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Mut zur Macht

Rebekka Reinhard hat ein Buch über Macht geschrieben. Nur für Frauen. Sie findet, Frauen sollten dringend mächtiger werden, vor allem in der Beziehung mit sich selbst. Ein Gespräch über alte Normen, neue Chancen und einen Begriff, der meist falsch verstanden wird.

Frau Reinhard, warum braucht es einen Ratgeber zum Thema Macht für Frauen?

In meiner Tätigkeit als philosophischer Coach fällt mir immer wieder auf, dass Frauen wahnsinnige Schwierigkeiten mit dem Thema Macht haben. Einerseits werden wir von allen Seiten gefördert, beispielsweise in Diversity-Programmen, andererseits scheuen sich immer noch viele Frauen davor – vielleicht auch unbewusst –, mächtig zu sein.

Woran liegt das?

Weil Frauen bei Macht an etwas Bedrohliches, etwas Unheimliches denken – etwa an Wladimir Putin. Sie setzen Macht mit Machtmissbrauch gleich. In diesem Verständnis geht es aber nicht um Macht, sondern um Zwang. Der Machtbegriff der meisten Frauen ist total unreflektiert. Ich finde es wichtig, Frauen daran zu erinnern, was das Wort bedeutet.

Und Männer nicht?

Männer gehen auch von diesem schwammigen, unüberlegten Begriff aus. Aber für Männer ist er unproblematischer, weil er sich sehr gut in die Geschichte des Patriarchats einfügen lässt. Macht passt gut zum Mann. In unserem westlichen Kulturkreis ist ein guter Mann ein Mann, der nach Autonomie, Freiheit und Unabhängigkeit strebt. Die weiblichen Normen, zum Beispiel Fürsorge und Harmonie, entsprechen dem nicht. Und obwohl man es kaum glauben kann, sind diese Normen noch immer extrem stark. Sie haben durchaus ihre Berechtigung, aber wir müssen uns ihrer bewusst sein.

Was verstehen Sie denn unter Macht?

Macht kommt von «machen», «können», «vermögen». Das ist eine ganz neutrale Bedeutung, die nichts mit Manipulation zu tun hat. Es geht um Gestaltungsmacht, darum, das eigene «Potenzial» zu erkennen. In diesem Sinne ist Macht der Schlüssel zu Glück und Freiheit. Um unsere Fähigkeiten zu entfalten, brauchen wir Mut zur Macht. Denn ich kann kein glückliches und freies Leben führen, ohne selbstbestimmt zu sein. Das erfordert, dass ich selbständig und kritisch denke und Verantwortung für mein Leben übernehme. Es geht nicht darum, Frauen zu ermutigen, egomässig ihr Machtbestreben durchzusetzen.

Sind Frauen in diesem Sinne das schwache, machtlose Geschlecht?

Tendenziell würde ich sagen, Frauen sind das stärkere Geschlecht. Wir haben unglaublich viele Potenziale, so viele Möglichkeiten wie nie zuvor, wir können die unterschiedlichsten Rollen und ganz verschiedene Seiten von uns ausleben. Das Problem ist, dass wir dazu neigen, uns mit dieser Rollenvielfalt zu überfordern. Die moderne Frau wird zur Frau am Abgrund, wenn sie ständig in Vorleistung geht. Ihre Stärke schwächt sie.

Eben! Wir «machen» halt.

Macht heisst nicht immer nur selber machen, sondern auch einmal machen lassen. Den Dingen ihren Lauf lassen, beobachten, wie sie sich entwickeln, Vertrauen haben, abwarten. Die systematische Selbstausbeutung ist ein grosses Problem der Frauen von heute, das kann auch ihre Familie belasten.

Was sollen wir denn in Zukunft nicht mehr machen?

Zuallererst muss man sich einmal zurückziehen und sich ernsthaft fragen: Wofür will ich leben? Das ist eine der schwierigsten Fragen überhaupt, sie erfordert ein hohes Mass an Abstraktion. Man drückt sozusagen die Reset-Taste. Diese Übung ist extrem effektiv. Es geht dabei nicht darum, die perfekte Lösung zu finden. Es geht darum, dass diese Frage in mir einen seelischen Prozess auslöst. Die moderne Frau ist tendenziell immer «ausser sich», nie bei sich. Die meisten Frauen wissen überhaupt nicht, was sie können, weil es für sie selbstverständlich ist, alles hinzukriegen und trotzdem nichts wert zu sein.

Sie fordern Ihre Leserinnen auf, zeitloser zu leben. Wie meinen Sie das?

Hirnloses Handeln verlängert unsere Knechtschaft, überlegtes Tun beendet sie. Ich muss mich beobachten und ehrlich zu mir sein. Im Moment wird zum Beispiel das Zwei-Sphären-Glück idealisiert; Frauen, die sagen, es sei gut möglich, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen und in beidem gleichzeitig Erfüllung zu finden. Das ist eine wahnsinnig anstrengende Art von Glück und setzt körperlich eine gewisse Konstitution voraus. Die hat nicht jede. Wir sollten nicht nach einem solchen Modell streben, weil es «in» ist, sondern uns fragen, ob es für uns individuell stimmt, ob weniger nicht vielleicht mehr ist mit der Konsequenz, eventuell bewusst auf die eine Sphäre zu verzichten.

Sie appellieren stark an den Verstand, an logische Argumentation und Klugheit. Sind erfolgreiche, gut ausgebildete Frauen heute zu sehr auf Äusseres fixiert?

Das hängt davon ab, wie sehr sie sich an anderen orientieren. Aber wir leben in einer sehr konformistischen Welt. Was andere wünschen und möchten, hat immer Priorität. Vermeintlich haben sich die Zeiten geändert, die Prinzipien sind jedoch gleich geblieben. Nie waren wir freier, unsere Individualität zu leben. Und trotzdem sind wir am Ende alle gleich. Facebook, Google und Co. halten uns an, authentisch zu sein, im Endeffekt wirken sie aber hochgradig nivellierend. Es ist, als würden wir ein Malbuch zum Ausmalen bekommen. Frauen trauen sich nicht, sie selbst zu sein. Ich wünsche ihnen die Macht über sich, um souveräne Menschen zu werden und sich von unglücklich machenden Normen und Konventionen zu befreien.

Und dafür braucht es unabhängiges Denken.

Richtig. Aber Frauen verwechseln Denken oft mit Grübeln. Wir täten gut daran, unser Hirnstübchen vom Grübeln freizuputzen und damit Raum zu schaffen für brillante Ideen und kluge Gedanken.

Sie stellen im Buch verschiedene Machtübungen vor. Können Sie einige nennen?

Ich nenne sie Machtmittel. Eines, das ich besonders mag: Seien sie eine Schnecke! Das beginnt ganz einfach damit, langsamer zu gehen. Sie sollten schreiten, statt das schnelle, steife Marschieren der «Frau am Abgrund» zu übernehmen. Nur beim Schreiten, nicht beim Hasten, erkennt man Gelegenheiten, die sich einem bieten. Ein anderes ist die Sprachakttheorie. Machen Sie sich Ihre Sprache bewusst, nutzen Sie sie, schaffen sie damit sozial bedeutsame Tatsachen und keine Kaugummisätze, die mit vier Entschuldigungen beginnen und mit drei ähs fortfahren. Damit vermittle ich meinem Gegenüber nur: Ich bin ein Schaf, ich kenne mich nicht aus. Das verunsichert Gesprächspartner. Lieber spreche ich doch klar und deutlich aus, was ich will, und signalisiere damit, dass ich eine kritisch denkende, der eigenen Würde bewusste Person bin.

Haben Sie mächtige Vorbilder?

Ja, einige. Im Buch habe ich dafür bewusst nur starke, mächtige Frauen aus der Geschichte gewählt, um eine historische Tiefenperspektive zu geben. Schon im Mittelalter gab es Frauen, die sich weigerten, den Konventionen zu entsprechen. Besonders beeindrucken mich Christine de Pizan, Mary Wollstonecraft und Hannah Arendt.

Was steht den Frauen am meisten im Weg zur Macht?

Unreflektierte Stereotypen und Dogmen, die uns hindern, wir selbst zu sein. Suchen Sie sich Verbündete! Strecken Sie im Sinne von «seien Sie eine Schnecke» die Fühler aus, suchen sie interessante Frauen und veranstalten sie kleine Privatsalons oder Ähnliches. Sie brauchen keine mittelalterliche Heldin zu werden, aber eine Mentorin oder ein Role Model, das wäre schön.

Rebekka Reinhard

Die Philosophin und Spiegel-Bestsellerautorin Dr. Rebekka Reinhard plädiert in ihrem aktuellen Buch für weiblichen Mut zur Macht. Anhand von alltagstauglichen philosophischen Strategien zeigt sie auf, wie Macht zum Schlüssel für Freiheit und Glück wird. Schon in ihren früheren Werken näherte sich Reinhard Frauenthemen wie Schönheit, Lifestyle und dem perfekten Leben auf philosophisch-unterhaltsame Weise. philosophyworks.de

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