Geständnisse einer Vorzimmerdame

Allein in der Kaffeezone

«Für meine Angestellten stelle ich Kaffee und Wasser bereit und wenn sie am Samstag durcharbeiten müssen, dann spendiere ich ihnen auch das Mittagessen.» Das waren die Worte und die Philosophie meines Grossvaters. Er war Florist, Inhaber eines Blumengeschäfts und beschäftigte drei Angestellte und zwei Lehrlinge. 1955, als er sein Geschäft gründete, war er mit dieser Haltung ein Exot unter den Ladenbesitzern. Heute ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, dass die Mitarbeiter von der Firma mit kostenlosen Getränken versorgt werden. Die Kaffeezonen sind ausserdem neutrale Orte, wo unabhängig von Rang und Stellung über triviale Themen wie das aktuelle Wetter, die nächste Beförderungsrunde oder die Vorteile eines morgendlichen Earl Greys diskutiert werden darf.

Aber sie sind auch Orte, in denen unbewusst die niederen Charakterzüge eines Menschen offengelegt werden. Denn oft ist man in der Kaffeezone alleine. Und dann hält nichts mehr den inneren Schweinehund zurück. Verschütteter Kaffee bleibt liegen, der aus Versehen herausgelassene Milchkaffee wird hemmungslos im Wasserauffangbehälter der Kaffeemaschine entsorgt, gebrauchte Teebeutel werden in schmutzige Tassen gestopft oder auf den Boden geschmissen, aufgerissene Zuckerpackungen und Kaffeerahmbehälter kreuz und quer in der Kaffeeküche verteilt und das dreckige Geschirr auf der Küchenabdeckung deponiert, weil man sich zum Einräumen in die Waschmaschine bücken müsste. Zeig mir, wie du dich in der Kaffeezone verhältst, und ich sage dir, wer du bist!

Würde man im Kaffee-Treffpunkt Überwachungskameras installieren, hätte man vielleicht schon die eine oder andere Fehl-Beförderung verhindern können. Denn was sagt es über einen Menschen aus, wenn er für sein Tun die Verantwortung nicht übernimmt und davon ausgeht, dass andere seine Schweinereien beseitigen? Natürlich geht es hier nur um verschüttete Milch, aber was wäre, wenn aus der Milch plötzlich verspekulierte Pensionskassengelder würden? Nun wollen wir aber mal nicht den Laktose-Teufel an die kaffeebespritze Wand malen.

Im Übrigen ist es reiner Goodwill, wenn ein Arbeitnehmer die Kosten für Kaffee und Tee trägt. In vielen Unternehmen müssen die Mitarbeiter auch heute noch selbst dafür aufkommen. Wenn man also das Privileg des kostenlosen Pausenkaffees geniesst, dann sollte man sich darüber freuen und ab und zu die Spülmaschine einräumen. Ich arbeitete einst in einer Firma, die den Mitarbeitern Nespresso-Maschinen zur Verfügung stellte. Dazu gehörten sechs verschiedene Kapselsorten, zehn Teesorten, Kaffeerahm, Sojamilch, brauner und weisser Zucker. Alles kostenfrei. Eines Tages stand ein neuer Kollege in meinem Büro, der gerade frisch von der HSG bei uns angekommen war. Er beklagte sich darüber, dass seine Lieblingskaffeesorte nicht vorhanden sei und dass ich diese umgehend zu bestellen hätte. Ich schaute ihn lange wortlos an und erklärte dann: «Bescheidenheit mag in Ihren Augen vielleicht Old School sein, aber wenn Sie mal CEO werden möchten, dann lernen Sie besser schon heute, die Kosten im Griff und Ihre Bedürfnisse im Zaum zu halten.»

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Tamara Krieger arbeitet seit vielen Jahren als Geschäftsleitungsassistentin in einem grossen multinationalen Dienstleistungsunternehmen.

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