Portrait

Antikes Spielzeug, modernes Business

Cristina Tschuppert hat im Sommer ihren Job gekündigt und sich als Assistentin selbständig gemacht. In einem Gemeinschaftsbüro mitten in Luzern nimmt sie nun für externe Firmen Telefonanrufe entgegen, gestaltet Websites und organisiert Events. Bleibt etwas Zeit übrig, schmückt sie nebenbei das Schaufenster mit ihrem liebsten Hobby: antike Puppen und Teddybären

Cristina Tschuppert knallt niemand mehr Arbeit auf den Schreibtisch. Sie wählt selber aus, was sie machen möchte. Seit August dieses Jahres ist die Assistentin selbständig. «Und ich nehme nur Arbeiten an, die mir Spass machen.» Leicht sei es nicht, gibt sie ehrlich zu, «aber ich bin auch erst im Aufbau und es macht mir unglaublich viel Spass». In ihrem Büro steigt sie für den Fotografen auf ein Böckli und wieder runter, lächelt, erzählt, macht Kaffee und wirbelt dabei zwischen Küche, Pult und Sitzungstisch herum. Sie hat einen Arbeitsplatz in einer Bürogemeinschaft mitten im Bruchquartier in Luzern gemietet. Drei andere Frauen sitzen mit ihr in den hohen Räumen: zwei Kommunikationsexpertinnen und die Medienbeauftragte einer Naturkosmetik-Linie. Bei Cristina Tschuppert steht in pinken Lettern «Ihre Miss Moneypenny in Luzern» auf der Visitenkarte. «Ich mache fast alles», erklärt sie. Von Telefondiensten und Mailings über Social-Media-Auftritte bis zum Aufbau und Unterhalt eines Online-Shops oder der Organisation von Reisen und Events, stundenweise, projektbezogen oder als Einzelauftrag – ihr Portfolio ist bunt und breit. «So wird es nicht langweilig», sagt sie.

Schon ihre ersten Aufträge waren vielseitig: Sie war als Privatsekretärin einer alten Dame tätig und baute Websites für KMU wie Nagelstudios und Coiffeursalons auf. Dafür verwendete sie die gängigen Programme und kümmerte sich um den gesamten Inhalt sowie das Konzept – am Schluss stellte sie 800 Franken in Rechnung. «Das ist eine spannende Nische für mich: Kleine Firmen können sich keine professionellen Webdesigner leisten, haben aber auch nicht das Know-how oder die Zeit, den Auftritt selber umzusetzen.» Die 46-Jährige liebt solche konzeptionellen Arbeiten, bei denen sie auch ihre Kreativität und ihr Schreibtalent einsetzen kann. «Ich mag alles am Assistenzjob, ich helfe gerne.»

Bürgenstock als Plan B

Tschuppert ist direkt nach ihrer Ausbildung an der Städtischen Töchterhandelsschule in Luzern als Sekretärin ins Berufsleben eingestiegen. Später, als sie ihre beiden Kinder bekam, übernahm sie die Assistenzarbeiten für ihren damaligen Mann. In den vergangenen sechs Jahren war sie als Sachbearbeiterin in einem Dienstleistungsunternehmen tätig. «Den Schritt in die Selbständigkeit habe ich vor allem gewagt, weil mich die Herausforderung reizt. Ich reisse gerne neue Dinge an», sagt sie und lacht. Im Moment versucht sie vor allem durch Mund-zu-Mund-Propaganda als selbständige Assistentin bekannter zu werden, sie denkt über Flyer nach, die sie an Unternehmen verteilen könnte und sie greift zum Telefonhörer, um sich potenziellen Kunden vorzustellen. «Knallharte Akquise», beschreibt sie dies. Noch boomt das Business nicht ganz so, wie sie es sich erträumt hat. Doch das verunsichert sie nicht. «Ich bin optimistisch.» Körperlich ist die Luzernerin mit sardischen Wurzeln zwar kein Riese, aber sie hat grossen Kämpfergeist und lässt sich, wie sie sagt, nicht so schnell aus der Bahn werfen.

Und wenn die Selbständigkeit tatsächlich nicht fruchten sollte, gibt es in Tschupperts Weltverständnis einen neuen spannenden Weg. «Ich würde mich zum Beispiel als Assistentin auf dem Bürgenstock bewerben», entscheidet sie spontan. Auch das wäre nicht bloss ein Plan B, sondern eine Herzensangelegenheit. «Ich liebe den Bürgenstock und die Aussicht. Das Resort, das dort entsteht, fasziniert mich: seine Grösse, der Luxus und die moderne Architektur.» Damit widerspreche sie sich selbst, lacht Tschuppert, die in Hergiswil in einem Chalet wohnt. Eigentlich schlägt ihr Herz für alles Historische und Gemütliche.  «Ich mag es einfach, aber manchmal zieht es mich auch zum Luxus. Ich möchte mich nicht entscheiden, sondern mag die Balance zwischen den Extremen.»

Auch in Tschupperts Büro machen Gegensätze den Charme aus. Im Gebäude aus dem Jahr 1897 hängt eine riesige runde Lampe aus Champagnergläsern an der hohen Decke, eine Leuchtwand, die ihre Farbe ändern kann, steht im Kontrast zu den alten Mauern und die grosse Fensterfront erinnert an ein schickes Retro-Industriegebäude.

Liebe zum Historischen

Diese Fensterfront, die wie ein Schaufenster angelegt ist, hat Tschuppert seit ein paar Wochen beschlagnahmt. Auf einem kleinen Louis-XVI-Sofa sitzen alte Teddybären und antike Puppen, die das Herz von so manchen Passanten erwärmen. Auch Tschuppert sieht immer wieder gerne hin. «Das ist einer meiner Lieblinge», sagt sie und zeigt auf einen dunkelblauen Teddybären. Seit ihrer Jugend ist sie fasziniert von antiken Spielsachen, vor allem Puppen und Teddys. Das entzückende Sofa und die dazugehörige Bergère hat sie auf einem Antiquitätenmarkt gefunden und neu beziehen lassen. «Der Bär, ein Replikat von 1909, war eines meiner ersten Sammelobjekte. Zudem hat er eine Stimme. Er brummt, wenn man ihn kopfüber dreht, das macht ihn speziell», begründet sie ihre Vorliebe für den blauen Teddy. Als Sammlerin hatte sie schon mehrere solche Lieblinge, die sitzen aber 
alle nicht mehr zu Hause in der Napoleon-III-Vitrine. «Ich kaufe Puppen und Teddys, die mir gefallen, lasse sie restaurieren, behalte sie eine Zeit lang und gebe sie dann weiter. Ich bin kein Freak, der alles anhäufen möchte.»

Ausser Dienst:

Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Ich bin eher der Typ «Ich kann das» und lass mich durch nichts und niemanden stoppen. Ich brauche so gesehen also nicht sehr viel Mut. Aber ich leide unter Höhenangst.

Dieses Ritual ist mir wichtig: Das Nachtessen mit meinen beiden Kindern.

Das möchte ich gerne lernen: Vielleicht Arabisch?

Das macht mich wütend: Es braucht viel, um mich aus der Ruhe zu bringen, 
ich bin nicht oft wütend. Was ich nicht mag, sind Menschen, die grob zu Kindern sind. Auch Besserwisser und eine gewisse Engstirnigkeit nerven mich schnell.

Das bringt mich zum Lachen: Ich lache viel und gerne herzhaft, oft über mich selbst. Ich lasse mich aber auch sehr schnell anstecken, wenn andere lachen.

Diese Person würde ich gerne einmal zum Nachtessen treffen: Den Dalai Lama und Karl Lagerfeld.

Denn fast gleich gerne wie die hübschen Spielsachen mag sie das Drumherum: «Es ist schön, mit Gleichgesinnten zu fachsimpeln und internationale Kontakte zu pflegen.» Rund dreimal im Jahr reist sie nach Paris – die europäische «Hochburg» für Puppensammler – besucht Auktionen, Messen und stöbert auf Flohmärkten. «Ich suche nur Spielzeug aus den Jahren 1880 bis 1920», erklärt Tschuppert. Fälschungen kommt sie dabei schnell auf die Spur. «Das lernt man», sagt sie bescheiden. Ein paar Tausend Franken kostet eine schöne Puppe, bei Einzelstücken steigt der Preis bis ins Unermessliche. «Wichtig ist, dass sie nicht kaputt sind», erkärt die Sammlerin und schwärmt: «Wenn man bedenkt, wie sensibel Porzellan ist und dass Kinder mit den Puppen gespielt haben, ist es faszinierend, wenn ein Gesicht nach all den Jahren noch unversehrt ist.»

Diese Freude kann sie in der Schweiz nicht mit vielen teilen. «Hier gibt es nicht viele Sammler.» Ganz anders als zum Beispiel in den USA, wo jede grössere Stadt einen «Doll Club» hat. Tschuppert ist im kalifornischen Monterey Mitglied in einem solchen Klub. Sie hat allgemein eine Schwäche für Kalifornien. «Ich könnte mir gut vorstellen, einmal ein halbes Jahr in den Staaten zu leben.»

Stadtführerin im Nebenamt

Für immer auszuwandern, kommt für die Assistentin aber nicht in Frage. Zu sehr liebt sie ihre Heimat und vor allem Luzern, wo sie aufgewachsen ist. «Ich bin richtig verliebt in die Stadt.» So oft wie möglich verbringt sie Zeit in Luzern, geht am Samstagmorgen zum Einkaufen auf den Wochenmarkt, geniesst die schöne Umgebung mit See und Bergen und trinkt ab und zu einen Kaffee in der Altstadt, wo sie gerne die alten Gebäude betrachtet.  Tschuppert kennt ihre Geschichte und Geschichten bis ins Detail; im Mai 2014 hat sie die Prüfung zur Stadtführerin abgelegt. «Dieser Nebenjob ist mein zweites grosses Hobby», sagt sie. Die Prüfung lag ihr allerdings schwer auf dem Magen. Weniger wegen des vielen Stoffs als wegen der Prüfungssituation an sich: «Ich habe mein ganzes Leben lang daran gearbeitet, in jeder Situation ich selbst sein zu können. Während einer Prüfung aber muss man in kürzester Zeit die Erwartungen anderer erfüllen. Dieser Gedanke hat mich gestresst.» Unnötig, wie sich herausstellte. Sie hat die Prüfung bestanden und zeigt Besuchern jetzt auf ihre ganz persönliche, herzliche Art die Stadt in ihrer ganzen Schönheit.

Zur Person:

Cristina Tschuppert ist in Luzern aufgewachsen. Ihre Eltern sind aus Sardinien, bis heute macht sie gerne auf der Insel Ferien. Nachdem sie ihre Kindheit und Jugend in der Stadt verbrachte, ist sie später mit ihrem Mann nach Hergiswil 
im Kanton Nidwalden gezogen. Sie lebt dort mit ihren 
zwei Kindern in einem Chalet. Seit ihrer Ausbildung an der Städtischen Töchterhandelsschule in Luzern war sie immer als Assistentin oder Sachbearbeiterin tätig. Im August dieses Jahres hat sie den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. Als «Miss Moneypenny in Luzern» erledigt sie diverse Assistenzaufgaben als Freischaffende. Nebenbei ist sie seit Mai 2014 offizielle Stadtführerin für Luzern Tourismus und bringt deutsch- und italienischsprachigen Gästen die Stadt näher.

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