Gestaltung von Korrespondenz

Lasst Schriften sprechen

Wer gut aussieht, hat etwas dafür getan. Immer. Morgentoilette, Spiegel, Garderobe, Kaffee oder umgekehrt.  Auch Unternehmen sind nicht von Natur aus schön. Es braucht einigen Aufwand, um sie zu stylen. Im Fachjargon wird dies mit Corporate Design oder Corporate Identity bezeichnet. Was Schriften alles dazu beitragen.

In unserer neuen Serie «Looking good» beschreiben wir die visuelle Seite der Unternehmenskommunikation. Es geht darum, wie in der Office-Umgebung Dokumente schöner formatiert werden können. Unser Ding sind Briefe, Flyer, Excel-Tabellen, Powerpoint-Folien, Namensschilder, Menükarten, Visitenkarten, Lebensläufe und die alltäglichen Dokumente, die nicht in einem Corporate-Design-Manual festgelegt sind.

Schrift ist zum Lesen da

Ob ein Dokument überhaupt gelesen wird, liegt nicht an geschliffener, offener, ehrlicher, arroganter oder impertinenter Ausdrucksweise, nein, schuld daran ist die Formatierung, beziehungsweise die typografische Gestaltung. Wer liest, muss erst von der Relevanz des Vorliegenden überzeugt sein. Auf dem Kuvert eine P.-P.-Frankatur? Ab in den runden Ordner unter dem Tisch. Ein handschriftliche Adresse mit Briefmarke? Der Brief wird geöffnet.

Bevor es zum Lesevorgang kommt, scannt das Auge das Produkt (wie die Umgebung): 
ein Plakat, einen Brief, eine Rechnung, eine Anzeige. Das Auge-Hirn-System wägt blitzschnell ab: Ist das, was ich sehe, für mich wichtig? Bringt es mir einen Vorteil? Bin ich betroffen? Unsere Augen sind zum Betrachten geschaffen, zu Lesern werden wir erst durch kulturelle Aneignung. Die Gestaltung hat mit Formen und Farben zu tun, ist also wesentlich dafür verantwortlich, ob sich die Betrachterin überhaupt dem Text zuwendet und zur Leserin wird. Die Schriftart ist daran beteiligt, ob es zum Lesevorgang kommt oder nicht. Schriftlicher Text ist als abstraktes Buchstabenmuster im Hirn gespeichert. Wenn wir uns «Chef» als geschriebenen Text vorstellen, «sehen» wir die vier Buchstaben – die meisten haben wohl keine Vorstellung vom Aussehen der Buchstaben: Im Hirn sind sie nicht als Arial oder Times abgelegt. In diesem Sinn ist Text als flüchtiger Gedanke zu verstehen. Schrift hingegen ist die visuelle Ausprägung von Text, der Gedanke wird mit einem visuellen Zeichensystem dingfest gemacht. Die gestalterische Aufbereitung von Text (Typografie) hat den Zweck, die Inhalte zu gliedern, zu portionieren, übersichtlicher zu machen.

Der Zweck von Schrift ist meistens das Lesen. Selbst in Mails, SMS oder in einer flüchtigen Notiz soll Schrift gelesen werden können. Und zwar möglichst angenehm, auch unter ungünstigen Lesebedingungen. Die gestaltete Schrift soll auch von Personen mit Sehschwäche oder -behinderung gelesen werden. Wer hat sich nicht schon geärgert, weil auf Packungsbeilagen oder Verpackungen der Text unleserlich war?

Schrift ist der wichtigste Träger unserer visuellen Kommunikation. Wer die grundlegenden Gesetzmässigkeiten der Gestaltung (Formatierung) beachtet, der hilft, dass Unternehmen besser und verständlicher kommunizieren können.

Wirkung von Schriften

Schriften äussern sich in Marken und Namen. Ob Nivea, Migros, Raiffeisen, SRF, Post oder Miss Moneypenny, das Hirn liefert automatisch die Hülle zum Inhalt. Es ist deshalb für Markendesigner enorm wichtig zu wissen, welchen Eindruck Schrift vermittelt. Die Anmutungsqualität einer Schrift verführt. Bücher werden auch wegen der Schrift gekauft oder gelesen. Je grösser die Schrift, desto eher kommt die Anmutung zum Tragen, auf Verpackungen oder in der Werbekommunikation: leicht, schwer, beschwingt, dynamisch, nüchtern, crazy, modisch, klassisch, altbacken, verbraucht, langweilig, spritzig, schreiend, heimelig, schmeichelnd. Im Grundtext oder im Kleingedruckten ist diese Wirkung weniger vorhanden.

Und natürlich sieht man der Schrift als Kulturgut die Stilepochen (oder Mode) an, während der sie geschaffen wurde. So stammt die Futura aus dem Jahr 1927, die Times von 1932, die Helvetica von 1957, die Frutiger von 1976. Schrift ist damit wesentlich moderesistenter als Architektur oder Industriedesign. Alte Schriften haben den Nachteil, dass sie nie für den Bildschirm geschaffen wurden und deshalb dort oft schwerer leserlich sind. Erst ab den 1990er-Jahren begannen die Designer, Schriften speziell für den Bildschirm zu entwerfen. Die Buchstaben stehen heute etwas weiter auseinander, sodass sie sich auf dem Bildschirm nicht berühren.

Mit oder ohne Serifen?

Für die Unternehmenskommunikation werden heute als Hausschriften meist neutrale und nüchterne Schriften verwendet. Mit neutral meine ich Schriften ohne Serifen (Füsschen), zum Beispiel die heute als veraltet geltende Arial, die noch immer dominante Schrift in der Office-Welt. Helvetica, Univers, Frutiger, Futura, Segoe, Verdana, Tahoma, Trebuchet oder Calibri gehören in diese Gruppe.

Schriften, die etwas «geistvoller» wirken, weisen Serifen aus. Zum Beispiel gehören Times New Roman, Palatino, Garamond, Baskerville, Minion, Constantia oder Calisto dazu. Man spricht Schriften mit Serifen eine bessere Leserlichkeit zu, was aber jeglicher Grundlage entbehrt.

Die gute (oder besser: richtige) Schrift für 
ein Unternehmen ist keine Frage des Geschmacks, sondern ein Abwägen vieler Aspekte und der Technologien, die im Spiel sind. Die von Windows portierten «Systemschriften» stehen nur in vier verschiedenen Variationen zur Verfügung: Regular, Bold, Italic und Bold Italic.  Das reicht, um einen Brief zu schreiben, und vielleicht noch, um eine Powerpoint-Präsentation hinzukriegen. Ein Corporate Design ist eine Nummer grösser. Es ist vergleichbar mit der eigenen Garderobe. Wer nur vier Paar Schuhe im Schrank stehen hat, kann zwar aus dem Haus, ist irgendwie aber nie richtig angezogen.

Schrifttechnologie

Die Ressourcen, die für die Schriftdarstellung auf dem Bildschirm und für den Druck benötigt werden, liegen im Ordner Systemsteuerung > Alle Systemsteuerungselemente > Schriftarten. Das heute gängige Format für Schriften heisst Open Type, die Schriftdateien sind mit dem Suffix .ttf (True Type Font) oder mit .otf (Open Type Font) versehen. Es sind einige Technologien involviert: Desktop, Tablet, Smartphone, Office oder Print – alle Kanäle arbeiten mit eigenen Fontressourcen. Ein Powerpoint-Dokument, in einer «exotischen» Schrift erstellt, erscheint auf dem Beamer des Veranstalters nicht gleich. Schriften, die weltweit praktisch auf jedem Rechner zur Verfügung stehen, sind die «Windows-Schriften» Arial, Tahoma, Trebuchet, Verdana, Times, Segoe, Calibri, Constantia, Courier und so weiter. Sie haben den Vorteil, dass die Originaldokumente beim Versand so ankommen und dargestellt werden, wie sie erstellt wurden. Nachteil: Ein individuelles Aussehen im Sinn eines eigenständigen Corporate Design ist damit nicht möglich, Massenware uniformiert.

Schriften auf dem Bildschirm

Die Schriftdarstellung auf dem Bildschirm hängt von der Auflösung ab, die in Pixel pro Inch (ppi) gemessen wird. Zuweilen wird auch von dpi (dots per inch) gesprochen. Normale Desktop-Monitore haben um die 100 ppi. Umgerechnet bedeutet dies, dass der Bildschirm pro Zentimeter 39 Pixel darstellen kann. Moderne Wiedergabegeräte wie Handys oder Tablets haben Bildschirme mit über 300 ppi, in der Apple-Welt wird von Retina-Displays gesprochen. Diese Auflösung ist mit entsprechender Schrifttechnologie so gut, dass einzelne Pixel nicht mehr erkannt werden. Das heisst, die Leserlichkeit ist ähnlich wie auf dem Papier.

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Ralf Turtschi ist gelernter Schriftsetzer, dipl. PR-Berater, Publizist und Fachbuchautor. Es ist als Inhaber der Agenturtschi, visuelle Kommunikation, freiberuflich tätig.
 
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