Gesundheit

Die ungesunde Entspannung

Mit seinem Buch «Nüchtern» schildert der deutsche Journalist Daniel Schreiber sehr eindrücklich und persönlich seinen Weg aus der Alkoholabhängigkeit. Er warnt, dass der Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft auf gefährliche Art verharmlost und toleriert wird – oft auch im beruflichen Kontext.

Es gibt nicht mehr viele Tabus in unserer Gesellschaft. Alkoholsucht sei eines der letzten,  sagt Daniel Schreiber. Er weiss, wovon er spricht. Der 37-jährige Journalist hat lange selbst zu viel getrunken. Nun hat 
er ein Buch geschrieben, das in seiner ehrlichen, ruhigen Art aufrüttelt und zum Nachdenken anregt. «Nüchtern» beschreibt Varianten des Selbstbetrugs, Gefühle der Scham aber auch die Art, wie wir als Gesellschaft zu leichtsinnig mit Alkohol umgehen und trotzdem diejenigen ausgrenzen, die krank davon werden. Die Sucht nämlich, zeigt Schreiber auf, ist eine Krankheit, an der mehr Menschen leiden, als den meisten bewusst ist.

Auch der aktuelle Suchtmonitoring-Bericht, der repräsentative Daten der Schweizer Bevölkerung zum Thema Sucht liefert, spricht eine deutliche Sprache: Gut ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren konsumierte im Jahr 2013 risikoreich Alkohol. Miss Moneypenny hat mit Dominique Schönenberger von der Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme (ZFA) gesprochen.

Frau Schönenberger, der deutsche Autor Daniel Schreiber sagt in seinem Buch, Alkoholismus sei eine Volkskrankheit und so weit verbreitet wie Diabetes. Stimmen Sie dem für die Schweiz auch zu?

Dominique Schönenberger: Ja, das stimmt sicher auch für die Schweiz. Es gibt eine riesige Dunkelziffer von Menschen mit Alkoholproblemen. Die wenigsten Alkoholiker leben auf der Strasse mit einer Schnapsflasche in der Hand, wie manche sich das vorstellen. Viele Alkoholiker, vor allem im Anfangsstadion, fallen nicht auf. Sie arbeiten und sind sozial eingebunden.

Ab welcher Menge Alkohol ist jemand gefährdet, in die Sucht abzurutschen? Ist ein Feierabendbier problematisch?

Das ist schwierig zu sagen und lässt sich nicht verallgemeinern. Meist kommt die Sucht schleichend und kann durchaus mit einem täglichen Bier beginnen. Wenn jemand jeden Abend eine Stange braucht, um sich entspannen zu können, spricht man per Definition bereits von einer Abhängigkeit. Die Regel besagt, dass man mindestens an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in der Woche nüchtern sein sollte, um eine Gewöhnung zu vermeiden. Die Gewöhnung, die sich durch eine Veränderung im Gehirn manifestiert, darf man nicht unterschätzen. Ist es einmal soweit, verlangt der Körper immer wieder nach Alkohol.

Wann würden Sie denn von einem gesunden Umgang mit Alkohol sprechen?

Wenn man auch einmal Nein sagen kann. Es gibt Situationen, in denen es einfach nicht angebracht ist, zu trinken. Zum Beispiel, wenn man nachher mit dem Auto nach Hause fährt. In solchen Momenten sollte man sich selber im Griff haben und verzichten können.

Auch im geschäftlichen Umfeld ist ein Zuviel an Alkohol nicht angebracht – könnte man meinen. Daniel Schreiber hat aber eine grosse Toleranz beobachtet. Unsere Kultur des Trinkens und unsere Kultur des Arbeitens seien eng miteinander verknüpft. Wer nüchtern bleibt, müsse sich oft rechtfertigen und unter Umständen mühsame Kommentare anhören. Schreiber widmet dem Thema Arbeiten und Trinken ein ganzes Kapitel. Stress und Alkoholkonsum gehen Hand in Hand, ist er überzeugt: «Die Stressgesellschaft mit ihrem Erfolgs- und Selbstoptimierungsdruck ist zum grossen Teil auf die kollektive Entlastungswirkung angewiesen, die das Trinken mit sich bringt.»

Das Buch zum Thema

Daniel Schreiber: Nüchtern. Über das Trinken und das Glück. Hanser Verlag Berlin, 160 Seiten.

Was beobachten Sie in der ZFA in den Beratungen, welche Rolle spielt Stress bei Alkoholabhängigen?

Die Stressbewältigung ist ein grosses Thema. Die Welt sieht oft nicht mehr ganz so schlimm aus, wenn man etwas getrunken hat. Studien beweisen, dass Menschen in Krisenzeiten eher zu Medikamenten und Alkohol greifen. Im Gegensatz zu Medikamenten schmeckt Alkohol gut. Es ist angenehm, Wein zu trinken. Man redet sich ein, sich etwas Gutes zu tun, etwas für das Gemüt. Das ist problematisch.

Welche Rolle spielt das berufliche Umfeld? Gehen wir davon aus, Geschäftsessen und Feierabenddrinks nehmen zu: Machen Sie uns, überspitzt gesagt, zu Trinkern, weil wir aus Zusammengehörigkeitsgefühl, aus Repräsentationsgründen oder einfach um akzeptiert zu werden, nicht Nein sagen zu Alkohol?

Man weiss, dass viele Politiker Alkoholprobleme haben, weil sie ständig an Apéros und Veranstaltungen sind, wo Alkohol ausgeschenkt wird. Sie trinken immer ein Glas mit und gewöhnen sich daran. Die beste Prävention ist, wenn gar kein Alkohol verfügbar ist. Das beweisen verschiedene Studien. Aber Alkohol ist bei uns rund um die Uhr erhältlich und gehört an vielen Anlässen dazu. Das macht es schwer für Leute, die einen problematischen Umgang mit Alkohol haben.

Sollte man als Veranstalter also besser gar keinen Alkohol auftischen?

Nein, totaler Verzicht ist nicht unser Credo. Alkohol darf aufgetischt werden. Aber es sollte auch genussvolle Alternativen geben. Eine schöne alkoholfreie Früchtebowle zum Beispiel.

Was kann ich als Veranstalter dazu beitragen, dass an einem Businessevent nicht zu viel getrunken wird?

Mit guten Alternativen zum üblichen Prosecco. Es nützt auch oft, wenn die Gäste sich nicht selber bedienen können, sondern Aussenstehende ausschenken. Diese können bei einem kritischen Fall vielleicht auch einmal ein Glas Wasser vorschlagen, statt gleich wieder Wein nachzuschenken.

Ist das nicht zu bevormundend?

Es ist heikel, das stimmt. Aber mit etwas Feingefühl ist es oft möglich. Zudem muss man Menschen manchmal vor sich selbst schützen. Betrunkene werden aggressiv und verlieren die Hemmung. Im beruflichen Umfeld kann das unglaublich peinlich werden. Am Tag darauf ist der Betroffene vielleicht dankbar, dass ihn jemand gewarnt hat.

Was soll ich tun, wenn ich merke, dass jemand aus meinem Team einen problematischen Umgang mit Alkohol hat?

Bei einem Verdacht ist es wichtig, die betroffene Person anzusprechen. Grundsätzlich ist das Aufgabe des Vorgesetzten oder des HR. Wenn Sie die Person also nicht persönlich ansprechen möchten, geben Sie es weiter. Meist muss ein gewisser Druck aufgebaut werden mit schriftlichen Vereinbarungen und Fristen. Hält sich die betroffene Person nicht daran, kann ihr auch gekündigt werden. Auf keinen Fall sollte das Problem ignoriert werden. Letztlich wird der Person geholfen, wenn sie darauf angesprochen wird. Viele Betroffene wissen, dass sie ein Problem haben, können aber nicht handeln. Manche sind richtig erleichtert, wenn jemand auf sie zukommt. Die ZFA bietet ein kostenloses Erstgespräch und Beratungen für Betroffene und Angehörige an. Zudem macht sie Coachings, Schulungen und Referate für Firmen (zfa.ch).

Daniel Schreiber ist seit mehr als drei Jahren trocken. Die Abhängigkeit, schreibt er aber, sei eine Krankheit, ihre neurologischen Codes blieben ein Leben lang erhalten.

Stilvolle Alternativen

Wer an einem Apéro auf Alkohol verzichten will, muss oft auch gleich dem Genuss entsagen. Ohne Lust auf Promille muss man sich meist mit überzuckertem, billigem Orangensaft aus Konzentrat oder Wasser begnügen. Stil beweist, wer auch für diejenigen, die keinen Alkohol trinken möchten, ein kreatives Angebot bereit stellt. An Alternativen mangelt es nicht: ob eine schöne Früchtebowle, alkoholfreies Bier oder Apéro-Getränke wie Chinotto. Eine kleine Auswahl:

  • 
Der Schaumwein Troepfel aus dem Thurgau besteht aus Trauben und Äpfeln, entweder in der Brut-Variante, rosé perlend oder demi-sec – in jedem Fall ohne Alkohol und mit viel Geschmack. troepfel.ch
  • 
Auch Säfte können toll schmecken, wenn sie frisch gemacht sind und kreativ gemischt werden, wie das zum Beispiel Zamba oder Traktor machen. zamba.ch / traktorgetraenke.ch
  • 
Coole Eistees, die mit trockenen Beutelchen und Wollsocken gar nichts gemeinsam haben, gibt es von Yootea, ChariTea, Makoto, Tango-Tee, Club-Mate
  • 
Bio-Limo schmeckt gut und ist gut fürs Gewissen. Probieren Sie einmal BioZisch, Gazosa, Bionade
  • 
Weniger süss dafür fein-herb: Chinotto
  • 
Einfach, aber wirkungsvoll: Sirup! Die Marke Haltbarmacherei macht vor, wie toller Sirup schmeckt haltbarmacherei.ch

(Bezugsquelle ausser Troepfel: intercomestibles.ch)

 

Kommentieren 0 Kommentare
Weitere Artikel von Stefanie Schnelli
Log in to post a comment.

KOMMENTARE

ADD COMMENT