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Die Kurvenaugen für die Kommunikation

Kennen Sie das Gefühl, in einer anspruchsvollen Situation überrascht zu werden? Herausfordernde Situationen sind wie schwierige Kurven. Man sollte sie gut planen.

Wenn es um schwierige Gesprächssituationen oder heikle E-Mails geht, sprechen die meisten nicht von Kurven, sie sprechen von Problemen oder Stolpersteinen. Ich nutze das Bild der Kurve aus verschiedenen Gründen: Es ist anschaulich. Es holt Erinnerungen hervor, weckt positive oder unangenehme Gefühle. 

Beim Skifahren fühlt es sich gut an, auf einer Buckelpiste elegante Schlaufen zu ziehen, ohne im Schnee zu landen. Beim Töfffahren ist es ein grossartiges Gefühl, eine Kurve gut zu fahren. Tempo, Körperhaltung, Blickrichtung und mentale Präsenz sind nicht nur auf der Skipiste oder im Strassenverkehr entscheidend, sondern auch in der Kommunikation.  Das Bild der «Kurvenaugen» soll helfen, gut klarzukommen, auch wenn es mal nicht gemütlich geradeaus geht. 

Kurvenaugen für anspruchsvolle Situationen

  1. Situation erkennen: Wie bei einer Kurve auf der Strasse ist es wichtig, die Situation in der Kommunikation frühzeitig zu erkennen. 
  2. Einschätzen: Was sehe ich? Was bleibt mir verborgen? Was liegt am «Strassenrand»? Wie ist die Stimmung bei mir, meinem Gegenüber? Diese Fragen helfen, das Thema und die Situation besser einzuschätzen. 
  3. Tempo und Tonalität anpassen: den richtigen Gang wählen, um die Kommunikation fliessend und angemessen zu gestalten. Wer zu schnell ist – oft zeigt sich das in Ungeduld –, riskiert, Gesprächspartnerinnen und -partner zu überfahren. Die Kommunikation ist blockiert, was mit dem Inhalt oft nichts zu tun hat. 
  4. Blickrichtung: Fokussiere ich mich auf das Problem oder die Lösung? Wie bei einer Kurve sollte der Blick nach vorne gerichtet sein. Es ist jedoch menschlich, das Problem, die Gefahr im Auge zu behalten, um Kontrolle zu gewinnen. Eine zu starke Fokussierung auf das Risiko verstärkt jedoch die Gefahr – wir donnern in den «Baum». 
  5. Zuversicht: Der Blick zum Horizont, wo sich Lösung und Zuversicht befinden, hilft, die Kommunikation positiv zu gestalten. Das bedeutet, wir müssen das Problem kennen und gleichzeitig entscheiden, nicht für das Problem da zu sein, sondern für den Ausweg, die Lösung.  
  6. Geniessen: keine Angst vor schwierigen oder anspruchsvollen Kurven, Situationen. Wenn wir möglichst alles berücksichtigen, was diese Situation ausmacht, dann kommunizieren wir leichter, souveräner und erfolgreicher. Wir fangen an, Schwieriges zu geniessen oder zumindest anzuerkennen.  

Beispiele für Best Practices 

Ein paar Impulse, wie sich mit den «Kurvenaugen» arbeiten lässt.   

  1. Signale hören und sehen: Die meisten Menschen nutzen Signalwörter, wenn sie sprechen oder schreiben. Ein Wort ist ein Signalwort, wenn es immer wieder vorkommt. Diese Signale sind hör- und sichtbar, wenn wir unseren Standpunkt verlassen und die Dinge aus Sicht des Gegenübers sehen. Mit anderen Worten: Wie ich über eine «Kurve» denke, ist weniger relevant als das, was sich in der Kurve verborgen hält. Viele Telefongespräche dauern zu lange, weil wir mit dem Downloaden unseres Wissens beschäftigt sind. Wir hören etwas und meinen sofort zu wissen, was als Nächstes kommt. Signale hören und sehen meint, ganz bei einer anspruchsvollen Situation zu sein. In Gesprächen und Texten ist es hilfreich, Signalwörter zu notieren und für die eigene Antwort zu nutzen. Positiver Effekt: Die andere Person fühlt sich abgeholt, Verbundenheit entsteht.  
  2. Empathie zeigen: Zu schnell bewerten wir eine Person oder Situation. Wir rollen die Augen, und diese Stimmungsveränderung ist am Telefon gut hörbar. Die Bewertung oder unser Urteil verändert jedoch weder die Person noch die Situation. Missverständnisse, Leerläufe und Beharrung sind die Folge. Das Wort «bereits» wird oft benutzt und sabotiert gute Kommunikation. «Wir haben Ihnen bereits am ... mitgeteilt, ...» ist ein solch verkrampftes Beispiel. Entspannter geht es so: «In unserem E-Mail vom ... informieren wir über ...». Das Präsens ist nicht nur eine frische Zeitform, es fördert auch die mentale Präsenz. Was gestern war, ist sowieso gelaufen. 
  3. Klarheit und Präzision: Sobald ein Bild und ein Gefühl für die schwierige Situation vorhanden sind, geht es um Klarheit und Präzision. Was sage ich? Was lasse ich weg? Mit welchem Tempo begegne ich der Person, der Situation? Wie möchte ich die Kurve, das Anspruchsvolle meistern? Und wie soll das Resultat aussehen? Erst die Klarheit über diese Fragen, dann das Gespräch oder der Text.  
  4. Wohlwollendes Feedback geben: Geben Sie sich nach der Kurve ein positives Feedback. Was ist mir richtig gut gelungen in der heiklen Situation? Welches Verhalten von mir hat die Person umgestimmt oder hat die Angst vor der Kurve und deren Tücken kleiner werden lassen? Erfolge sammeln und immer wieder feiern stärkt das Selbstvertrauen.  
  5. Flexibilität: Wenn wir immer das Gleiche schreiben und aussprechen, verlieren wir Spannkraft und ­Flexibilität. Prüfen Sie, mit welcher Wortwahl Sie in schwierige ­Situationen einsteigen, und durchbrechen Sie diese Gewohnheit, um Neues auszuprobieren.  

Ideen für das bewusste Kurvenmanagement  

Mehr «und» als «aber»: «Ja, und ...» klingt vorausschauender als «Ja, aber ...». «Ja, wir haben Verständnis für ..., und doch ist es wichtig, dass ...».  «Und» entwickelt einen Dialog, «aber» führt zu Debatten.   

Hallo, Konflikt: Konflikte sind nicht nur negativ. Wir können sie steuern. Bei Beschwerden ist es nicht ratsam, alle Beschwerdepunkte noch einmal aufzuzählen. Das ist kein aktives Zuhören oder bewusstes Schreiben. Vielmehr nerviges Wiederholen. Zusammenfassungen sind besser, weil sie zeigen, dass Sie den Überblick haben. «Vielen Dank für Ihre Kritikpunkte. Sie betreffen ... und ... Darauf gehen wir gern etwas genauer ein ...»  

Locker bleiben: Vermeiden Sie Wendungen aus der Steinzeit der Korrespondenz. «Wenn Sie nicht ..., dann sehen wir uns gezwungen, gegen Sie ...». Respektieren Sie die Freiheit des Gegenübers. «Ohne Ihre ... veranlassen wir ... Diesen Schritt möchten wir vermeiden, eine Lösung, Einigung ist uns lieber. Wie sehen Sie das?»  

Happy End: Wörter können viel. Im besten Fall schenken sie einer Situation Leichtigkeit. Beispiel: Jemand schreit uns an. Wir sind empört, ablehnend. Wir sagen: «Hören Sie auf, mich anzuschreien!» Das Gegenüber hört den Appell und wird noch lauter oder sagt: «Ich schreie Sie gar nicht an.» – «Aber ich empfinde es so.» – «Dann sind Sie ganz schön empfindlich.» So ein Gespräch lässt uns im «Strassen­graben» landen. Weichen Sie dieser Verhärtung aus, indem Sie sich bedanken. «Ich schreie Sie gar nicht an!» – «Danke, dass Sie das sagen.» Sie werden sehen, Ihr Gegenüber hält Wort und verändert seinen Tonfall. Happy End. 

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Angelika Ramer trainiert seit über 15 Jahren Unternehmen in schriftlicher Kommunikation und verfasste zu diesem Thema fünf Sachbücher. Die Kommunikationsberaterin und frühere Journalistin ist Inhaberin der «Identität ist Sprache – Ramer & Partner AG».

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