Porträt

Das Zwischenmenschliche ist entscheidend

Severin Oechslin ist einer der wenigen Männer in der Assistenzbranche. In seiner Funktion unterstützt er seine Chefin Pia Tischhauser im Tagesgeschäft und leitet das Assistenzteam bei der Boston Consulting Group AG Switzerland in Zürich. Ein Plädoyer für mehr Männer in diesem ausser­gewöhnlich schönen Berufsfeld.

Grünes Veston, weisses T-Shirt, schwarze Hose: Severin Oechslin gibt sich heute betont leger. «Bei der Boston Consulting Group Switzerland (BCG) legen wir Wert auf eine entspannte Kleiderordnung», sagt er. «Auch wenn unser Image als internationale Unternehmensberatung oft etwas anderes vermuten lässt.» Wenn es die Situation verlangt, trage er auch einmal eine Krawatte, «aber das kommt selten vor.» 

Der heutige Look passt zu Oechslins ruhiger, unprätentiöser Art. Er ist keiner, der sich mit Ellbogen durchsetzt, auch wenn der inzwischen 30-Jährige genau weiss, was er will. In den vergangenen Jahren hat er seinen Weg im Unternehmen zielstrebig verfolgt – vom Marketing-Praktikum bis zur persönlichen Assistenz von Geschäftsleitungsmitglied Pia Tischhauser sowie zum Leiter des Assistenzteams in der Schweiz. «Dass ich mich persönlich weiterentwickeln konnte, ist einer der Gründe, weshalb ich BCG bis heute treu geblieben bin.» 

Severin Oechslins Weg zur Unternehmensberatung beginnt 2013 mit einem Pflichtpraktikum im Rahmen seiner Ausbildung an der Handelsmittelschule Zürich. «Ich wollte bewusst in ein internationales Umfeld», erinnert er sich. Versicherungen und Banken erschienen ihm zu gross und zu anonym. Also entschied er sich für eine damals noch eher kleine Unternehmensberatung mit rund 250 Mitarbeitenden am Standort Zürich. Heute sind es doppelt so viele. Während seines Marketing-Praktikums organisiert er Veranstaltungen, setzt Mailings auf, pflegt Pressekontakte, betreut Datenbanken und bringt sich auch in strategische Projekte ein. 

Nach seinem Abschluss 2014 bleibt er dem Unternehmen zunächst stundenweise erhalten, geht auf Reisen und beginnt 2015 sein Bachelorstudium in Business Administration an der ZHAW in Winterthur. Noch während des Vollzeitstudiums bietet ihm BCG eine Festanstellung im 40-Prozent-Pensum an. Ein Angebot, das er gern annimmt. «Nur zu studieren, das ist nicht meine Welt. Ich brauche den ­Ausgleich. Zudem konnte ich so mein eigenes Geld verdienen.» Bald arbeitet er 60 Prozent. 

«Oft habe ich abends nach den Vorlesungen noch gearbeitet. Das war anstrengend, aber für mich hat es gepasst.» Zumal er im Marketing zunehmend Verantwortung übernimmt, etwa bei der Einführung einer neuen Datenbanklösung. Oechslin geht in Studium und Arbeit auf. 2018, noch im letzten Studienjahr, wird er zum Senior im Marketing befördert und steigt auf ein 100-Prozent-Pensum um. Danach stellt sich für ihn die Frage: Wie weiter im Marketing? «In meiner damaligen Rolle sah ich bei BCG kaum noch Entwicklungsmöglichkeiten. Also fragte ich mich, was nun?» 

Vom Vorurteil zur Traumrolle  

Im Sommer 2019 wird die Stelle des persönlichen Assistenten von Geschäftsleitungsmitglied Pia Tischhauser frei. Als Severin Oechslin gefragt wird, ob das nicht etwas für ihn sei, ist seine Reaktion: «Assistent? Sicher nicht!» Rückblickend schmunzelt der heute 30-Jährige über diese Antwort. «Ehrlich gesagt hatte ich damals keine Ahnung, was ein persönlicher Assistent genau macht.» 

Doch ein Gespräch mit dem bisherigen Assistenten, ebenfalls ein Mann, öffnet ihm die Augen. «Er zeigte mir, wie vielfältig und verantwortungsvoll die Rolle ist und wie viel man dabei lernt. Dieses Gespräch hat mein Bild komplett verändert.» Oechslin bewirbt sich, durchläuft den Auswahlprozess und erhält die Stelle. «Heute würde ich sagen: Ich würde es jederzeit wieder tun. Es ist die spannendste Rolle, die ich je hatte.»

Was ihn am Assistenzberuf besonders fasziniert? Die direkte Zusammenarbeit mit einer Person wie Pia Tischhauser. «Für mich ist das Zwischenmenschliche entscheidend, und ich schätze meine Chefin sehr. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so viel Energie ausstrahlt.» Ihre Motivation sei ansteckend, ihre Haltung beeindruckend: Ein «Nein» gebe es bei ihr nicht. «Für sie gibt es immer einen Weg, eine Lösung. Sie bringt diese Haltung auch ins Team, hat ein feines Gespür für Menschen und ihre Herausforderungen und schafft es, die Balance zwischen internen und externen Ansprüchen zu wahren. Das finde ich bewundernswert.» 

Severin Oechslin Pia Tischhauser sowohl in persönlichen als auch in strategischen Belangen. Für ihn ist der Assistenzberuf deshalb mehr als eine administrative Tätigkeit. «Es ist ein Job mit grosser Verantwortung, strategischem Einfluss und Wirkung.» Sein Wunsch: Der Beruf sollte mehr Anerkennung erfahren – auch aus der Sicht von Männern. «Ich hoffe, dass künftig mehr Männer diesen Beruf ergreifen. Denn Assistenz ist keine Frage des Geschlechts, sondern des Talents. Jede und jeder kann zur Professionalisierung dieses Berufs beitragen.» 

Meine Wahl
 

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Foto: Aniela Lea Schafroth

National oder international? 
Beides. Ich bin stark in Zürich verwurzelt, dort aufgewachsen und lebe bis heute hier. Gleichzeitig bin ich beruflich in einem sehr internationalen Umfeld unterwegs und ich reise sehr gern. Ich komme aber genauso gern immer wieder zurück nach Hause.

Podcast oder Hörbuch?
Ganz klar: Podcast. Ich höre täglich sehr unterschiedliche Formate – von «Echo der Zeit» bis zu «Gemischtes Hack». Auch zur politischen Meinungsbildung, insbesondere während Wahlphasen, konsumiere ich gezielt politische Podcasts.

Krawatte oder Kapuzenpulli?
Kapuzenpulli. Ich finde Krawatten schön, aber nicht jeden Tag. Im Geschäftsalltag orientiert sich der Dresscode jeweils an der jeweiligen Kundin oder dem Kunden. Sonst gilt gesunder Menschenverstand: schlicht, gepflegt, aber entspannt.

Frühaufsteher oder Nachteule?
Nachteule, auch wenn ich durch mein Kind gezwungenermassen zum Frühaufsteher geworden bin. Aber meine produktivste Zeit ist und bleibt abends. Das funktioniert in einer Unternehmensberatung erstaunlich gut, und meine Chefin tickt da glücklicherweise ähnlich.

Restaurant oder selber kochen?
Ganz klar selbst kochen. Ich bin der Koch bei uns zu Hause, fünf- bis sechsmal pro Woche. Ich liebe warme Abendessen und schwere Küchen – vor allem italienisch, deftig, mit viel Geschmack. In letzter Zeit habe ich auch die vegetarische und vegane Küche für mich entdeckt. Ich finde es spannend, mit pflanzlichen Zutaten kreative Gerichte zu entwickeln, die auch ohne Fleisch überzeugen.

Karriereupdate: Assistent und Leiter des Assistenzteams 

Im Jahr 2022 ändert sich Severin Oechslins Rolle, als Pia Tischhauser ihre globale Verantwortung im Versicherungsgeschäft von BCG abgibt. Sie benötigt keine Vollzeitassistenz mehr. Gleichzeitig wird die Leitung des Assistenzteams frei. Oechslin reduziert sein Pensum als persönlicher Assistent bei Tischhauser und übernimmt die Führung von rund 40 Assistenzen an den Standorten Zürich und Genf. «In dieser Rolle begleite ich unsere Assistenzen durch ihren gesamten Karriereweg, von der Einführung bis zum Austritt», erklärt er. Dazu gehören Feedback-Gespräche, Coachings und individuelle Trainings. 

Nebst der Personalentwicklung ist Oechslin auch in strategische Fragen involviert, etwa bei der Ressourcenplanung und der Implementierung digitaler Tools, einschliesslich KI-basierter Systeme zur Optimierung der Arbeitslast. Sein Ziel: Spielräume schaffen und Prozesse effizienter gestalten. Rund 50 bis 60 Prozent seiner Zeit widmet er seiner Führungsaufgabe. Die restliche Zeit ist für Pia Tischhauser reserviert. 

Anfangs versuchte er, seine Tage strikt zu blocken, «aber der Assistenzberuf ist stark reaktiv». Heute organisiert er seine Zeit transparent, markiert Blocker-Termine in der Agenda und kommuniziert offen mit seinem Team. «Die Balance zwischen beiden Rollen ist entscheidend. Ich bin für mein Team da, aber auch für Pia, wenn es nötig ist.» 

Seit einem Jahr ist der 30-Jährige nebst seiner beruflichen Rolle auch in jener des Vaters einer 13 Monate alten Tochter. Um Familie und Beruf zu vereinbaren, haben er und seine Partnerin ein funktionierendes Modell entwickelt: «Ich arbeite zu 100 Prozent, meine Partnerin zu 60 Prozent angestellt und 20 Prozent selbstständig. Unsere Tochter geht zwei Tage in die Kita, zwei Tage zu den Grosseltern, und einen Tag bleibt sie bei uns.» 

Die abendliche Familienzeit ist beiden sehr wichtig. «Ich bin der Koch in der Familie und liebe es, kreative Gerichte zu zaubern.» Nach dem Abendessen, wenn die Tochter schläft, könne es aber durchaus sein, dass er noch einmal arbeitet – «ich bin abends besonders produktiv. Dann denke ich nach, sortiere Themen und überlege  mir Lösungen.» Diese Arbeitsweise harmoniert mit dem Rhythmus seiner Frau, die ebenfalls oft abends selbstständig tätig ist. Wenn Severin nicht arbeitet oder die Familienzeit geniesst, findet man ihn auf dem Fussballplatz. Mannschaftssport biete ihm nicht nur Bewegung, sondern auch sozialen Austausch.  

BCG als Arbeitgeber 

Severin Oechslins langjährige Zugehörigkeit zu BCG ist nicht nur den verschiedenen Rollen geschuldet, die er im Unternehmen übernommen hat, sondern auch der Unternehmenskultur. Besonders schätzt er die Flexibilität durch Homeoffice und Workation sowie die klare Förderung von Weiterbildung. «Wir haben ein umfassendes internes Trainingsangebot und ermutigen alle, an zwei bis drei Trainings pro Jahr teilzunehmen.» Oechslin selbst schloss beispielsweise die Ausbildung zum zertifizierten Mental Health Coach ab. Eine Qualifikation, die ihm in seiner heutigen Rolle sehr hilft. 

Ein weiterer Aspekt, der ihn überzeugt, ist die gelebte Diversität und Inklusion: «In meinem Team arbeiten Menschen aus rund 10 bis 15 Nationen. Diversität ist für uns kein Etikett, sondern gelebter Alltag.» Besonders hervorzuheben sei auch die konsequente Gleichberechtigung in der Elternzeit: «Bei uns erhalten Väter und Mütter den gleichen Mutterschafts- beziehungsweise Vaterschaftsurlaub. Das ist nicht nur ein Zeichen der Gleichstellung, sondern erleichtert auch den Wiedereinstieg für Mütter.» Severin Oechslin hat von diesem Privileg selbst profitiert. BCG fördert zudem gezielt Kinderbetreuung und bietet individuelle Unterstützung für Familien.  

Nun, nach drei Jahren in seiner aktuellen Rolle, stellt sich für Severin Oechslin langsam die Frage: «Was kommt als Nächstes?» Erst einmal stehen für ihn in den kommenden Wochen die Mitarbeitendengespräche an. Anschliessend tritt er den zweiten Teil seines Vaterschaftsurlaubs an, eine Auszeit von Juni bis Mitte September. «Eine Zeit für mich, für meine Familie und auch für neue Gedanken. Es bleibt spannend bei BCG.»

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BCG Severin Oechslin

Foto: Aniela Lea Schafroth

Severin Oechslin

Severin Oechslin, Jahrgang 1994, wächst im Zürcher Seefeld auf. Von 2010 bis 2014 besucht er die Handelsmittelschule an der Kantonsschule Hottingen in Zürich. Im Rahmen seiner Ausbildung absolviert er ein Marketing-Praktikum bei der Boston Consulting Group (BCG) in Zürich. Ein erster Schritt in jenes Unternehmen, das ihn später langfristig prägen sollte. Nach dem Schulabschluss nimmt Oechslin im September 2015 das Bachelorstudium in Betriebsökonomie mit Vertiefung in Banking & Finance an der ZHAW School of Management and Law in Winterthur auf. Parallel dazu bleibt er der Boston Consulting Group treu und arbeitet in verschiedenen Marketing-Funktionen weiter. 

Noch während des Schreibens seiner Bachelorarbeit tritt er im Juni 2018 eine Vollzeitstelle als Senior Marketing Specialist bei BCG in Zürich an. Im September 2019 wechselt er in den Assistenzbereich und wird Senior Executive Assistant von Pia Tischhauser. Ab März 2022 erweitert er sein Aufgabenspektrum erneut und ist seither zusätzlich als People Manager für das Swiss Assistant Team verantwortlich. Oechslin lebt mit seiner Partnerin und der gemeinsamen Tochter im Zürcher Seefeld.

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Christine Bachmann ist die Chefredaktorin von Miss Moneypenny.

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