Portrait

Die Harley-Braut vom Prime Tower

Rosanna Sivillica betritt den Prime Tower in Zürich morgens im Harley-Davidson-Lederkombi und wird in einem kleinen Umziehraum von der Easy Riderin in Motorradkluft zur Geschäftsleitungsassistentin in Bluse bei der Deutschen Bank. Die Coolness der Harley-Fahrerin legt sie aber auch im Büro nicht ab.

Für einmal hat sich Rosanna Sivillica von rein äusserlichen Reizen verführen lassen. Auf der Suche nach der perfekten Harley Davidson hat sie sich vor allem für die Ästhetik der Töffs interessiert. Als sich herausstellte, dass die neue «Breakout» neben ihrem tollen Rahmen und der schönen Hülle in Weiss auch noch ein absolutes Kraftpaket ist, war der Fall für sie klar: Das war die Maschine, nach der sie gesucht hatte. «Kein Frauenmodell», bekam sie zu hören. Zu gross, zu schnell, zu schwer. Doch das Stirnrunzeln der Männer liess sie kalt. «Ich weiss, dass die meisten Frauen eine 883er ­fah­ren. Aber für mich ist das gerade ein Grund, etwas Grösseres auszuwählen.» Rosanna Sivillica hat jetzt eine 1700er mit viel leistungsstärkerem Motor unter dem Sitz – und hat den Entscheid noch keine Sekunde bereut.

Die Assistentin reagiert gerne etwas trotzig, wenn sie in eine Schublade gesteckt wird. «Das reizt mich, es genau anders zu machen, als von mir erwartet wird», erklärt sie. Sie wird ­selber gerne von Menschen überrascht, revidiert ihr Bild von einer Person gerne. Solche «Wow-Menschen», wie sie es nennt, findet sie cool. Über sich selbst sagt sie: «Es gefällt mir, etwas zu machen, was nicht alle tun.»

Jeans statt Rock

Morgens im Lederkombi in die Deutsche Bank zu laufen zum Beispiel und sich neben die Frauen in Highheels und Deuxpièces in den Lift zu stellen. «Für mich ist der Töff auch Mittel zum Zweck. Im Büro anzukommen und schon ein Fährtli gemacht zu haben, ist herrlich.» In einem kleinen Raum streift sie die Motorrad-Kluft ab und zieht Bluse und Ballerinas aus dem Harley ­Davidson-Rucksack. Und die Frisur unter dem Helm? «Ach, da wird übertrieben. Das ist gar nicht so schlimm.» Sivillica mag es unkompliziert. Auch was ihre Bürokleidung angeht, erfüllt sie das Banken-Klischee nicht. «Ich habe nicht den klassischen Banken-Stil, das entspricht mir nicht. Wenn es die Situation verlangt, komme ich in Rock und Blazer oder einem Cocktailkleid. Aber ich kann auch in einem casual Business-Stil arbeiten, weil ich keinen Kundenkontakt habe.» Sich etwas anzupassen sei kein Problem, sagt Sivillica, aber man müsse sich selber treu bleiben. «Authentizität ist mir wichtig. Und ich glaube, das hat mir auch schon zur einen oder anderen Stelle verholfen.»

Seit vier Jahren arbeitet die Assistentin bei der Deutschen Bank, seit zweieinhalb Jahren im Prime Tower in Zürich. «Früher waren wir in einem denkmalgeschützten Gebäude am Bahnhofplatz/Bahnhofquai und ich muss zugeben, ich hatte Zweifel, ob der Umzug gut ist. Zürich West war für mich eine Ausgehmeile.» Zusammen mit Freunden ist sie hier früher oft «zum Dancen» um die Häuser gezogen. «Ich war nicht wild, aber sehr aktiv», sagt sie und lacht. Musik gehört zu ihrem Leben, sie hat 11 000 Songs auf ihrem iPhone und mag alles, was rhythmisch ist. «Wenn ich nach Hause komme, stelle ich sofort das Radio an.»

Ausser Dienst

Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Für die erste Fahrt mit meiner ­eigenen Harley, bei der ich alleine unterwegs war.
Dieses Ritual ist mir heilig: Jeglichen Schmuck abzustreifen, wenn ich nach ­Hause komme.
Darüber ärgere ich mich: Notorische Linksfahrer kosten mich viel Nerven.
Das möchte ich gerne lernen: Einen Gang runterzuschalten. Und Tango! Ich hatte bei meinem Aufenthalt in Buenos Aires leider nur zwei Tanzstunden.
Das bringt mich zum Staunen: Wie gewisse Freunde und Bekannte mit extremen Schicksalsschlägen umgehen können.
Diese Person würde ich gerne einmal kennenlernen: Christian Grey aus dem Bestseller Fifty Shades of Grey.

Dass sie jetzt in ihrer einstigen Partyhochburg arbeitet, gefällt ihr inzwischen sehr gut, die anfänglichen Bedenken sind verflogen. «Es war ein guter Entscheid von der Geschäftsleitung. Die Mischung im Quartier, das Umfeld hier ist super.» Auch sonst ist sie sehr zufrieden mit ­ihrem Arbeitgeber. Sie ist die Assistentin eines Geschäftsleitungsmitglieds, Head Deutsche ­Asset & Wealth Management Nordic & Central Europe, «er ein grosser, dynamischer Norddeutscher, ich die kleine, temperamentvolle Sizilianerin», beschreibt sie das Gespann. «Wir sind komplett unterschiedlich, aber wir kommen super miteinander klar.»

Für ihn erledigt sie die gesamte Administration, bucht Reisen, führt die Agenda, nimmt Telefonanrufe entgegen und bereitet Dokumenta­tionen vor. Ins Tages­geschäft hingegen ist sie nicht eingebunden. Dafür hilft sie immer wieder im kleinen GL-­Assistentinnen-Team aus. «Jede von uns hat ihr Spezialgebiet. Meines ist IT», erzählt Rosanna Sivillica. Sie sitzt direkt neben der CEO-­Assistentin. Die klare Aufgabenaufteilung sei sehr positiv, jede hätte ihren eigenen Chef, aber sie könnten sich gegenseitig jederzeit vertreten. Der Umgang ­untereinander sei direkt und offen. «Zickenkrieg gibt es bei uns nicht. Aber manchmal lachen wir so laut, dass mein Chef fragen kommt, was denn so lustig sei.»

Nicht immer hat Rosanna Sivillica in einem so lebendigen Umfeld gearbeitet. «Ich war jahrelang in der Buchhaltung tätig und kam eher zufällig in die Assistenz», erzählt sie. Sie konnte schon immer gut mit Zahlen umgehen, macht heute noch gerne Tabellen und tüftelt an PC- oder Software-Fragen. Aber die Buchhaltung war ihr mit den Jahren etwas zu einsam und zu trocken. «Heute bin ich ständig mit Leuten in Kontakt. Das passt besser zu mir.»

Vielleicht hat das mit ihrer Familiengeschichte zu tun. Als viertes von sechs Kindern war sie zu Hause nie alleine. «Meine Eltern sind aus Sizilien, sie haben uns streng erzogen. Die beiden Welten, das italienische Zuhause und das schweizerische Umfeld zu vereinen, war nicht immer einfach.» Trotzdem hat sie bis heute ­einen engen Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern, und ihre drei älteren Brüder haben nicht nur ihr Flair für Technik geprägt. «Sie ­haben damals Töffli frisiert, das wollte ich auch.» Mit 16 hatte sie ihren ersten frisierten Ciao – was der Polizei bei der Kontrolle auch sofort auffiel, nachdem sie ohne Helm erwischt worden war. «Ich war für jeden Streich zu haben. Schminke, Kleider und typische Mädchen­themen interessierten mich überhaupt nicht.» Mit 18 Jahren sass sie zum ersten Mal bei einem Kollegen hinten auf einer Aprilia. «Ich kann mich heute noch an diesen Tag erinnern, es war toll. Aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen, selber Töff fahren zu lernen.»

Felgen statt Speichen

Das wurde erst rund 20 Jahre später ein Thema. Zusammen mit ihrem damaligen Freund hat sie sich einen grossen (300er) Roller gekauft. «Und weil wir auch zu zweit mit etwas Pfupf fahren wollten, haben wir die Prüfung für grosse Maschinen gemacht. Leider hatte er am Prüfungstag einen Unfall und hat deshalb die Prüfung nicht bestanden.» Nachdem die langjährige Beziehung in die Brüche gegangen war, blieb der Roller deshalb bei Rosanna Sivillica.

Eines Tages nahm eine Kollegin sie in einen Harley-Davidson-Club mit. «Ich war überrascht, dass es da so viele Fahrer gab, denen man nie eine Harley als Hobby zugeschrieben hätte.» Dank vielen alten Freunden, die Töff fahren «und gutem Marketing von Harley Heaven in Dietikon», zwinkert Sivillica, hat sie Benzin geschnuppert. Am «Ladies Ride», wo auch Frauen, die noch nie auf einem Töff gesessen haben, einige Maschine ausprobieren können, war es dann definitiv um die Roller-Fahrerin geschehen. «Das Feeling auf so einer Maschine war einfach genial», schwärmt sie. Im Herbst hat sie die «Breakout» Probe gefahren, «die perfekte Mischung zwischen Harley-Tradition und moderner Strassenmaschine» und damit «ihre» Maschine gefunden. Mit Felgen statt Speichen – weil die sich besser reinigen lassen. Eben doch ein bisschen Frauentöff. Seit diesem Frühling ist sie auf der Harley unterwegs, auf den ersten Ausfahrten sehr vorsichtig. «Ich bin keine Raserin und durchaus vernünftig. Mit 20 wäre das vielleicht noch anders gewesen.»

Steht eine längere Tour als der Arbeitsweg ins Büro an, wird sie meist vom neuen Mann an ihrer Seite begleitet. Auch er Harley-Fahrer natürlich – mit einer gleich grossen Maschine. «Anfangs hatte er damit etwas Probleme. Inzwischen aber nicht mehr», lacht Sivillica. Oft sind sie im Moment nicht mehr gemeinsam unterwegs. Rosanna Sivillica passt nicht mehr ins enge Töffkombi: Im November erwartet sie ihr erstes Kind. «Ich freue mich sehr auf meine neue Rolle. Der Zeitpunkt ist für mich perfekt. Ich habe das Gefühl, angekommen zu sein.» Von Babybüchern und Schwangerschaftstipps will sie nicht viel wissen. «Ich nehms, wies kommt.» Damit sei sie bis jetzt nie schlecht gefahren. Sie dramatisiere nicht gerne, habe sich nie zu stark auf etwas fixiert. Machen statt jammern ist ihre Devise. Sie sei zufrieden mit dem, was sie aus ihren Möglichkeiten gemacht habe, und sie wird auch weiterhin 60 Prozent für die Deutsche Bank tätig sein. «Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben. Aber ich habe auch immer ans Glück geglaubt.»

Zur Person

Rosanna Sivillica ist in Baar aufgewachsen, lebt zurzeit in Aesch bei Birmensdorf und zieht im September zusammen mit ihrem Partner wieder nach Baar. Die 39-Jährige ist GL-Assistentin bei der Deutschen Bank (Schweiz) AG. Nach ­einer Bürolehre arbeitete sie in der Buchhaltung, unter anderem bei PerkinElmer und Marc Rich in Zug. Den Wechsel zur Assistentin, direkt als rechte Hand des CEO, machte sie bei der Zurich Scudder Investments. Nach fast drei Jahren wechselte sie zum Investment Banking bei der Privatbank Lombard Odier Darier Hentsch, später zum Investment Banking der Privatbank Sal. Oppenheim, die an die Deutsche Bank ging, wobei das Investment Banking weiterverkauft wurde. Sivillica wurde von einem GL-Mitglied der Sal. ­Oppenheim auf ihre jetzige Stelle bei der Deutschen Bank aufmerksam gemacht.

 

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