Stressmanagement

«Einfach mal was delegieren»

Assistenzcoach Marit Zenk hat ein Buch über Stressmanagement für die Assistenz geschrieben. Im Interview erklärt sie, warum Stress in diesem Job keine Seltenheit ist und wie man dagegen vorgeht. 

Frau Zenk, haben Assistentinnen und As­sistenten mehr Stress als andere Berufsgruppen?

Mehr nicht unbedingt, aber die Herausforderungen in diesem Job sind auf jeden Fall besonders. Einerseits sollen Assistenzen ja Spezialisten im Office Management sein, andererseits bringt es der Job mit sich, Generalist zu sein. Dazu kommt, dass jederzeit verschiedenste Menschen auf die Assistenz zugreifen: Chef, Kollegen, externe Geschäftspartner. Das ist nicht ohne und macht so mancher Assistenz richtig Druck.

Das gibt es doch in vielen Jobs…

Ja, aber in der Rolle der Assistenz sitzt man immer zwischen den Stühlen. Stellt sie sich auf die Seite des Chefs, ist sie automatisch gegen die Kollegen und umgekehrt. Das ist ein ­schmaler Grat. Dazu kommt, dass Assistenzen oft zwischen Chef und Mitarbeitern vermitteln und übersetzen. Gerade bei negativen Nachrichten sollte dies nicht im Originalton stattfinden. Hier braucht es Fingerspitzengefühl, um sozial- und systemverträglich auf sein Gegenüber einzuwirken. Diese Beziehungsarbeit kostet viel Kraft.

Wenn Sie als Coach ins Vorzimmer gerufen werden, geht es dann meist um Stress?

Ja und nein. Ich werde gerufen, um die As­sistenz gezielt am Arbeitsplatz fit zu machen. Im Grunde genommen geht es bei dieser wertschätzenden Massnahme immer um die Optimierung des Arbeitsplatzes, die Verbesserung der Kommunikation und somit auch darum, ungehobenes Leistungspotenzial freizusetzen. Das ist schon ambitioniert, wirkt aber schlussendlich dem Stress entgegen. Nicht jeder leidet ja genau gleich unter grossen Mengen von Arbeit.

Wie genau entsteht Stress?

Alles, was ausserhalb unserer Komfortzone liegt, bedeutet erstmal Stress. Jetzt kommt es auf die Herangehensweise des Einzelnen an: Ist er motiviert und hat Lust darauf, wird ihm der Weg in die Veränderung deutlich leichter fallen, als demjenigen, der sich dagegen sperrt. Dies wird getriggert von unseren Glaubenssätzen, also den Sätzen die wir bereits im Elternhaus gehört haben. Wem beispielsweise «das kannst du nicht» eingetrichtert wurde, fühlt sich davon vielleicht blockiert. Wem «ohne Fleiss keinen Preis» eingebläut wurde, ackert sicher wie ein Tier, um Veränderungen zu meistern und will es auch gut machen. Dennoch hat auch dieser Kandidat seinen Stresspunkt. Glaubenssätze sind tief verankert und wir versuchen oft unbewusst, sie immer wieder zu bestätigen. Glaubenssätze entspringen auch den inneren Antreibern, welche weitere Stressfaktoren bedeuten. Sei nett, sei stark, sei perfekt, streng dich an und beeil dich. Wir kennen sie alle – aber jeder hat sie in unterschiedlicher Ausprägung. Sie befeuern uns und sorgen für Qualität oder Quantität. Doch sobald ein Antreiber übersteigert ist, kippt die Situation. Die Assistenz mit dem Sei-Perfekt-Antreiber kann dann nicht einmal mehr eine Postkarte lesen, ohne dass die darin enthaltenen Fehler ihr Stress bereiten.

Es ist bekannt, dass Stress nicht immer negativ ist. Woran liegt es denn, wie Stress empfunden wird?

Das ist richtig. Positiver Stress (Eustress) bereitet uns Freude. Unser Herz schlägt höher, wir sind positiv aufgeladen, haben Lust und wollen ran an den Speck. So gestrickte As­sistenzen freuen sich daher, wenn der Papierstapel wächst, krempeln ihre Ärmel hoch und geben Gas. Erst der Stress befähigt sie zu Höchstleistungen. Sie nehmen das hohe Arbeitspensum mit Humor oder verstehen es als Kompliment (ich werde gebraucht, ergo: ich bin wichtig). Andere sind schon überfordert, wenn sie am Morgen 30 neue E-Mails im Posteingang haben. So hat jeder seine eigene Motivation und seinen Punkt, wo Stress ins Negative kippt und zu Disstress wird. Stress entsteht aber nicht nur durch die Menge an Arbeit, sondern auch durch den Mangel an Vertrauen – in sich selbst oder in andere. Das liegt nicht nur am Mindset, sondern beruht auch auf Erfahrungen sowie auf dem Wertesystem des Einzelnen.

In einem Kapitel Ihres Buches geht es um Illusionen, die im Vorzimmer herrschen. Was für Illusionen sind das denn?

Die grösste ist sicher die, jemals mit der Arbeit fertig zu werden. Wer in seinem Job gefragt ist, kann bei dem Höher-Schneller-Weiter-Wahn gar nicht mit der Arbeit fertig werden. Wir reden uns ein, dass wir nur noch eine oder zwei Überstunden machen müssen und dann fertig sind. Das tun wir erst eine Woche, dann einen Monat und am Ende ein Jahr so. Ich sage: Wer immer zehn Stunden da ist, wird auch immer Arbeit für zehn Stunden haben. Denn, wenn Sie eh noch da sind, dann können Sie ja auch noch dies und das machen – so denken der Chef und die Kollegen und spannen Sie entsprechend für neue Aufgaben ein. Wenn Sie Feierabend machen möchten, dann bleibt Ihnen nur der Abbruch der Arbeit. Eine weitere Illusion ist das Gelegentlich-Fach. Also ein Sammelsurium an Dingen, die man später einmal anschauen, lesen oder bearbeiten möchte - am liebsten im Sommerloch oder zwischen den Jahren. Dazu kommt es aber nie. Mein Tipp: Am besten sofort entscheiden, was wichtig und dringend ist und den Rest einfach gleich entsorgen. Glauben Sie mir; wenn es wichtig war, kommt es wieder.

Welche weiteren Tipps geben Sie Ihren Kunden?

Oh, da habe ich noch einige. Zum Beispiel, sich einen gedanklichen Ordner anzulegen, der mit «ISSO» beschriftet ist. Die Kurzform für «es ist so, wie es ist». Das bedeutet nichts anderes, als die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Wenn ein Fehler passiert ist, dann liegt dieser bereits in der Vergangenheit. Jetzt gilt es zu überlegen, wie ich damit umgehe. Um eine ansteigende Lernkurve zu generieren, sollte man kurz noch reflektieren, wie man sicherstellt, dass sich dieser Fehler nicht wiederholt. Darum: Mental abheften im ISSO-Ordner und weiter geht’s. Ein weiterer Tipp für alle, denen der Kopf raucht: Gerade, wenn es am schlimmsten ist, verlassen Sie das Büro für ein paar Minuten und lüften Sie Ihren Kopf. Das reicht schon, damit sich die Scheuklappen weiten und der Überblick zurückgewonnen werden kann.

Was, wenn das Pensum wirklich zu gross ist und der Stress real?

Nach meiner Erfahrung als «Augenzeugin» würde ich sagen, das ist bei 20, maximal 30 Prozent der Fall. Bei 20 Prozent gibt es sogar noch Luft nach oben. Und bei etwa 50 Prozent verschlanken wir beim «Coaching on the Job» einfach die Prozesse, optimieren die Abläufe und sprechen über die Arbeitseinstellung. Wer nicht untergehen will, muss auch lernen, zu delegieren. Viele fragen mich: Wohin soll ich denn delegieren? Ich habe ja keine Mitarbeiter. Aber darum geht es beim Delegieren nicht. Es gilt das Prinzip «eine Hand wäscht die andere». Der Teamgedanke rückt immer mehr in den Vordergrund und so können Aufgaben nicht nur nach Kapazitäten, sondern auch nach Kompetenzen verteilt werden. Viele können deshalb nicht delegieren, weil sie nicht loslassen können, Ängste und Sorgen haben oder der Mut und das nötige Vertrauen fehlt.

Aber wem genau kann man denn was delegieren?

Das können ganz einfache Dinge sein. Wer gerade an einer komplexen Aufgabe sitzt, kann vielleicht mal sein Telefon zur Kollegin umstellen. Wenn ein Besucher eingetroffen ist und man selbst gerade noch beim Chef sitzt, kann vielleicht kurz die Kollegin den Externen empfangen, platzieren und bewirten. Damit fängt es für mich an. Wer sich im Büro entsprechend positioniert und selbst teamfähig ist, wird auch Menschen finden, die ihn unterstützen. Oder stellen Sie sich vor, Sie bekommen eine E-Mail mit einer komplexen Excel-Tabelle, die Sie ausdrucken sollen. Leider passt die Tabelle aber nicht auf eine Seite. Bevor jetzt noch andere Empfänger stundenlang am Format herumwursteln, sollte es «return to sender» heissen. Die Quelle möchte die «Tapete» jetzt bitte druckfähig machen. Weiter geht es mit Reisebuchungen. Es gibt viele Dienstleister, an die man das delegieren kann oder man macht sich einfache Apps zunutze. Im Zentrum steht doch die Frage, welche Aufgaben man noch selbst erledigen muss, wofür es keine anderen, spezialisierten Dienstleister oder Applikationen gibt.

Buchtipp

In ihrem neuen Buch «Der Anti-Stress-Trainer für Assistenzen» zeigt Assistenz-Coach Marit Zenk Wege aus der Stressfalle, humorvoll und illustriert. 

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