premium Interview von Angelika Ramer und Miriam Scherrer

Die Wirkung kleiner Magier

Was sind die Feinheiten und Spitzen in der Sprache? Darüber spricht Angelika Ramer mit Miriam Scherrer, Assistentin bei der USZ Foundation – der Stiftung des Universitätsspitals Zürich. 

Miriam: Angelika, wie bist du auf mich ­gekommen?

Angelika: Deine Anfrage auf Linkedin hat mich angesprochen und da war sofort die Verbindung da, weil ich für das Universitätsspital arbeite. Oft ist es ein Wort oder eine Wendung, die mir auffällt und ein Gefühl, einen Eindruck erzeugt. Du wolltest meine Meinung zu Anredeformen wissen und hast mich gefragt, ob es überhaupt Standards gibt. Allein schon der Zweifel an Standards finde ich toll. Viele Feinheiten und Zwischentöne machen die menschliche Kommunikation aus.

Miriam: Also keine Standards?

Angelika: Standard sollte sein, dass wir uns mit unserem Gegenüber befassen und uns klar über die Beziehung zu dieser Person oder Gruppe werden. Wenn ich das weiss, wähle ich die passende Ansprache. Wir spielen in der Kommunikation. Nach einem längeren E-Mail-Austausch mit einer Kundin stand bei ihrem Gruss nur der Vorname. Eine Feinheit, eine versteckte Frage oder ein Wunsch, dass wir uns duzen. Die direkte Frage «Sollen wir uns duzen» wäre vielleicht zu direkt gewesen. Ich nahm den Vornamen auf und bedankte mich für das Angebot. Kommunikation ist nicht immer effizient, sie muss passen und Menschen verbinden. Sie ist ein Ritual mit vielen ­Nuancen.

Angelika: Ich spreche gerne über die «kleinen Magier» in der Sprache. Es sind Wörter wie «ja, wohl, gell, denn, aber oder halt». Was sagst du dazu?

Miriam: Ich brauche sie gerne, weil sie für Zwischentöne sorgen. Wir in der Schweiz ­haben eine ausgedehnte Sprache, womit wir etwas Weiches oder Sympathisches aus­drücken möchten. Es kommt jedoch immer auf den Kontext an. Die kleinen Wörter, die ­Magier, machen den Unterschied. Gleichzeitig können sie unsicher wirken ...

Angelika: ... meinst du einen bestimmten Magier?

Miriam: ... das Wort «gell». Es holt eine ­Bestätigung ab, ist Mundart ...

Angelika: ... du würdest es weglassen?

Miriam: Nein, wir sollten es jedoch bewusst einsetzen.

Angelika: Ich verwende «gell» auch schriftlich. «Gell, du organisierst die Bücher» ist eine Frage und keine Frage. Du sagst es treffend – es holt eine Bestätigung ab, denn beide wissen Bescheid. Ohne «gell» ist die Aussage eine andere. «Organisierst du die Bücher?» Natürlich geht auch «Ist es richtig, dass du ... organisierst?» Ich mag die kleinen Magier, weil sie vieles im Business menschlicher machen. Das ist ein schönes Ziel, finde ich.

Miriam: ... mit «gell» denke ich laut ... Ich überlege gerade, wie ich mit «halt» umgehen soll ...

Angelika: Ich nutze diesen Magier für diese Situation. «Ich kann dich gut verstehen, es ist halt die komplizierte Vorgabe, die uns ...» Ich signalisiere, dass ich die Vorgabe auch nicht mag – du bist meine Komplizin. Ganz klar und ohne Magier geht so: «Die Vorgabe schreibt ... vor.» Ich probiere aus und achte darauf, wie mein Gegenüber reagiert. «Aber ...» ist ein ­diffiziles Wort und gehört seit Neuestem auch zu meinem Magier-Schatz. «Da haben Sie uns falsch verstanden. Aber das liegt an unserer schrecklichen Formulierung.» Für mich relativiert der Aber-Satz die erste Aussage, die schon sehr klar ist.

Miriam: ... mein Mann und ich haben «aber» weitgehend eliminiert, weil es trennt und bewertet. Wir nutzen eher «gleichzeitig», wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Ich respektiere, was du sagst oder denkst. Gleichzeitig ist mir mein Standpunkt wichtig.

Angelika: Das sehe ich genauso. Was du sagst, stützt die Idee, wonach wir weniger debattieren und mehr einfach miteinander sprechen sollten. Mich alarmieren Sätze wie «Fakt ist: ...» Oder «Ganz klar gilt ...». Es geht auch feiner und weniger laut. Für viele Menschen ist ein «Aber» eine Geringschätzung – es hat mit den Werten zu tun und mit unserem Erfahrungsschatz. Welchen Werten folgst du?

Miriam: Authentizität ist sehr wichtig für mich. Ich bin ich. Ich schreibe so, wie ich bin und passe mich weniger an als früher. Oder ich versuche, mich nicht zu verbiegen. Beim Schreiben ist mir wichtig, dass ich respektvoll, präzise und motivierend bin.

Angelika: ... kann es auch sein, dass du sorgfältig und mit Bedacht vorgehst?

Miriam: ... das trifft es! Wie kommst du darauf?

Angelika: ... weil du mich nach den Standards in der Anrede gefragt hast. Authentisch mit Bedacht – eine sehr schöne Balance!

Miriam: Ich arbeite gerne mit der 80-20-Effizienzregel. Alles muss sitzen und richtig sein. Gleichzeitig ist einmal durchlesen vor dem Senden genügend. Perfektionismus loslassen ist ein Dauerthema für mich und andere Assistentinnen.

Angelika: Du sprichst die 80-20-Effizienz­regel an. Wenig Aufwand für hohen Nutzen. Minimalismus im Sinne von einfacher werden ist ein grosser Trend und mein liebstes Thema. Weniger ist mehr. Wie gehst du mit Informationsflut um?

Miriam: Ich versuche zu entscheiden, wie clean und kurz eine Nachricht sein muss. Da führt mich zum kleinen Magier «ja» – er kann auch stören oder verletzen ...

Angelika: ... spannend.

Miriam: Wenn ich weiss, dass jemand etwas nicht weiss, dann ist «ja» störend. Eine frühere Arbeitskollegin fragte mich für ein Mittagessen an und hat einen Tag vorgeschlagen. Ich habe erst geschrieben «Am Montag habe ich ja immer frei ...» Ich löschte «ja» wieder. Warum soll sich die Kollegin an meine Freitage erinnern? Das «ja» kann auch belehrend wirken ... Mir fällt da noch ein kleiner Magier ein – das Wort «doch». «Das haben wir vereinbart.» «Das haben wir doch abgemacht.» Auf die Nuancen kommt es an.

Angelika: ... wir sollten die Liste der kleinen Magier ergänzen ...

Miriam: Unbedingt. Der kleine Magier ist positiv, er hilft. Und er kann ein Saboteur sein. Ich frage mich, wie wir damit umgehen ...

Angelika: Wichtig sind dein Wert Authentizität und damit das Bauchgefühl sowie ein Bewusstsein für deine Sprache, deine Wirkung. Es geht nicht um richtig oder falsch – es geht um meine, deine Absicht. Dieser Blick ist oft verstellt, vielen fehlt das Gefühl für Werte, Wirkung und Sprache.

Miriam: Kannst du etwas sagen zu Minimalismus?

Angelika: Meine Arbeit mit Werten führte mich zu Minimal Lifestyle, zu Minimal Language, zur einfachen Sprache. Es geht um Entscheidungen. Was ist wichtig? Was kann weg? Worum geht es wirklich? Diese Klarheit ist mündlich und vor allem auch schriftlich sehr wichtig. Minimalismus ist kein Mangel, es ist ein Gewinn.

Miriam: Es ist unser Mindset, das die Kommunikation prägt, gestaltet. Wenn ich mir überlege, was ich wirklich brauche, werde ich klarer, fokussierter. Vielleicht ist das auch ein Schatz des Älterwerdens.

Angelika: Gutes Stichwort. Dein Rat an ­junge Kolleginnen?

Miriam: Sei ehrlich zu dir selbst. Das ist auch besser für dein Umfeld. Handle mutig und mit Bedacht. Und ganz wichtig: weg von ­Floskeln.

Angelika: Das passt zu meinem Programm «klarmitcharme».

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Angelika Ramer trainiert seit über 15 Jahren Unternehmen in schriftlicher Kommunikation und verfasste zu diesem Thema fünf Sachbücher. Die Kommunikationsberaterin und frühere Journalistin ist Inhaberin der «Identität ist Sprache – Ramer & Partner AG».

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