Office

Geordnete Verhältnisse

Ordnung ist etwas Schönes. Doch der Weg dahin führt über Aufräumen. Nicht jedermanns Leidenschaft und oft auch nicht sehr nachhaltig. Für Ordnungscoach Mylène Alt ist das täglich Brot. Sie kommt, sieht und hilft. Bericht von einem lehrreichen und unterhaltsamen Tag im Kampf gegen das Chaos.

Die Papierstapel türmen sich knapp 30 Zentimeter hoch. Ein schwarzes Plastikungetüm, vollgestopft mit Kugelschreibern, Bleistiften in mindestens zehn verschiedenen Längen, Textmarkern in allen Farben, Büroklammern und Radiergummis (Mehrzahl) sorgt dafür, dass ich für wirklich alle Eventualitäten gerüs­tet bin. Am Bildschirm kleben Post-its, die an pendente Aufgaben erinnern sollen. Eine bräunliche Pflanze fristet ihr jämmerliches Dasein. Dass die Tastatur noch zu sehen ist, ist auch schon alles. Schön ist anders.

Jedes Mal, wenn ich meinen Schreibtisch sah, überkam mich ein Gefühl des Unwohlseins. Chaos ist nicht nur hässlich, sondern auch ziemlich unpraktisch und schlecht für die Nerven: Ich habe schon viel Zeit damit verbracht, Dokumente zu suchen, mich bei Menschen zu entschuldigen, deren Anfragen ich vergessen hatte, oder den Berg von rechts nach links zu verschieben. Nach jeder Ausgabe von Miss Moneypenny habe ich zwar das Nötigste aufgeräumt, aber das Ergebnis hielt nie lange an. Natürlich weiss ich theoretisch, wie das mit der Ordnung geht. Sie aber länger zu halten, hat noch nie geklappt.

Die Chemie muss stimmen

Das will ich ändern, aber ich brauche Hilfe. Und zwar am «lebenden» Objekt, meinem ­eigenen Schreibtisch. Von einem Aufräumcoach. «Aufräumen», «coaching», «büro»: Mit Hilfe von Google finde ich Frau Alt. Mit ihr kann ich mir vorstellen, einen Tag lang in meinem Büro aufzuräumen. Denn die Chemie zwischen Coach und Aufräumwilligem ist sehr wichtig – schliesslich erfährt der Coach an so einem Tag jede Menge über den Klienten.

Mein virtueller Eindruck bestätigt sich, als ich Mylène Alt bei mir begrüsse. Sie strahlt viel Ruhe aus und zeigt sich von meinem Chaos gänzlich unbeeindruckt. Vermutlich hat sie schon Schlimmeres gesehen, hoffe ich. «Was stört Sie denn am meisten?», fragt ­Mylène Alt zu Beginn. Das kann ich nicht genau sagen, ist aber auch nicht so wichtig. «Letztlich spielt es keine Rolle, wo man anfängt. Es geht darum, anzufangen», sagte Frau Alt mit einer Stimme, die einem den Eindruck vermittelte, dass alles gut werde.

So geht Ordnung

  • Bei jedem Dokument gleich zu Beginn entscheiden, was damit passieren soll.
  • Alles was weniger als fünf Minuten in Anspruch nimmt, sofort erledigen.
  • Alles was sich nicht sofort erledigen lässt, terminieren. Nutzen Sie technische Hilfen, dann
  • bleibt das Gehirn frei für die eigentliche Arbeit, und den Stress, sich an etwas erinnern zu ­müssen, übernimmt der PC.
  • Niemals Fächer oder Register mit «Sonstiges» oder «Diverses» beschriften. In stressigen ­Situa­tionen landet oft alles darin.
  • Bundesordner sind sozusagen die «letzte Ruhestätte» für Dokumente. Sie eignen sich nicht
  • für Unterlagen, die man öfters zur Hand nehmen muss.
  • Den Anfängen wehren: Sobald ein paar Dokumente auf dem Tisch liegen, sinkt die ­Hemmschwelle den Stapel wieder wachsen zu lassen.
  • Am Abend den Schreibtisch aufräumen. So startet es sich besser in den nächsten Tag.
  • Regelmässig Löschen und Wegwerfen verschafft Luft.

Doch der Weg dahin führt über Arbeit: «Oft haben die Leute, die ich besuche, das Gefühl, ich könne mit dem Zauberstab aufräumen», sagt Frau Alt lachend. «Doch ich stehe nur zur Seite, aufräumen müssen die Kandidaten schon selbst, sonst ist das Coaching nicht nachhaltig.»
Wir fangen mit dem Kleinen an. Für die grossen Papierstapel muss ich mich erstmal warm laufen. «Wie viele Stifte brauchen Sie denn?», fragt Frau Alt schmunzelnd mit Blick auf meinen übervollen Utensilienbehälter. «Hmm, genau­genommen kann ich sowieso höchs­tens mit einem schreiben», gebe ich zu. Frau Alt nickt.

Auf ihrem Schreibtisch liege immer nur ein Stift, teilt sie mir mit. Fertig. Ich denke auch darüber nach, komme aber zu dem Schluss, dass diese minimalistische ­Version nicht zu mir passt. Mir gefallen Stifte, ich habe gern eine kleine Auswahl. Vielleicht nicht grad 20, aber fünf sollten es doch sein. Frau Alt nickt. Ihr ist es wichtig, dass ihre Kunden nur das mitnehmen, was auch zu ihnen passt, und nicht, dass sie ein Abbild von ihrem System schaffen. «Die Menschen müssen sich mit ihrer Ordnung wohlfühlen, sonst ist sie nicht von Dauer», weiss der Profi. Wir bleiben bei meinen Stiften, genauer bei meinem Stifthalter: Fünf Jahre lang war er unhinterfragt mein Begleiter. Dabei handelt es sich um ein wirklich hässliches Ungetüm. Also weg damit. Die Stifte bleiben vorerst völlig ungehalten.

Und weiter geht’s: «Wie oft brauchen Sie den Locher?» Noch so ’ne Frage. Höchstens einmal die Woche, wenn ich es mir genau überlege. Das gleiche gilt für den Bostitch und den Tesa-Abroller. Alle drei werden vom Schreibtisch verbannt. Und der Brieföffner, den ich zwar täglich brauche, wandert gleich mit. Alle vier haben jetzt auf dem kleinen Corpus unter meinem Schreibtisch einen neuen Platz gefunden. Damit verunstalten sie mir nicht mehr meine Arbeitsfläche, sind aber genauso schnell greifbar wie zuvor. Die ersten drei Tage suche ich sie zwar noch, aber mittlerweile sitzt der Griff unter den Schreibtisch. So soll es sein.

Ein Tag reicht meist aus

Das Schlimmste am Chaos ist die ständige Suche. «Sie verbraucht Zeit und Energie und beide benötigen wir für die Dinge, die wir wirklich machen wollen oder müssen», sagt Mylène Alt. Ein Aufräumcoaching ist also sinnvoll investierte Zeit, die uns langfristig hilft, Zeit zu sparen. Wie lange ein Coaching dauert, kommt aufs Ziel an. Wer sich bei jedem einzelnen Blatt Papier helfen lassen will, braucht sicher länger. Aber in der Regel reicht ein Tag. Auch wenn dann noch nicht alles aufgeräumt ist, wurde auf jeden Fall das Prinzip verstanden.

Als nächstes machen wir uns an meine Papierstapel. Anfangs bin ich hilflos, wohin ich mit dem ganzen Plunder demnächst soll. Frau Alt erklärt mir ihr eigenes, denkbar einfaches System. Es besteht aus vier Fächern. Nummer 1 ist sozusagen der Posteingang, alle Unter­lagen, bei denen man selbst demnächst tätig werden muss. Nummer 2: pendent. Hier liegen alle Angelegenheiten, bei denen sie noch auf die Reaktion von jemand anders wartet. Nummer 3: Hier lagern Sichtmäppchen, mit denen sich mehrere Dokumente zu einer logischen Einheit zusammenfassen lassen. Nummer 4: Ablage. All diese Dinge müssen noch an ihrem finalen Bestimmungsort abgelegt werden.

Soweit die alltägliche Ablage der aktuellen Dokumente. Darüber hinaus empfehlen sich natürlich thematische Ablagesysteme, am bes­ten in Hängeregistern, wo alles mit einem Handgriff versorgt und auch wieder hervorgezaubert werden kann. Bei mir sind das zum Beispiel Registermappen für die einzelnen Ausgaben und für die Rubriken von Miss Moneypenny, in denen ich langfristig Themen­ideen sammeln kann.

Coaching als Initialzündung

Wenn das System einmal angelegt ist, schmilzt der Stapel schnell. Der Trick: Beim ersten Kontakt mit einem Papier wird sofort entschieden, wo es landet. Alles wird nur einmal angefasst. Damit tue ich mich am schwersten, denn Entscheidungen schiebe ich seit jeher gern auf die lange Bank. Alles was im Posteingang oder bei den Pendenzen landet, wird sofort im Kalender terminiert.

Die Terminierung in der elektronischen Agenda ist sozusagen das Herzstück von Mylène Alts Ablagetechnik. Dafür wird die Aufgaben-Funktion im Kalender-Programm genutzt. Denn Aufgaben sind im Gegensatz zu Terminen nicht an eine bestimmte Zeit gebunden. Eine Aufgabe wird darum zwar im Kalender angezeigt, blockiert aber keinen Platz in der Agenda.

Durch die Terminierung wird man automatisch daran erinnert, wann etwas fällig ist, kann es dann (bei laufenden Themen) aus dem Post­eingang nehmen und bearbeiten. Genauso funktioniert der Pendent-Ordner: Wenn der Tag der Aufgabe kommt, kann man Kollegen, Kunden oder Geschäftspartner daran erinnern, dass man ja noch auf etwas von ihnen wartet. «Das hat auch eine schöne Erziehungsfunktion», meint Mylène Alt erfreut.

Während mein Papierstapel schmilzt, zeigt sich, dass das Pendent-Fach für mich keinen Sinn macht. Wenn die Deadline naht, denke ich ganz von alleine daran, die Autoren zu mahnen. Also weg damit. Auch die Ablage brauche ich nicht unbedingt, denn ein dauerhaftes Ablagesystem mit Kundendaten oder ähnli­chem führe ich nicht. Aber all das ist selbstverständlich Geschmackssache. Das Gute am Coaching ist, dass ich mich gedanklich damit beschäftige, was für eine Art von System zu mir passt. «Viele Menschen machen zwar intuitiv schon vieles richtig. Aber ein Coaching ist gut, damit man sich bewusst wird, was es braucht, und als Initialzündung, um sich an die neue Ordnung zu gewöhnen», so Mylène Alt.

Was ich auf jeden Fall mitnehme: Ein leerer Schreibtisch sieht toll aus und es macht Spass daran zu arbeiten. Ein paar Tage nach dem Coaching habe ich mir eine schöne Tasse für meine Stifte gekauft, aus Porzellan und mit Blumen. Die tote Pflanze habe ich entsorgt und plane eine neue zu kaufen. Der Papier­stapel ist wieder ein ganz kleines bisschen da. Aber nur auf einer Seite, und ich trage jeden Tag etwas davon ab. Das mit den Terminierungen läuft super. Zumindest trage ich mir alles ein und setze ein Datum fest. Wenn der Termin kommt, verschiebe ich die Aufgabe allerdings gern und setze einen neuen Termin. Doch verloren geht immerhin nichts.

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Stefanie Zeng ist Online Redaktorin bei Miss Moneypenny. 

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