Portrait

Bloss kein Stillstand

Buchautor, Musikredaktor, Theaterschauspieler und ein anspruchsvoller Job als Assistent des Leiters HR bei den SBB: Bei Roger Mauerhofer muss immer etwas laufen. Wenn ihn eine Idee packt, setzt er sie meist auch um – und reisst dabei auch seine Mitmenschen mit.

Manchmal steht Roger Mauerhofer auf der Bühne und ist sehr böse. Er schreit dann, er flucht, er tötet. Auf der Bühne kann er aus­leben, was immer er will. Er kann die «Breite des Menschseins leben», wie er sagt, sich ausreizen, das Leben ausreizen, die eigenen Grenzen und Möglichkeiten. «Wenn ich vor 400 Leuten spiele, die Hauptrolle in einem Freilichtspiel, und mein Puls in die Höhe schiesst, dann blühe ich auf.» Als Liebhaber, als Ganove. So anders als im Berufsleben, im Privaten. «Privat versuche ich, nicht anzu­ecken, ich bin ein Harmonie-Junkie», sagt der 39-Jährige. Und damit sei er immer gut gefahren. «Die ganzen Möglichkeiten, die ich auch in meinem Job hatte, die hätte ich sicher nicht erhalten, wenn mich die Leute nicht ­mögen würden.» Überhaupt komme man viel weiter, wenn man den Leuten mit Respekt begegne. Nun ist er seit drei Jahren der persönliche Assistent von Markus Jordi, Leiter HR und Mitglied der Konzernleitung bei den SBB. Obwohl er bis vor wenigen Jahren gar keine Ausbildung zum Assistenten hatte.
 
Mauerhofer ist ein SBB-Kind, als das kann man ihn wohl bezeichnen, nach über 20 Jahren bei diesem Betrieb. Er kommt bereits 1993 zu den SBB, als Lehrling Bahn­be­triebsdisponent. Frachtbriefe schicken, Billette ausstellen, Auskünfte geben, Züge ab­fertigen. Der Kontakt mit den Kunden gefällt ihm, die verschiedenen Aufgaben. Er war in Konolfingen, Murgenthal, Rothrist, Solothurn, Zäziwil, Beinwil am See. 1997 wechselt Mauerhofer auf die damalige General­direktion und ist ab 1999 im Account Mana­gement der SBB Informatik tätig. Er glaubt, diese lange Treue gegenüber den SBB habe ihm geholfen, dorthin zu kommen, wo er heute sei. «Weil man mit der Zeit ein Netzwerk aufbaut und die Leute kennt. Ich habe hier einige meiner besten Freunde kennengelernt.» 
 

Zur Person

Roger Mauerhofer (39) wohnt in Münsingen im Kanton Bern. Nach der Lehre als Bahnbetriebsdisponent bei der SBB AG arbeitete er in der damaligen SBB-Generaldirektion sowie lange Zeit bei der SBB Informatik im Account Management. Im Alter von 30 Jahren wechselte er die Branche und wurde Musikredaktor bei den Nonstop-Musikprogrammen «Radio Swiss Pop» sowie «Radio Swiss Jazz» von Radio SRF. Vier Jahre später kehrte er zur SBB AG zurück und wurde Assis­tent der Leiterin SAP CCC. 2012 schloss er die Weiterbildung zum Direktionsassistenten mit eidg. Fachausweis ab. Seit September 2013 arbeitet Roger Mauerhofer als persönlicher Assistent von Markus Jordi, Leiter Human Resources der SBB AG und Mitglied der Konzernleitung. Sein Arbeitsort ist Bern.

 
So sehr Mauerhofer treu sein kann, so sehr reizen ihn manchmal auch die kleinen und grossen Ausreisser, neue Pfade, eine frische Brise. Mit 30 Jahren kribbelt es ihm plötzlich in den Fingern, er hat eine Leidenschaft für Musik, hört gerne Platten, spielt Gitarre, da kommt es ihm in den Sinn: Radio machen, bei Radio Swiss Pop, das wär’s. Ohne Kontakte in die Medienbranche, aber mit Mut und einem klaren Ziel ruft er in die Redaktion an und verlangt den Produktionsleiter. Habt ihr eine Stelle? Ein paar Mal hört er ein Nein, irgendwann sagt Mauerhofer: Ich komme auch gratis. «Der Chef ist wohl eingebrochen», lacht er dann lachend und nicht ohne Stolz: «Ich konnte dann ein Praktikum machen, zwei Tage die Woche Radio in Bern, drei Tage SBB, ein Jahr lang.» Er liebt seine neue Arbeit, neue Musik spielen, die Interviews mit den Stars. Mauerhofer verlässt die SBB, wird Musikredaktor. 
 
 

Ein Job mit Einblick

Bis die Medienkrise auch sein Umfeld einholt. Mauerhofer steigt weiter auf seine Theaterbühnen, spielt sich die Seele aus dem Leib. Eine Kollegin aus SBB-Zeiten sieht ihn spielen, sie kommen ins Gespräch. Er sagt: «Beim Radio, da geht die Tür zu.» Und sie meint: «Dann komm doch zu uns, als mein neuer Assistent.» 2010 ist Roger Mauerhofer zurück bei der SBB, in seinem ersten Assistenz-Job, ohne Vorbildung, aber mit viel Enthusiasmus. «Assistent sein, das hat mich schon immer gereizt, die Fäden im Hintergrund zu ziehen, der Einblick in die Chefetagen.» Er mag das Menschliche an seiner Arbeit, aber auch an seinem Betrieb. Seine Vorgesetzten hätten immer Respekt vor seinen Hobbys gehabt, ihm immer alle Freiheiten gelassen, sich neben dem Job zu verwirklichen. Das sei nicht selbstverständlich, sagt Mauerhofer. Denn: Das Pensum ist nicht ohne. Sind Aufführun­gen, steht er teilweise bis zu 24 Mal im Monat auf der Bühne, davor finden über Monate Proben statt, mehrmals pro Woche. 
 
 
 
Das Scheinwerferlicht, das er in seinen Theaterrollen so mag, braucht er im Job aber nicht. «Ich bin zufrieden mit meiner Beta-Tierchen-Rolle im Job», sagt Mauerhofer. «Aber ich bin überzeugt, dass in jedem Menschen eine Rampensau steckt», sagt er dann und lacht. Nur, wie man das auslebe, sei eben individuell. Er möge beides, das Im-Mittelpunkt-Stehen, aber auch das Zudienen. «Ich bin gar nicht der Meinung, dass ein guter Assistent eine Frau sein muss», das habe mit dem Geschlecht nichts zu tun. In den Augen Mauerhofers liegt die Tatsache, dass vor allem Frauen Assis­tenz-Jobs machen, in der Geschichte der Funktion begründet – in derjenigen der Vorzimmerdamen. «Viele ­haben noch immer dieses Bild im Kopf, dass eine Assistentin weiblich sein muss.» Manchmal komme es vor, dass Leute auf ein E-Mail automatisch mit «Guten Tag, Frau Mauerhofer» antworten, weil sie den männlichen Vornamen einfach überlesen. Oder, dass der Assistent Gäste beim Empfang des SBB-Hauptsitzes in Bern abholt und diese ganz überrascht sagen: «Sie sind ja ein Mann!» Das sieht er aber ganz gelassen. «Ich überlege mir im Alltag gar nicht, ob ich gerade den Job einer Frau mache», sagt Mauerhofer. «Vielleicht ist das bei mir tatsächlich ein wenig anders als bei einigen weiblichen Kolleginnen: Ich definiere mich nicht über die Position meines Chefs.» Er sei da vielleicht ein bisschen sachlicher.
 

 

Auftritt vor Bundesräten

Wenn es um seine Musik geht, ist Mauerhofer nicht mehr sachlich, dann ist er Feuer und Flamme. Seine Mutter sagte ihm einmal: «Wenn ich meine Ruhe wollte, dann musste ich dir eine Schallplatte auflegen und das ­Cover in die Hand drücken.» Wird sein musi­kalischer Gwunder geweckt, scheut er sich auch nicht, seine Lieblingsband aus der Kindheit anzurufen und sie zu fragen, wie es ihr so gehe. Als Kind hörte er dieses Lied rauf und runter: «Liebe für ein ganzes Leben», gesungen von den Calimeros. Mauerhofer fragte sich: Was ist aus dieser Band geworden, die meine Kindheit so prägte? Also rief er bei ­Roland Eberhart an, dem Sänger bei den ­Calimeros, in sein Büro in Uetendorf. Ich sagte: Ich habe deine ­Musik so gern gehört, was ist aus euch geworden?» Eberhart erzählte. Und Mauerhofer sagte irgendwann: Man könnte doch ein ­Buch über euch machen, oder? 
 

Ausser Dienst

Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Meine erste Hauptrolle im Theater
Das hat mich geprägt: Meine Herkunft / Familie
Das bringt mich zum Staunen: Die Stadt New York
Das macht mich nachdenklich: Ungerechtigkeit
Das möchte ich gerne noch lernen: Piano spielen
Diese Person würde ich gern kennenlernen: Per Gessle (schwedischer Songwriter und männlicher Part des Duos Roxette)

 
Ein paar Monate später sass Mauerhofer bei Roland Eberhart auf dem Sofa und nahm die ersten Interviewfetzen auf für eine Biografie über seine Jugendidole. Obwohl er keine Ahnung vom Bücherschreiben hatte, und überhaupt. «Vielleicht, weil ich seine Diskografie besser kannte als er selbst», meint ­Mauerhofer lachend. Und weil man sich wohl auch menschlich so gut verstanden habe, von Anfang an. Seit ein paar Monaten liegt das Buch nun im Handel, die erste Biografie der Calimeros überhaupt. «Ich bin stolz auf dieses Buch, damit schliesst sich ein Kreis für mich», sagt Mauerhofer. «Das ist schliesslich die erfolgreichste Schlagerband der Schweiz! Und ich habe ihre Biografie geschrieben!» Nächstes Jahr, wie könnte es anders sein, nimmt Roger Mauerhofer eine Weiterbildung in Angriff, ­einen Master in General Management. Stillstehen, das wäre nichts für ihn. «Ich brauche neben dem Job etwas, das mich antreibt, mich zieht», sagt er. «Sonst würde ich wohl lethargisch, ein Couch-Potato.» In den Überdruss kommen, das wäre aber auch nichts für ihn, «jede Woche Fussballtraining, für den Rest meines Lebens, das wäre nichts für mich», dann lieber ein halbes Jahr intensive Proben, und dann wieder ein halbes Jahr ­Pause.
 
Roger Mauerhofer hat schon viele Stücke gespielt, in seinem Leben und auf vielen Büh­nen. Er habe sogar schon vor Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga gespielt, sagt er nicht ohne Stolz. Seine Familie komme an jede Aufführung. Im Herzen sei er Emmentaler, sagt Mauerhofer, der seit rund zehn Jahren in Mün­singen im Kanton Bern wohnt, «das kriegt niemand aus mir raus». Sein letztes Freilichtstück hat er im Sommer 2015 gespielt, die Rolle des Jörg Zollinger im Stück «Sturmzyte» von Ueli Remund. Das ganze HR-Leitungs­gremium der SBB ist ins Emmental gefahren, um ihn spielen zu sehen. «Wenn meine Kollegen zuschauen, bin ich noch ein bisschen nervöser als sonst.» 
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