Recht

Erlaubt ist, was gefällt

Nicht ganz. Darüber, was bei der Arbeit getragen werden darf, entscheidet der Arbeitnehmer nicht immer allein. Auch wenn es keine Uniformen oder andere Dresscodes gibt: Der Arbeitgeber darf Weisungen zum Thema Kleidung erteilen. Und daran sollten sich Angestellte auch halten.

Als ich vor etwa zehn Jahren im Rechtsdienst eines Handelskonzerns arbeitete, hatten wir eine Praktikantin, die mit einem Nasenring ins Büro kam. Dies führte insbesondere bei den Assistentinnen des Rechtsdienstes zu einer gewissen Aufruhr: Geht das? Darf man «so» zur Arbeit erscheinen? Der oberste Leiter der Abteilung verfügte dann, dass es wohl besser sei, den Nasenschmuck tagsüber zu entfernen. Die Praktikantin fügte sich dem Wunsch und so kehrte wieder Ruhe ein. War das Vorgehen des Arbeitgebers rechtlich in Ordnung?

Der Arbeitgeber darf wünschen

Regelungen zum Thema Arbeitskleidung können im Arbeitsvertrag oder in Reglementen oder auch im Gesamtarbeitsvertrag festgelegt werden, wenn ein solcher in der betreffenden Branche Geltung hat. Beispiele sind der Gesamtarbeitsvertrag für die Reinigungsbranche in der Deutschschweiz, der GAV der SBB, der GAV der Post etc. Die Kleidung wird hier teilweise vorgeschrieben und gleichzeitig zur Verfügung gestellt. Öfter werden Kleidervorschriften auch in Personalreglementen zu finden sein. Wo liegen die rechtlichen Schranken dieser Regelungen?

Ganz allgemein kann man sagen, dass das Weisungsrecht des Arbeitnehmers dort an Grenzen stösst, wo es in die Persönlichkeit des Arbeitnehmers eingreift. Das bedeutet: Weisungen des Arbeitgebers sind nur insoweit zulässig und damit erlaubt, als dass das Arbeitsverhältnis sie erfordert. Wünscht sich der Arbeitgeber beispielsweise einen einheitlichen Auftritt, kann er verlangen, dass die Mitarbeiter einheitliche Arbeitskleidung tragen. Die Weisungen zur Kleidung im Beruf, also zu Kleidervorschriften, sind nach diesem Raster zu beurteilen: Erfordert das Arbeitsverhältnis die Weisung, ja oder nein? Das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist in Art. 321d OR geregelt. Danach kann der Arbeitgeber über die Ausführung der Arbeit und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb allgemeine Anordnungen erlassen und besondere Weisungen erteilen.

Der Arbeitnehmer hat diese nach Treu und Glauben zu befolgen. Die Schranke ist beim Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu sehen. Im Kommentar zum Arbeitsrecht wird zum Beispiel der Fall angeführt, dass das Entfernen eines Piercings von einer Lebensmittelverkäuferin aus hygienischen Gründen verlangt werden kann, an einen Chauffeur ohne wichtige Kundenkontakte wäre dieselbe Weisung eher unzulässig (von Känel/Streiff, Art. 321d OR, Note 3).

Muss keine spezielle Arbeitskleidung getragen werden, so ist es oft so, dass in einem Betrieb ein gewisser Kleidungsstil vorherrscht. So sind beispielsweise Bank- oder Versicherungsangestellte anders gekleidet als Angestellte in einem Sportgeschäft oder in einer Softwareentwicklungsfirma. Die Kultur in einem Betrieb findet somit oft Ausdruck in der Kleidung der Angestellten. Meist richten sich die Angestellten automatisch nach diesen Sitten, weil sie versuchen, in dieses Umfeld zu passen. In den meisten Fällen findet also ohnehin eine Selbstselektion statt. Ein wichtiges Kriterium ist sicher auch, ob man Kundenkontakt hat oder nicht. So sind und müssen die Kundenbetreuer oft entsprechend besser gekleidet sein, während man im Backoffice manchmal weniger Wert darauf legt, wie jemand angezogen ist. Die Kosten für gewöhnliche Arbeitskleidung (Anzug, Deux-Pièces, Hemd, Schuhe etc.) hat der Arbeitnehmer zu tragen – auch dann, wenn er sich nach den Weisungen seines Arbeitgebers richten muss.

Ein Spezialfall ist religiöse Kleidung am Arbeitsplatz. In den letzten Jahren kam immer wieder die Frage auf, ob der Arbeitgeber einer Arbeitnehmerin das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz verbieten dürfe. Denn die Religionsfreiheit garantiert ja grundsätzlich die Ausübung der Religion. Die Frage ist noch ungenügend geklärt. Es gibt aber einen Bundesgerichtsentscheid, welcher das Verbot des Kopftuchtragens während des Unterrichts durch eine Lehrerin schützte (BGE 123 I 296). In anderen Entscheiden wurde das Verbot nicht geschützt, weil das Gericht davon ausging, dass es nicht arbeitsplatzbezogen sei. Es kommt hier also beispielsweise darauf an, ob jemand Kundenkontakt hat und ob das Tragen des Kopftuchs nachweislich zu einem Kundenverlust geführt hat.

Berufskleidung im engeren Sinne

Bisher haben wir von gewöhnlicher Kleidung gesprochen. Nun sei auf die Berufskleidung im engeren Sinne eingegangen: Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer Material und Arbeitsgeräte zur Verfügung stellen, die er für die Ausführung der Arbeit benötigt (Art. 327 OR). Unter den Begriff Arbeitsmaterial werden allgemein auch besondere Berufskleidungen eingeordnet, wie zum Beispiel Uniformen, Über- oder besondere Schutzkleider. Ohne anderslautende Abrede oder Übung sind also solche Berufskleider oder Uniformen vom Arbeitgeber zu stellen (von Känel/Streiff, Note 2 zu Art. 327 OR). Vom Grundsatz her muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmern, wenn diese die vorgeschriebene Kleidung selber besorgen, dafür entschädigen. Dies kann aber vertraglich ausdrücklich oder auch durch Übung, also «Gewohnheitsrecht», anders geregelt werden. So war es früher bei Fluggesellschaften üblich, dass die Mitarbeiter einen Teil der Kosten für die Uniform übernehmen mussten.

Es gibt zwar einige namhafte Juristen, die damit nicht einverstanden sind und verlangen, dass der Arbeitgeber die vollen Kosten für die Berufskleider tragen muss. Die Gerichtspraxis ist jedoch uneinheitlich. Unter Umständen müsste man hier deshalb im Einzelfall doch vor Gericht ziehen, um Klarheit zu erlangen. Fazit: Der Grundsatz ist, dass der Arbeitgeber, wenn nichts anderes geregelt oder Übung ist, die Berufskleidung bezahlen oder den Arbeitnehmer dafür entschädigen muss. Wenn er dies aber vertraglich wegbedingt oder es anders üblich ist, kann die Regelung zuungunsten des Arbeitnehmers abgeändert werden.

Reinigung auf Kosten der Firma

Eine Besonderheit gilt für besondere Schutzkleidung bzw. -ausrüstung: Gemäss Art. 27 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz muss diese Arbeitskleidung vom Arbeitgeber auf seine Kosten zur Verfügung gestellt werden, wenn keine anderen technischen oder organisatorischen Massnahmen Gesundheitsbeeinträchtigungen verhindern können. Hier geht es um Schutzmasken, Handschuhe, dichte Stiefel, Helme, Schuhe, Lärmschutz etc. Das SECO zählt solche Gegenstände auf (SECO, Wegleitung zur Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz). Sodann muss Arbeitskleidung (gemäss Art. 28 desselben Gesetzes), wenn sie bei der Arbeit durch übelriechende oder sonstige im Betrieb verwendete Stoffe stark verunreinigt wird, auf Kosten des Arbeitgebers in regelmässigen Zeitabständen gereinigt werden.

Gewöhnliche Kleidung ist als persönliche Aufwendung vom Arbeitnehmer selber zu bezahlen.

Und das Fazit zur Geschichte mit dem Nasenring: Die Weisung des Abteilungsleiters war wohl eher unzulässig. Denn die betroffene Angestellte hatte mit Sicherheit keinen Kontakt zu externen Kunden. Und warum ein Nasenschmuck interne Kunden stören sollte, ist nicht wirklich nachvollziehbar.

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Marion Morad-Marquardt ist Rechtsanwältin, MBA HSG mit Spezialgebiet Arbeitsrecht und eigener Anwaltskanzlei in Zürich. Sie berät vorwiegend Unternehmen in Fragen des Arbeitsrechts und des allgemeinen Wirtschaftsrechts. www.morad-law.ch

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