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Chief of Staff als nächster Karriereschritt?

Der Jobtitel Chief of Staf ist teils heiss begehrt, teils stark umstritten. Inwiefern der Chief of Staff eine sinnvolle Karriereentwicklung für die Assistenz ist, diskutieren Katrin Stigge und Ute Barnickel. 

Der Begriff Chief of Staff (CoS) hat seinen Ursprung im militärischen und politischen Umfeld, insbesondere im angloamerikanischen Raum. Er bezeichnet eine Schnittstellenfunktion, die der obersten Führungsriege (Präsident, CEO, General) eng zur Seite steht und eine Brücke zwischen strategischer Führung, operativer Umsetzung und internen wie externen Stakeholdern bildet. 

Chief of Staff als nächster Karriereschritt für Assistenzen?

Katrin Stigge,  Gründerin ANIMARTES Business School  

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Katrin Stigge

Foto: Marc Gilgen

«Ja, wenn Assistenzen bereit sind, sich neu zu orientieren, zu lernen, zu wachsen und Verantwortung anders zu denken. Das ist kein Selbstläufer. Aber es ist möglich, nötig und es ist höchste Zeit. Die Zukunft wartet nicht. Wer sich neu ausrichtet, verändert mehr als die eigene Rolle – sei es als Executive Business Partner, Chief of Staff oder auf einem ganz neuen Weg.  

Die Wirtschaft steckt voller Baustellen. Führung wird komplexer, Unternehmen suchen nach neuen Wegen, Prozesse verändern sich radikal. Gleichzeitig verharren viele in der Zuschauerrolle, während andere längst aktiv gestalten. Wir leben in einer Zeit, in der es leichter ist, zu kommentieren, als Verantwortung zu übernehmen.

Assistenzen agieren täglich an den neuralgischen Schnittstellen des Unternehmens. Sie verstehen organisatorische Dynamiken, kennen die informellen Netzwerke und haben einen einzigartigen Überblick über Prozesse und Strukturen. Diese Schnittstellen-Kompetenz ist für Chief-of-Staff-Rollen von unschätzbarem Wert. Sie verfügen zudem über praktische Organisationserfahrung. Sie wissen, wie Entscheidungen tatsächlich umgesetzt werden, wo die Reibungspunkte liegen und wie man verschiedene Stakeholder zusammenbringt. Diese operative Verankerung ist gerade in der strategischen Steuerung ein grosser Vorteil.  

Der Übergang zum Chief of Staff erfordert zusätzliche Qualifikationen: Strategisches Denken muss geschärft, analytische Fähigkeiten müssen ausgebaut und Finanzverständnis muss entwickelt werden. Doch diese Kompetenzen lassen sich durch gezielte Weiterbildung, MBA-Programme oder den Einstieg in strategische Projekte erlernen. 

Der entscheidende Vorteil: Assistenzen bringen die organisatorische DNA mit, die anderen fehlt. Ein Consultant kann Strategien entwickeln, aber versteht er wirklich, wie sie in der Unternehmensrealität umgesetzt werden? Eine Assistenz mit zusätzlicher strategischer Ausbildung kombiniert beides: Theorie und Praxis. Jetzt kommt KI. Das ist nicht nur ein Tool. KI stösst einen tiefgreifenden Wandel an; Stellen verschwinden, neue entstehen. Was bleibt? Alles, was Maschinen nicht können: Vorstellungskraft, Beziehungsfähigkeit, echte Kreativität. Genau hier liegen die Stärken vieler Assistenzen. 

Die, die mehr wollen, stossen oftmals auf alte Strukturen. Auf ‹Das war schon immer so.› Aber genau da beginnt die Gestaltung. Es braucht heute mehr als Fleiss und Loyalität. Es braucht Neuausrichtung und echte Pionierarbeit. Die Mutigen bringen beides mit. Sie sind die Brücke zwischen gestern und morgen.»

Ute Barnickel, Geschäftsführerin Barnickel & Fellows  

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Ute Barnickel

Foto: Maren Kindler Photography

«Nicht ausgeschlossen, aber in der Regel schwierig. Chief of Staff (CoS) mag wie eine Assistenz mit Führungsverantwortung klingen. Doch tatsächlich liegt der Schwerpunkt woanders. Während ein Executive Assistant mehrheitlich organisatorisch entlastet, verantwortet der CoS komplexe strategische und operative Steuerungsaufgaben. 

Das setzt entsprechende Qualifikationen voraus. Hier dominieren nicht administrative und organisatorische Kompetenzen, sondern analytisches Denken, strategisches Verständnis, Methodenkompetenz und Branchenerfahrung. Wenn wir für unsere Auftrag­gebenden eine Chief-of-Staff-Rolle besetzen, sind in der Regel eine akademische Ausbildung (B. A. oder MBA) in Betriebswirtschaft, Volkswirtschaftslehre oder Wirtschaftsrecht die Einstiegsvoraussetzung.  

Zudem werden Erfahrungen im Bereich Consulting, in Private Equity oder in Inhouse-Strategy-Teams grösserer Unternehmen verlangt. Damit verbunden die Fähigkeit, komplexe Themen schnell zu erfassen, beispielsweise Wertschöpfungsketten genau zu verstehen, Konzept- und Strategiepapiere zu erarbeiten, Business-Intelligence- und Daten-Analysen, Entwicklung von Finanzmodellen für Szenario-Analysen sowie die (Weiter-)Entwicklung von KPI-Strukturen zur Steuerung von Performance und Ziel­­er­reichung. Ein Zahlenflair sollte also vorhanden sein.   

Von den Assistenzaufgaben, trotz permanenter Weiterentwicklung, unterscheidet sich der Aufgabenbereich also deutlich und die Anforderungen sind nicht aus der Luft gegriffen; sie spiegeln die Realität wider. Der CoS arbeitet inhaltlich direkt mit der Geschäftsleitung, Investorinnen und Investoren und dem Senior Management zusammen. Nachgewiesene Expertise bei strategischen und operativen Fragestellungen und Erfahrung in vorgenannten Themen öffnet Türen und schafft Akzeptanz. 

Eine Chief-of-Staff-Funktion ist eine eigenständige Fach- und Führungsrolle. Der Wechsel vom Executive Assistant zum Chief of Staff ist mit gezieltem Kompetenzaufbau, fundierter Weiterbildung und einschlägiger fachlicher Expertise möglich.  

Fazit

Für Executive Assistants und HR-Verantwortliche ist es wichtig, die Unterschiede zu kennen und die Erwartungen jeweils entsprechend richtig zu managen. Missverständliche Stellenausschreibungen können nicht nur zu Verwirrung im Bewerbermarkt, sondern auch zu Frustration auf beiden Seiten führen. Der Chief of Staff ist aber weder eine moderne oder neue Version des Executive Assistants noch der nächste ‹sinnvolle Schritt zur Weiterentwicklung›, den ich per se empfehle, sondern eine Steuerungsfunktion für die Unternehmensleitung. Es braucht klare Suchprofile, Marktkenntnis und Fingerspitzengefühl bei der Auswahl. Und manchmal auch etwas Aufklärungsbedarf.»

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Ute Barnickel ist als Beraterin bei DA Unternehmens­beratung in Personalfragen, Zürich, im ­Bereich ­Segment ­Executive ­Assistants/Office ­Management ­tätig.

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Katrin Stigge kombiniert mit der Gründung ihres ­Unternehmens «ANIMARTES Business School & Community» ihr Expertenwissen auf den Gebieten Assistenz, HR, Führungskräfteentfaltung, Job Design, Personal Branding und Community Management. Sie begleitet als Business-Mentorin und Sparringpartnerin Assistenzen und Führungskräfte dabei, sich in ihrem beruflichen Alltag klar zu positionieren, und unterstützt sie dabei, ihrer Einzigartigkeit und Vielseitigkeit zu vertrauen und damit ihren persönlichen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens zu leisten. Stigge bietet die erste ­deutschsprachige Weiterbildung zum Chief of Staff aus der Rolle der Assistenz an.
katrinstigge.com

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