuchte es Expertenkenntnis des künftigen Arbeitsmarkts. Voraussetzung ist auch eine gute Selbstbeurteilung, speziell von Potenzialen, und ein korrigierender Blick auf Über- und Unterschätzung. Um mich gezielt weiterzubilden und Lücken zu schliessen, brauch ich obendrein genaue Kenntnis der Bildungslandschaft. Employability in die Hände des Einzelnen zu überantworten, ist gedankenlos und fahrlässig. 
 

«Employability in die Hände des Einzelnen zu überantworten, ist gedankenlos und fahrlässig.»

 
Zurück zu den Stereotypen: Sind die Bilder über 50-Jährige wirklich völlig aus der Luft gegriffen? 
Weitenteils. Nehmen wir den Vorwurf der Digial Illiteracy. Heute 50-Jährige haben in den letzten 20 Jahren gelernt, mit PC und Smartphone umzugehen.
 
Wie sieht es mit dem Thema Krankheit und Absenzen aus? 
Rund zehn Prozent aller Arbeitskräfte werden vor Mitte 60 schwer krank. Aber im Durchschnitt haben ältere Mitarbeitende nicht mehr Absenztage als jüngere. Diese produzieren mehr kürzere Fehlzeiten, durch Unfälle, Militär, Hangover oder kranke Kinder. Was sich ver­ändert, sind chronische Krankheiten wie Rückenbeschwerden und Motivation. Gut möglich, dass über 50-Jährige langsamer lernen; doch sie sind zielorientierter und machen weniger Umwege. 
 
Ein Ratschlag zum Schluss … 
Wichtig sind Humor und Distanz zu sich selbst. Wer als Mitarbeiterin ü50 will, dass sich die Jungen für sie interessieren, darf keine Geschichten von früher erzählen, sondern muss sich für die Jüngeren als hilfreich und nützlich erweisen. 
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Stefanie Zeng ist Online Redaktorin bei Miss Moneypenny. 

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