Virtuelle Zusammenarbeit

Direkter Draht trotz langer Leitung

Der Chef sitzt in London, New York oder Paris. Oder er hat gar kein festes Büro, weil er dauernd unterwegs ist. Wer seinen Chef selten oder nie zu Gesicht bekommt, arbeitet unter besonderen Bedingungen. Was braucht es, damit es trotzdem passt? 

Das Wort «Vorzimmerdame» trifft den Nagel immer seltener auf den Kopf. Schon von den Wortbestandteilen her. Was, wenn es hinter dem Vorzimmer gar kein weiteres Zimmer gibt? Weil der Chef keins braucht, sondern die meiste Zeit in Sitzungszimmern oder gar in einer anderen Stadt, einem anderen Land oder auf einem anderen Kontinent arbeitet? Eine solche Konstellation ist nicht jedermanns Sache und es braucht ein paar besondere Eigenschaften, damit eine solche «Fernbeziehung» erfolgreich ist.

Das Thema Zusammenarbeit über Distanz taucht in der Arbeit von Marit Zenk immer wieder auf. Unter dem Namen DIE MAC arbeitet sie als Beraterin für die Assistenz - und wird auch gerufen, wenn es nicht ganz so rund läuft. «Damit die Zusammenarbeit auch aus der Ferne funktioniert, braucht eine Assistenz bestimmte Eigenschaften», so Zenk. «Manche Menschen brauchen eine Art Geländer, an dem sie sich im Arbeitsalltag orientieren können und viel Lob. Für so jemanden ist es besonders herausfordernd, wenn sie den Chef nicht regelmässig zu Gesicht bekommt. So ein Job funktioniert nur, wenn die Assistenz viel Eigenverantwortung übernimmt und stark intrinsisch, also von innen heraus, motiviert ist.»

Denn dadurch, dass der Chef selten oder gar nicht präsent sei, fehle nun einmal der nonverbale Teil der Kommunikation. Im Face-to-Face kann bereits ein Nicken oder eine hochgezogene Augenbraue viele Antworten liefern. «Wenn man sich hingegen nicht sieht, ist es ratsam sicherzustellen, dass alle Informationen angekommen sind, beispielsweise indem man noch einmal zusammenfasst, was man verstanden hat.

«Assistentinnen sind die Seismografen ihrer Chefs.»

Auch hilfreich: statt mit dem Kopf zu nicken kurz zu sagen «ja, alles klar». Der Umkehrschluss, dass Körpersprache beim Telefonieren keine Rolle spielt, ist trotzdem falsch. «Wer sich zurücklehnt und die Füsse auf den Tisch legt, tönt einfach weniger dynamisch als Menschen, die aufrecht sitzen oder gar stehen. Das hört man am anderen Ende», weiss Zenk. Immer wieder begegnet ihr im Coaching die Sorge von Assistentinnen, ihren Chef zu stören. Marit Zenk hat dafür nur eine Antwort: «Sie sind dafür eingestellt worden, dass sie ihn stören. Sie machen seine Termine und begleiten ihn durch den Tag, damit er sein Pensum schafft. Wenn er das allein könnte, bräuchte er ja keine Assistentin.» Die Bedenken, den Chef zu stören, führten oft dazu, dass Assistentinnen ihren Chefs lieber E-Mails schreiben, als ihn anzurufen. «Das ist kontraproduktiv. Schliesslich soll der Chef entlastet werden. Ein Bombardement mit vielen E-Mails bewirkt aber das Gegenteil», so Zenk. «Wenn Sie einen Sachverhalt wirklich nicht allein entscheiden können, greifen Sie bitte zum Hörer. Das lässt sich im persönlichen Gespräch meist schneller klären und fördert ihr Miteinander.»

Doch nicht nur die Zusammenarbeit mit dem Chef ist in Zenks Coachings ein Thema. Sie spricht mit ihren Kunden auch über deren Rolle als Sprachrohr des Chefs. «Assistentinnen sollten Seismografen für ihre Chefs sein und wissen, wo das nächste Beben droht, wo die Stimmung gerade kippt und wo sich der Chef mal wieder persönlich zeigen sollte.» Ohne Vertrauensperson an der Basis ist es für Chefs, die viel unterwegs sind, sehr schwer, den Kontakt zu halten. Besonders jüngere Chefs hätten zunehmend das Gefühl, auch ohne Assistentin zurechtzukommen. «Die haben Spass an der Technik und erledigen tatsächlich vieles allein. Doch sie übersehen dabei den Faktor Empathie und die Rolle der Assistenz als Bindeglied zwischen ihm und seinen Mitarbeitern», so Zenk. «Ich denke da an eine Firma, die alle Assistenzen  abgeschafft hat. Das Resultat: Eine der ehemaligen mit neuem Jobtitel macht heute immer wieder Assistenzarbeit», so Zenk. Ganz ohne geht es eben doch nicht.

marit-zenk.com

Nicole Dütschler, Direktionsassistentin, Bundesamt für ­Informatik und Telekommunikation BIT

«Aus Erfahrung fühle ich mich in der Arbeit als Assistentin für einen Chef, der digital unterwegs ist, deutlich wohler. In meinem vorherigen Job durfte ich ebenfalls für eine visionäre Chefin arbeiten, die sich für das Thema moderne Arbeitsumgebungen starkgemacht hat und mit der ich die virtuelle Zusammenarbeit lebte. Damit es mit der «Fernbeziehung» klappt, braucht es nicht nur die richtige Kommunikationstechnologie und eine gute Koordination. Auch die Einstellung zählt. Mein Chef ist sehr unkompliziert, flexibel und zuverlässig. Dass ich meinen Chef eher selten zu Gesicht bekomme würde, stand von Beginn weg fest. Im Gegesatz zu meinem vorherigen Job, in dem ich im Desksharing gearbeitet habe, weiss ich heute durch den fixen Arbeitsplatz - für die noch physischen Dokumente -, wo meine Ansprechperson zu finden ist. Im Desksharing musste eine bessere Absprache auf der Arbeitsfläche erfolgen. Meinen Chef sehe ich im Schnitt ein- bis zweimal pro Woche. Einen fixen Termin haben wir nicht. Er verfügt über kein eigenes Büro, jedoch über ein Sitzungszimmer, das sich in der Nähe meines Arbeitsplatzes befindet. Ist er im Haus, besprechen wir offene Fragen und Pendenzen persönlich. Normalerweise ist er jedoch in der ganzen Schweiz an Sitzungen oder auch mehrere Tage im Ausland an Konferenzen unterwegs. Während dieser Zeit bleiben wir über die Chatfunktion von Skype in Kontakt. In dringenden Fällen kontaktiere ich ihn per Handy und bitte um Rückruf. Aus Datenschutzgründen tauschen wir schriftliche Informationen mit äusserster Vorsicht aus. Brisante Mails werden verschlüsselt verschickt. Auf Sitzungsunterlagen greift mein Chef über Sharepoint zu, auf dem ich sie aufbereite und elektronisch bereitstelle. Die Möglichkeit, Dokumente digital signieren zu lassen, stellt eine grosse Erleichterung in der virtuellen Zusammenarbeit dar. Die Unterschrift kann dank einer speziellen Software über eine hinterlegte ID ausgewählt und auf dem Dokument platziert werden. Aus meiner Sicht führt diese Form der Zusammenarbeit zu schnelleren Entscheidungen, da die Wartezeit, bis ich meinen Chef im Büro persönlich treffen kann, wegfällt und ich die anstehenden Pendenzen jederzeit platzieren kann. Weil ich durch die Abwesenheit des Chefs gewisse Entscheidungen selber treffe, ist die Übernahme von Verantwortung ein wichtiger Teil meiner täglichen Arbeit. Ich habe das Gefühl, mehr eigene Entscheidungen zu treffen als in einem Setting, bei dem man den Chef jeden Tag sieht. Und wie es jede Assistentin aus ihrem Arbeitsalltag kennt, können auf diese Art auch mehr Entscheide getroffen werden, über die der Chef nicht im Detail Kenntnis haben muss.»

Martina Jaklitsch, Executive Assistant, Swiss Reinsurance ­Company

«Wie gut man als Duo Chef und Assistentin über die Distanz zusammen arbeitet, hängt vor allem vom Typ ab. Mein Chef ist relativ ‹easy to handle›, das heisst er ist keiner von der alten Schule, der von allen Dokumenten einen Ausdruck braucht, sondern nutzt die digitalen Medien. Und ich bin seit 30 Jahren in meinem Job und weiss daher ziemlich genau, was wann zu tun ist, ohne dass ich noch viele Informationen von meinem Chef benötige. Um auf dem Laufenden zu bleiben, haben wir ein- bis zweimal pro Woche einen Update-Call über Skype und können auch sonst entsprechend unkompliziert über das interne Skype Chatmodul kommunizieren. Da mein Chef in London sitzt, ist auch die Zeitverschiebung von einer Stunde kein Problem. Vor ein paar Jahren war ich die Assistentin eines Managers, der in den USA sass, das war mit sechs Stunden Zeitunterschied natürlich schwieriger, aber ebenfalls machbar. Mit meinem jetzigen Chef arbeite ich seit vier Jahren zusammen, im ersten Jahr war er noch in Zürich. Jetzt ist er etwa einmal pro Monat in Zürich, doch dann die meiste Zeit in Meetings; oft sehe ich ihn gar nicht, obwohl er in der Stadt ist. Wenn wir etwas Vertrauliches zu besprechen haben, organisiere ich ein Telepresence-Meeting. Unsere neuen Büros sind technisch auf dem neusten Stand, es ist unglaublich, mit welcher Qualität die Übertragung stattfindet. Fast so, als wäre man wirklich im gleichen Raum. Wenn ich eine Unterschrift von ihm benötige, unterschreibt er oft in London und sendet mir die Unterlagen per Mail sowie parallel das Original per Hauspost. Von London aus sind Papiere innerhalb weniger Tage in Zürich. Insgesamt denke ich, es ist ein Mehrwert, dass ich vor Ort bin. Als Corporate Function sind unsere Kunden vorrangig intern und da hilft es, wenn zumindest ich am Hauptsitz unserer Firma sitze.»

 

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