Herr Nieth, Sie haben ein Buch über das Jammern geschrieben. Was fasziniert an diesem Thema?
Jammern ist in unseren Breitengraden allgegenwärtig und die Menschen verstehen oft nicht, wie sie sich selbst schaden, wenn sie oft jammern. Für mich ist das ein Thema, das man mit ein bisschen Übung selbst sehr gut in den Griff bekommt, und dabei möchte ich helfen.
Warum jammern Menschen überhaupt?
Ein Baby klagt, wenn es Hunger oder Durst hat. Später lernt es, dass es Aufmerksamkeit bekommt, wenn es klagt, und dann imitiert es die Klagelaute. Das ist dann Jammern.
Klagen und Jammern sind also zwei unterschiedliche Dinge?
Absolut. Klagen hat seine Berechtigung. Menschen passieren unangenehme Dinge und es ist völlig in Ordnung, darüber zu klagen. Klagen hat Platz, auch Kritik hat Platz.
Wo fängt bei Erwachsenen das Jammern an?
Kennen Sie diese Leute, bei denen immer alles schiefgeht? Immer schlechtes Wetter in den Ferien, immer bei der Gehaltserhöhung übergangen und im Stau stehen diese armen Menschen auch immer ... Jammern fängt für mich da an, wo die Unzufriedenheit auf die Rahmenbedingungen geschoben wird.
Was sagt es über Menschen aus, die jammern?
Für mich sind das Menschen, die lieber im Status quo verharren, als etwas zu ändern, und keine Verantwortung für ihre Probleme übernehmen. Zumeist sind das ängstliche Menschen, die ihre Komfortzone lieber nicht verlassen möchten. Interessanterweise ist Jammern ein Phänomen der westlichen Welt.
Schadet uns Jammern denn?
Ich finde ja. Stellen Sie sich eine Gruppe von Frauen vor, die zum Beispiel gerade ein Pause machen. Eine sagt: «Was für ein schöner Herbsttag.» Und dann wirft eine andere ein: «Aber am Wochenende kommt’s wieder regnen. Immer am Wochenende ist es nicht schön.» Dann fokussieren alle auf das Negative und kommen schön in eine Abwärtsspirale.
Jammern steckt also an?
Und wie!
Was würden Sie der Jammer-Frau sagen?
Dazu habe ich ein schönes Beispiel. Ich habe einmal einen Brasilianer im Auto mitgenommen, der per Autostopp unterwegs war. Es hat geregnet. Dann habe ich, in gewohnter Manier, mit Jammern über das Wetter angefangen. Er hat einfach gesagt: «Wasser ist Leben, es ist wichtig.» Und so weiter. Da ist mir ein Licht aufgegangen. Dieser Mann hat das Wetter in einen anderen Kontext gesetzt und konnte ihm so etwas Positives abgewinnen.