Was die Dramaturgie verrät

Wahre Geschichten unterscheiden sich von Lügen punkto Detailtreue, Emotion und Faktenreichtum. Wer versteht, wie Menschen ihre Erzählungen aufbauen, merkt schnell, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht. 

Bevor wir einsteigen, wäre es spannend, wenn Sie einmal kurz eine bewegende Geschichte, die Sie in den letzten Tagen erlebt haben, herunterschreiben würden. Sie können hier schon sehen, was Sie alles hineingepackt und wie Sie die Dramaturgie aufgebaut haben. Was zeichnet nun eine echte, wirklich erlebte Geschichte aus? Die folgenden vier Komponentem finden Sie in erlebten und wahren Geschichten.

Detailreich: Echte Geschichten sind vielseitig und stecken voller kurioser und eigentlich unnötiger Details. Der Mensch, der sie erzählt, hat sie ja erlebt und kann alle Details wiedergeben. Wenn wir etwas live erlebt haben, hat unser Gehirn unzählige Informationen der Situation über die Sinnesorgane (Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut) gesammelt. Diese sind nun abgespeichert und können wiedergegeben werden. Menschen, die eine Geschichte erfinden, können diese nur detailreich schildern, wenn Sie sich die Dinge im Kopf zusammenstricken oder die Story an etwas bereits Erlebtes anknüpfen. 

Aussergewöhnliche Details: Sie sind die beste Garantie für wahre Geschichten. Damit ist gemeint, dass man sich bei Erlebtem sehr gut an Skurriles, Verrücktes und Ungewöhnliches erinnert.  Ich war vor Kurzem bei einem Anlass, der von einer grossen Schweizer Bank veranstaltet wurde. Der Event war völlig überbucht, so dass der Veranstalter auf einen wesentlich grösseren Raum ausweichen musste. Dabei hatte man vergessen, dass auch dieser Raum gewisse Kapazitätsgrenzen hat. Es kamen also die Gäste, ein nimmer endender Strom an Menschen. Nach 1100 Leuten musste man die Türen verriegeln und die Wartenden brüskieren. Leider war man auch beim Catering nicht auf diese Menschenmassen eingestellt. Die Besucher frassen uns im wahrsten Sinne des Wortes die Haare vom Kopf, schlugen sich fast um die Getränke und kratzten hingebungsvoll die Essenswannen aus. Es kam zu unglaublichen Szenen, die mich heute noch erheitern, wenn ich daran zurückdenke.
Wenn Sie nicht bei diesem Anlass dabei waren und stattdessen etwas anderes gemacht haben, können Sie diese Szenen niemals real und so skurril wiedergeben, wie es in der Realität war. Ausserdem können beim Lügen niemals die Gefühle, die sich bei real Erlebtem entwickelt haben, wiedergeben werden.  
Bei der obigen Geschichte kommen nun meine unverstandenen Einzelheiten zum Tragen. Jene Begebenheiten also, deren Sinn man nicht versteht. Warum hat man die Anmeldungen nicht besser kontrolliert oder gar gestoppt? Hat man vergessen, das Catering auf die neuen Teilnehmerzahlen abzustimmen? Wer hat das zu verantworten? Was hat man sich überhaupt dabei gedacht? War man sich der Folgen bewusst? Diese Informationen tauschte ich nach dem Event mit Freunden aus, ich versuchte den nichtverstandenen Vorfall mit meinem Umfeld zu diskutieren. Sie können sicher sein, dass uns diese unverstandenen Details sehr stark beschäftigen und wir dies gerne nach aussen tragen, um es zu verstehen und zu verarbeiten.  

Angaben über den eigenen emotionalen Zustand: Gefühle und Gedanken in kritischen oder schwierigen Situationen sind klare Indizien für die Wahrheit. Bezüglich des oben genannten Anlass schilderte ich meinen Freunden im Nachgang meine peinliche Berührtheit, als die Menschen sich gegenseitig angriffen und die Essens- und Trinkmenge der anderen kommentierten. Es gab regelrechten Futterneid und üble Nachrede. Das Gewicht eines Menschen wurde in Relation zur Essensmenge gesetzt. Ich war fassungslos und schüttle auch heute noch beim Gedanken daran den Kopf. Unglaublich, was mit Menschen passiert, wenn sie sich benachteiligt fühlen! In jeder erlebten Situation haben Sie Gefühle und Gedanken, die Sie in der Regel in den Schilderungen erwähnen. Kommen diese in einer Schilderung nicht vor, ist das ein Indiz für eine Lüge.

Infos über Raum und Zeit: Hier werden Rituale, Gewohnheiten, räumliche und zeitliche Details mit der Erzählung verknüpft. Der Anlass begann um 19 Uhr, bereits gegen 20 Uhr gab es nichts mehr zu essen und zu trinken. Die Catering-Mannschaft musste losziehen, um mehr Verpflegung zu besorgen. Es dauerte geschlagene eineinhalb Stunden, bis sie wieder etwas servieren konnten. Während meines Auftritts sassen die meisten auf dem Trockenen. So etwas ist mir in meiner gesamten Laufbahn noch nie passiert. Ich selbst gab meine Flasche Wasser ab und holte mein 6er-Pack Wasser, das ich immer im Auto habe, und wurde zum Selbstversorger. Normalerweise esse ich gerne nach meinem Auftritt, wenn die Anspannung nachgelassen hat. Aber diesmal war mir das nicht vergönnt, da es schlichtweg nichts mehr gab. Was für ein hungriges Volk! Wie in meinem Beispiel sehr schön beschrieben, verknüpfen wir das Erlebte mit unserem Alltag, bereits Erlebtem und bauen unsere eigenen Rituale/Abläufe ein. Fehlt diese Komponente, haben wir ebenfalls einen Hinweis auf die Lüge. 

Sie sehen, es gilt bei Erzählungen auf einiges zu achten. Nehmen Sie die Geschichten Ihrer Gesprächspartner ab sofort genauer unter die Lupe und schauen Sie, ob die wichtigen vier Komponenten enthalten sind. Ich wünsche Ihnen eine spannende Analysezeit! 

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Tatjana Strobel ist Expertin für Körpersprache, Physiognomie und Menschenkenntnis, Bestsellerautorin und Gründerin des Unternehmens TS-Headworks. 
Sie tritt regelmässig als Keynote-
Speakerin an Unternehmensevents auf.

tatjanastrobel.ch

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