Interview mit Sandra Jauslin

«Die Quote dient für mich nur als Chancenbeschleuniger»

Im vergangenen Jahr waren in Schweizer Unternehmen nur 22 Prozent der Top-Führungspositionen von Frauen besetzt. Das beschäftigt Sandra Jauslin, die sich als Co-Präsidentin von BPW Switzerland für die Interessen von berufstätigen Frauen einsetzt. Sie spricht über die Gründe dieses Missstandes und erklärt, was sich künftig ändern muss.

Wie würden Sie die gegenwärtige Situation von Frauen in Führungspositionen in der Schweiz beschreiben?
Sandra Jauslin: Durch die derzeitigen Rahmenbedingungen wie beispielsweise fehlende Elternzeit oder finanziell attraktive Kindertagesstätten sind Frauen, die vorzugsweise in Teilzeit arbeiten, weniger in Führungspositionen vorzufinden. Und wenn, dann befinden sie sich im mittleren Kader. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich Frauen Funktionen in Geschäftsleitungen oder Verwaltungsräten weniger zutrauen beziehungsweise weniger von den jeweiligen Entscheidungsgremien in Erwägung gezogen werden. Im obersten Kader beträgt der Frauenanteil lediglich 22 Prozent.

Welche Hindernisse sehen Sie für Frauen beim beruflichen Aufstieg?
Dass sich Frauen oft unter Wert verkaufen, sich mit dem Lohn zu wenig intensiv auseinandersetzen oder keine klare Karriereplanung ansteuern. Deshalb sollten sie frühestmöglich ein Netzwerk aufbauen und sich über die finanziellen Grundlagen informieren (zum Beispiel über die Vorsorge).

Helfen Frauenquoten wirklich, die Chancen von Frauen zu verbessern?
Es ist ein Weg, damit sich Frauen trauen und sich Männer damit auseinandersetzen müssen. Positive Erfahrungsberichte (finanziell, strategisch und auf Mitarbeitendenebene) von vorbildlichen Frauen in Führungsfunktionen steuern dazu bei, dass man in naher Zukunft nicht mehr über Quoten spricht, sodass der diverse Einsatz in den oberen Führungsetagen selbstverständlich wird. Der allseitige Mehrwert muss präsent sein. Die Quote dient für mich nur als Chancenbeschleuniger für die Sicht- und Erlebbarkeit.

Gibt es Ihrer Meinung nach «typisch weibliche» und «typisch männliche» Führungseigenschaften?
Generell ist es eine Frage der Persönlichkeit und ob man Menschen mag. Die weibliche Intuition – rein biologisch und historisch bedingt – steuert mehr auf das Miteinander und fördert kollaborative Arbeitsweisen. Frauen werden meist als mitfühlend und diplomatisch mit mehr Empathie wahrgenommen. Weiter attestiert man Frauen, dass sie schwierige Problemstellungen menschlich lösen. Eigenschaften, die in der heutigen Arbeitswelt notwendig sind.

Aus Ihrer Sicht, welche Hauptfaktoren tragen in der Schweiz zur Lohnungleichheit bei?
Berufswahl, Familienplanung und Rahmenbedingungen, Teilzeitarbeit, Lohnverhandlung, Transparenz, Netzwerke und Vorbilder, privat wie auch im Ausbildungs- und Berufsleben.

Und was können betroffene Frauen dagegen tun?
Sich rechtzeitig erkundigen, sich ein Netzwerk aufbauen, selbst Frauen unterstützen, sich in Politik und Wirtschaft einsetzen, sich Gehör verschaffen, eigene Möglichkeiten eruieren und Machbares klar umsetzen. Lohn verhandeln, den eigenen Wert kennen, Mut haben, sich für andere Funktionen zu interessieren, zu bewerben und auszuprobieren. Mit der Partnerin oder dem Partner über die Situation (Familienplanung) sprechen und als Team auftreten. Ist man als Frau in einer Führungsfunktion, so sollte man auch Frauen fördern sowie ein Vorbild sein.

Business and Professional Women Switzerland (BPW)

setzt sich seit 75 Jahren für die Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Beteiligung von Frauen in der Schweiz ein. Der Verband organisiert jährlich den «Equal Pay Day» in der Schweiz und führt 40 Clubs in sämtlichen Sprachregionen, um berufstätige Frauen zu unterstützen und zu fördern.
bpw.ch
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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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