Was ist überhaupt…?

Künstliche Intelligenz

Menschenähnliche Roboter, die schlauer sind als wir selbst, vielleicht sogar irgendwann die Macht übernehmen und ihre Erschaffer vernichten, sind nach wie vor Science-Fiction. Doch künstliche Intelligenz hat trotzdem längst Einzug in unseren Alltag gehalten. Weit subtiler als erwartet, oft unsichtbar, aber in den Auswirkungen nicht zu unterschätzen. 

Um was geht’s?

Das grosse Ziel der Forschung und Entwicklung rund um künstliche Intelligenz (KI) ist eine Maschine mit Bewusstsein, die wie ein Mensch denkt und ebenso reagiert, die kreativ ist und mit dem Menschen kommuniziert. Doch davon ist die Wissenschaft noch weit entfernt. «Heutige KIs sind ungefähr so intelligent wie eine Ratte», sagt Jürgen ­Schmidhuber. Der Co-Direktor des Istituto Dalle Molle di Studi sull’Intelligenza Artificiale (IDSIA) in Manno im Tessin gilt als einer der wichtigsten KI-Pioniere weltweit. Grosse Fortschritte gibt es trotzdem, und zwar im Bereich der sogenannten schwachen KI. Hier geht es darum, Maschinen zu schaffen, die dem Menschen einzelne Aufgaben abnehmen. Nicht nur rein mechanische, sondern auch solche, für die vorausschauende Entscheidungen notwendig sind. Mithilfe neuronaler Netzwerke haben Forscher wie ­Schmidhuber es geschafft, Computer lernfähig zu machen. Algorithmen und neuronale Netzwerke übernehmen schon heute immer mehr Aufgaben des Alltags nahezu selbständig.

Wofür wird’s benutzt?

«Künstliche Intelligenz ist heute überall», so Jürgen Schmidhuber. Er selbst hat die Spracherkennung von Computern vorangetrieben, ohne die wir weder mit Siri noch mit GoogleVoice, Cortana, Alexa oder Bigsby reden könnten. Und es geht noch viel weiter. Algorithmen empfehlen Bücher und Filme, sie finden mögliche Beziehungspartner, Computer schlagen menschliche Profis in den Spielen Go oder Schach, unser Smartphone kennt uns fast besser als wir uns selbst, Assistenzsysteme in Autos haben einen perfekten Überblick über den Verkehr und können vorausschauend Unfälle verhindern, automatische Übersetzungen reichen in vielen Fällen an die von Menschen gemachten heran, digitale Diagnosehelfer erleichtern Ärzten die Arbeit ... Die Liste lässt sich fortsetzen und erweitert sich ständig. Es gibt fast keinen Bereich des modernen Lebens, in dem KI nicht auf die eine oder andere Weise genutzt wird.

«Zunächst ist ein Gehirn ganz doof. Dann begreift es über Versuch und Irrtum, wie die Welt funktioniert.»

Wer hat’s erfunden?

Seit Jahrzehnten sind weltweit Wissenschaftler verschiedenster Fachgebiete mit der Entwicklung von KI beschäftigt. Teams aus Informatikern, Mathematikern, Neurologen, Psychologen, Kommunikationswissenschaftlern oder Philosophen arbeiten gemeinsam daran, intelligente Maschinen zu entwickeln und voranzutreiben. KI hat nicht nur einen Vater oder eine Mutter, sondern unzählige. Die Forschung findet mittlerweile nicht nur an Universitäten statt, sondern auch in Unternehmen wie Google, Facebook, Baidu oder Alibaba. Ein europäisches ist nicht dabei, sehr zum Ärger der hiesigen Forscher. Denn die Grundlagen für viele Anwendungen stammen aus der hiesigen Forschung, doch die führenden Tech-Giganten werben die Mitarbeitenden mit Millionengagen ab. «Ein bisschen wie bei Fussballern», sagt Schmidhuber. Und das ist ein Problem, denn nicht alle Unternehmen stellen ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung. Ohne die Quellcodes können andere Forscher die Ergebnisse aber nicht analysieren, nachvollziehen und weiterentwickeln. «Das behindert den Fortschritt», warnt Schmidhuber.

Wie funktioniert’s?

Künstliche Intelligenz setzt Lernfähigkeit voraus. Bis vor wenigen Jahren konnten Computer nur das, was ihnen vorher ein Mensch einprogrammiert und damit beigebracht hat. Forscher, die eine KI schaffen wollen, gehen anders vor. Sie simulieren ein Gehirn, das selbst lernt, wie es lernen soll. Das Prinzip ist dasselbe wie beim Menschen. «Zunächst ist ein Gehirn ganz doof. Dann begreift es langsam über Versuch und Irrtum, wie die Welt funktioniert. Etwa, dass ein Buch runterfällt, wenn man es anstösst», sagt Schmidhuber. Ein Gehirn muss also gefüttert werden mit Informationen, die es dann verknüpft, verarbeitet und sortiert. Bei Computern bestehen diese Informationen aus Daten. «Big Data hat zu einem massiven Schub der KI beigetragen», so Schmidhuber. Denn erst mit den riesigen Datenmengen der heutigen Zeit ist genügend Futter für die Maschinen vorhanden. Die neuronalen Netzwerke, mit denen Computer lernfähig gemacht werden, sind deshalb menschlichen Gehirnen und Nervenzellen nachempfunden. Die Netzwerke bestehen aus mehreren Schichten, jede enthält mehrere Knotenpunkte. Je wichtiger eine Verbindung ist, desto dicker ist sie. Jede Schicht enthält Parameter, die von Schicht zu Schicht detaillierter werden. Um einem Computer das Sehen und Erkennen von Gegenständen beizubringen, füttern die Forscher ihn beispielsweise mit Millionen Bildern, die mit Schlagwörtern versehen sind. Der Computer speichert in jeder Schicht neue Informationen über den Gegenstand und verknüpft sie miteinander. Ist der Gegenstand hell oder dunkel, eckig oder rund, blau oder rot, mit jeder Schicht des Netzwerkes erkennt der Computer besser, um was sich handelt. Bis er am Ende selbst entscheiden kann, ob er ein Auto oder ein Flugzeug vor sich hat. Doch ganz so einfach, wie das klingt, ist es nicht. Der Versuch, einem Computer beizubringen, zwischen einem Wolf und einem Hund zu unterscheiden, schien zum Beispiel zuerst sehr erfolgreich. Doch dann stellte sich heraus, dass auf allen Hundebildern Schnee im Hintergrund zu sehen war. Die Maschine hatte den Schnee als Merkmal abgespeichert und war nicht in der Lage, einen Hund auf einer grünen Wiese zu erkennen. Selbst führende Forscher verstehen also manchmal nicht, wie die von ihnen geschaffenen neuronalen Netzwerke und Algorithmen urteilen.

Was bringt’s?

«95 Prozent der KI-Forschung zielt darauf ab, den Menschen gesünder, langlebiger, glücklicher und abhängiger von seinem Smartphone zu machen», fasst Schmidhuber zusammen, was uns die künstliche Intelligenz bringen soll. Noch steckt die Entwicklung in den Kinderschuhen und die heutigen Anwendungen sind deshalb nur der Anfang. «Der Verknüpfung der KI mit dem Internet der Dinge, der Robotik und dem Maschinenbau gehört die nahe Zukunft», sagt Schmidhuber.

Macht’s auch Probleme?

Neben der Frage, was passiert, wenn intelligente Maschinen menschliche Arbeitskraft überflüssig machen, treibt viele vor allem ein Einsatzbereich der intelligenten Maschinen um: die Waffenindustrie. Die von ­Schmidhuber entwickelten neuronalen Netzwerke zur Spracherkennung kommen zum Beispiel nicht nur bei Facebook zum Einsatz, sondern auch bei der Steuerung von autonomen Kampfdrohnen. «Das lässt sich aber nicht verhindern», sagt Schmidhuber. Denn seine Forschungsergebnisse sind öffentlich und können von jedem genutzt werden. Zahlreiche Wissenschaftler haben deshalb einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie vor einer «dritten Revolution der Kriegsführung durch autonome Waffensysteme» warnen. Schmidhuber selbst hat auch unterschrieben, doch seiner Meinung nach geht die grösste Gefahr für Menschen nach wie vor von anderen Menschen aus. Bis Waffen selbst entscheiden, welche Ziele sie sich setzen, werde noch viel Zeit vergehen. Menschen, die Waffen für ihre eigenen Ziele nutzen, gäbe es dagegen schon heute, sagt er.

 

 

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