Porträt

Straff organisiert

Giulia Kurz ist in der Finanzbranche gross geworden und hat die Krise aus nächster Nähe miterlebt. Eine lehrreiche Zeit, wie sie sagt. Trotzdem hat sie das Feld gewechselt – und eine Traumstelle gefunden: Kurz ist CEO-Assistentin bei Swisstransplant. Nebenbei hilft sie Frauen bei der Gesundheitsvorsorge, als Fitnessinstruktorin.

Während andere sich morgens nochmals im Bett umdrehen, stösst Giulia Kurz die grosse Türe in die Turnhalle einer Migros Klubschule in Bern auf, rückt der Dämmerung mit allen Lichtschaltern auf die Pelle, stellt ihre rosa Sporttasche auf eine Bank und geht zur Musikanlage. Die blonden Haare sind zurückgebunden, die pinken Turnschuhe leuchten. Es ist zehn nach sieben. Kurz grüsst die Putzfrau, holt sich eine Matte und einen Stepper, platziert beides zuvorderst in der Halle vor dem Spiegel und wartet auf andere Frühaufsteherinnen. Frauen jeden Alters, in Leggins und T-Shirt, die sich von Giulia Kurz die Morgenmüdigkeit aus den Knochen treiben lassen, trudeln nach und nach ein. «Männer sind herzlich willkommen,  tauchen aber nie auf», sagt die Instruktorin und lacht. «Bauch, Beine, Po» steht auf dem Programm, die Early-Bird-Version.

Wer noch gähnt, schnappt bald nach Luft, wer fröstelt, hat bald Schweissperlen auf der Stirn. Kurz macht zügig vorwärts. Es geht rauf und runter auf dem Stepper, mit Luftkicks und Boxschlägen. 30 Minuten Workout, bevor der Tag im Büro beginnt. Die Instruktorin motiviert die Anwesenden. «Super, Frauen!» Sie spricht, sie schreit nicht. Sie lächelt, korrigiert sanft und spornt mehr durch ihre dynamische Art an als durch Drill.

Sport hat schon immer zum Leben von Giulia Kurz gehört. Sie hat acht Jahre lang Basketball gespielt, war im Unihockey, mag Volleyball und ging früher vereinsmässig schwimmen. «Ich bewege mich einfach gerne und mag den Austausch und den Kontakt mit anderen», erzählt sie. Vor rund fünf Jahren entstand in ihr die Idee, einen Teil ihres Sportpensums als Instruktorin zu absolvieren. Vor drei Jahren hat sie bei der Migros Klubschule die Ausbildung zur Gruppenfitness-Instruktorin gemacht und gibt heute Kurse, die Rückenfit, Smart Abs, Bodytoning und MAX heissen. Mit zwei fixen Kursen in der Klubschule und bei S4 Sports in Wilderswil, regelmässigen Stellvertretungen und den Vorbereitungen investiert sie mindes-tens vier Stunden pro Woche in dieses Hobby. «Es macht mir grossen Spass. Erstens, weil man bei dieser Arbeit direktes Feedback erhält. Zweitens, weil ich die Frauen für einen Moment aus ihrem Alltag entführen und ihnen zum Beispiel helfen kann, Muskeln aufzubauen und ihre Stabilität zu verbessern, einfach gesagt: etwas für ihr Wohlbefinden zu tun», erklärt Kurz. 

Zur Person

Giulia Kurz ist im Tessin aufgewachsen. Heute lebt sie, nach Stationen in und um Zürich und Luzern, mit ihrem Freund in Interlaken. Sie hat in Lugano das KV auf der UBS absolviert, wo sie danach ins Förderprogramm aufgenommen wurde und nach Zürich wechselte. Drei Monate der zweijährigen Weiterbildung hat sie in London verbracht, aber nicht wie vorgesehen in der Sprachschule, sondern in einer Niederlassung der UBS. «Ich wollte mit Einheimischen arbeiten», sagt die 26-Jährige. Danach war sie zwei Jahre im Risk Management der UBS tätig, wo sie unter anderem Schulungen für Kundenberater hielt. Ihren ersten Job als Direktionsassistentin hatte Kurz anschliessend bei Swiss Capital Wealth Management AG. Seit Januar 2016 ist sie CEO--Assistentin bei der nationalen Stiftung Swisstransplant. 

 

Sie ist inzwischen geduscht und umgezogen, und durch die Strassen von Bern läuft nicht eine Sportlehrerin, sondern eine junge Businesslady im Hosenanzug, mit offenem Haar und hohen Schuhen. Wir sind auf dem Weg ins Büro. Seit Januar arbeitet Giulia Kurz als CEO-Assistentin bei Swisstransplant, der nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation. Die rund 35 Mitarbeiter sitzen im zweiten Stock eines alten, denkmalgeschützten Hauses in der Nähe vom Bahnhof. «Viele von uns arbeiten Teilzeit. Auch mein Chef hat einen Home-Office-Tag pro Woche. Dieses Arbeitszeitmodell hat mich sehr angesprochen», erzählt Kurz, die selbst 80 Prozent arbeitet, damit sie genügend Zeit für ihre Fitnesskurse hat.

Ziele vor Augen

Die Arbeit bei einer Stiftung ist neu für Giulia Kurz. Seit ihrer Ausbildung hat sie in der Finanzbranche gearbeitet. Sie hat das KV bei der UBS im Tessin gemacht, wo sie als Tochter Deutschschweizer Eltern aufgewachsen ist. Ein internes Förderungsprogramm nach der Lehre hat sie nach Zürich gebracht. «Ich wollte schon als Kind immer nach Zürich, das Leben in der Stadt hat mich fasziniert.» Zwei Jahre dauerte die Weiterbildung, unter an-derem war sie dabei auch Assistentin von Kundenberatern. Danach war sie im Risk Management der UBS tätig. «Wieder ein ganz anderes Feld. Ich habe da zum Beispiel viele Schulungen für Kundenberater gemacht, vor 20, 30 Personen. Das war eine sehr spannende Zeit.» Trotzdem suchte die junge Frau nach zwei weiteren Jahren eine neue Herausforderung. Sie sei lernhungrig, ziehe nach einer gewissen Zeit gerne weiter, beschreibt sie sich selbst. Mit dem Wechsel stieg sie in die Assistenz ein und wurde Direktionsassistentin bei Swiss Capital Wealth Management. «Da waren wir zehn Mitarbeitende. Das war schon eine Umstellung nach der UBS», lacht die 26-Jährige. «Ich mochte den persönlichen Handlungsspielraum, den man in einer so kleinen Firma hat. Aber die Möglichkeiten insgesamt sind schon eingeschränkter.»

Arbeit fürs Herz

Rund 35 Mitarbeiter, wie bei Swisstransplant, findet sie eine ideale Grösse. Sowieso ist Kurz sehr von ihrer Stelle überzeugt. «Ich sah die Anzeige und wusste: Da will ich arbeiten», erinnert sie sich. Es sei der Sinn und Zweck der Stiftung, der sie sehr angesprochen habe. Swisstransplant hat vom Bundesamt für Gesundheit den Auftrag, Spenderorgane auf nationaler Ebene gesetzeskonform den Empfängern zuzuteilen und entsprechende Wartelisten zu führen. Zudem hat Swisstransplant einen Informationsauftrag. Nicht auf der Bevölkerungsebene, das macht der Bund, aber beispielsweise in Spitälern. «Vergangenes Jahr gab es eine Kampagne für Spitalpersonal. Die zentrale Botschaft war, dass man sich zum Thema Organspende entscheiden und mit den Angehörigen darüber reden sollte. Damit entlastet man die Familie und das Spitalpersonal», sagt Kurz. Ein Spenderausweis reiche nämlich oft nicht aus, viel besser sei es, das Thema in guten Zeiten zu klären, damit in der Akutsituation keine Fragen offen sind. Kurz liegt dies am Herzen. «Es ist schlimm, wenn Angehörige sich in der Trauer noch einer solchen Entscheidung gegenüber sehen und unsicher sind, was der Verstorbene sich gewünscht hätte.» Umso schöner findet sie es, für eine so gute Sache zu arbeiten: «Swisstransplant spendet Menschen Hoffnung und schenkt neues Leben, das ist sehr sinnstiftend für mich. Zudem ist das Ziel des Unternehmens hier viel konkreter und fassbarer als in der Vermögensverwaltung.» 

Die Assistentin arbeitet bei Swisstransplant sehr selbständig. Sie organisiert Sitzungen, vertritt ihren Chef in Meetings, sieht sich dadurch als Bindeglied zwischen dem Team und ihrem Chef und arbeitet in Projekten mit. Eine Gruppe beschäftigt sich beispielsweise mit einer neuen Software, damit die Daten eines Spenderorgans schneller und einheitlich bei Swisstransplant ankommen. «Mein Job ist sehr vielseitig und es passiert viel Unerwartetes. Das mag ich. Je mehr Druck ich habe, desto effizienter arbeite ich. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man an stressigen Situationen wächst», sagt Kurz. Um sich weiterzuentwickeln, will sie zudem ab Herbst berufsbegleitend die Weiterbildung für das Betriebswirtschaftsdiplom HF machen. «Ich habe mir überlegt, die Ausbildung zur Direktionsassistentin zu machen, aber Betriebswirtschaft ist noch breiter und mein Chef hat meine Entscheidung unterstützt.»

Ausser Dienst

Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Für meinen Umzug nach Interlaken mit dem Plan, sesshaft zu werden.
Das bringt mich zum Lachen: Mein Chef. Er ist wirklich sehr humorvoll.
Das wollte ich als Kind werden: Schauspielerin und später Anwältin.
Das bringt mich zum Staunen: Der Frühling. Ich finde es jedes Jahr wieder erstaunlich, wie die Natur zum Leben erwacht.
Das macht mich nachdenklich: Die Finanzkrise. Beruflich habe ich sehr viel gelernt in dieser Zeit. Es war eine Ausnahmesituation. Ich hoffe, die Branche hat aus ihren Fehlern gelernt. Ehrlich gesagt bin ich aber etwas kritisch.
Das würde ich gerne können: So zu planen, dass meine Agenda in der Freizeit auch einmal leer ist. Ich verplane fast jede Minute.
Diese Person würde ich gern einmal kennenlernen: Christa Rigozzi. Sie ist kein klassisches Model und ich finde toll, wie vielseitig interessiert sie ist und wie sie ihre Talente zu ihrer eigenen Marke zusammenfügt. Eine charakterstarke Frau. 

Gärtnern im Blut

Auch als Gruppenfitness-Instruktorin möchte sie sich weiterentwickeln: «Spiraldynamik interessiert mich. Ein Bewegungskonzept, das meine Anatomiekenntnisse vertiefen würde und den Körper als Ganzes betrachtet. Es ist toll für den Rücken – als Therapie bei Schmerzen oder zur Gesunderhaltung.» Doch vorerst braucht noch ein anderes Projekt Zeit: Vor kurzem ist Giulia Kurz mit ihrem Freund nach Interlaken gezogen. «Nach mehreren Wohnungswechseln in den letzten Jahren möchten wir jetzt sesshafter werden», lacht sie. Zusammen verbringen die beiden viel Zeit in den umliegenden Bergen. Im Winter beim Skifahren, im Sommer beim Wandern. Und Giulia Kurz, eine Gärtnerstochter, kann richtig Gemüse und Blumen anpflanzen. «Bis jetzt konnte ich mich nur im Urban Gardening versuchen. In unserem Chalet habe ich endlich einen Garten, in dem ich mich austoben kann.»

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