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«Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens»

«Eigentlich muss jede gute Assistentin ein bisschen ahnen, was den Chef gerade umtreibt. In der Assistenz ist man zudem die Schnittstelle zwischen den Mitarbeitenden und der Führungskraft. Diese Funktion hatte ich 30 Jahre lang mit Leidenschaft inne. Mein Vorgesetzter und ich arbeiteten fantastisch zusammen. Innerhalb kürzester Zeit bauten wir ein grosses Vertrauensverhältnis auf. Er war darauf angewiesen, dass ich selbständig handle, also eigenständig entscheide und nicht auf eine Bestätigung von ihm warte. Meine Selbstständigkeit schätzte er deshalb sehr. Er erkannte auch meine Kompetenzen und realisierte, dass man diese auch anderswo einsetzen könnte. Eines Tages sagte er mir einfach: «Regina, ich möchte, dass du dich entwickelst – auch wenn das bedeutet, dass du mich vielleicht verlässt.» Mir diese Möglichkeit zu geben, lag ihm sehr am Herzen. Damit kam der Stein ins Rollen. Ich dachte nach und überlegte mir, wie es weitergeht, ob ich ein Studium machen sollte und wenn ja, welches. Weil mein Chef zur damaligen Zeit das Thema «Agiles Arbeiten» verantwortete, kam ich mit agilen Coaches und Scrum-Mastern in Berührung und ihre Arbeit faszinierte mich. Also sprach ich mit meinem Vorgesetzten darüber und er ermutigte mich, in diese Themen reinzuschnuppern.

Im Mai 2019 liess ich mich vom Scrum-Team ausbilden. Während ungefähr sechs Monaten arbeitete ich parallel in der Assistenz. Das war keine einfache Zeit, weil ich vormittags beim Scrum-Team war und nachmittags meinen Chef betreute. Trotz der vielen Arbeit war mir nach der Hälfte der Zeit bewusst: Ich möchte Scrum-Master werden. Mein Vorgesetzter sagte mir: «Ich wusste, dass dir das gefällt, das liegt dir einfach.» Also haben wir angefangen, eine Nachfolgerin für mich zu suchen.

Heute bin ich bei meinem aktuellen Arbeitgeber als Scrum-Master und Agile Coach tätig. In dieser Rolle unterstütze ich agile Teams darin, eigenverantwortlicher, selbstorganisierter und strukturierter zu werden. Scrum-Master spornen sie an und hinterfragen, wenn etwas nicht erledigt wurde – nicht, um mit dem Zeigefinger zu drohen, sondern um Probleme zu identifizieren und diese gemeinsam zu lösen. Dafür kommt mir das strukturierte Arbeiten als ehemalige Assistentin sehr zugute. Die Struktur, die ich im Prinzip damals in den Kalender meines Vorgesetzten gebracht habe, muss ich jetzt für mich selbst erstellen und anderen vermitteln.

Dafür coache ich einzelne Teammitglieder und helfe ihnen, ihre Arbeitsweise zu verbessern, damit dem Team alle notwendigen Skills zur effizienten Auftragserledigung zur Verfügung stehen. Es macht mir unheimlich viel Spass, eng mit unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten und auf einer vertrauensvollen Basis gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Es macht mir Spass, eng mit unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten und auf einer vertrauensvollen Basis gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Dafür braucht es Empathie. Diese Fähigkeit ist auch als Assistentin wichtig, denn als Schnittstelle zur Führungskraft muss man sich gut in sie hineinversetzen können. Dank meiner Assistenzerfahrung fällt es mir jedoch leicht, auf Menschen zuzugehen und mich mit ihnen zu vernetzen. Welche weiteren Kompetenzen aus meiner Zeit in der Assistenz nützlich waren? Das Hinterfragen, zum Beispiel. Eine gute Assistentin macht nicht nur das, womit sie beauftragt wurde, sondern hinterfragt, ob etwas notwendig ist oder ob man es auch anders erledigen könnte. Im ähnlichen Stil muss ich Kundinnen und Kunden im Blick haben, vorausdenken und nicht darauf warten, dass einer mir die Arbeit vorgibt. Darüber muss man sich in dieser Funktion im Klaren sein. Stattdessen tauschen wir uns im Team aus, im Zweifelsfall hilft die Schwarmintelligenz der Kolleginnen und Kollegen, wenn man bei einem Problem nicht allein weiterkommt.

Schwieriger hingegen war für mich, als Scrum-Master im Scheinwerferlicht zu stehen. Vorher war ich im Backoffice tätig. Anfangs musste ich mich überwinden, Vorträge zu halten und Schulungen durchzuführen. Ab und zu gab es Momente, wo ich mir meinen alten Beruf zurückwünschte – zum Beispiel, als ich für einen Vortrag einspringen musste und mich dauernd verhaspelte. Ein Desaster! Mein Vorgesetzter hat mir aber Tipps gegeben, wie ich die Präsentationen meistere. Auch der Umgang mit diversen technischen Tools war nicht mein Steckenpferd, ich musste mich erst reinfinden. Doch im Grossen und Ganzen vermisse ich meine Zeit als Assistentin nicht, auch wenn ich diesen Beruf mit Leidenschaft ausgeübt habe. Die Weiterbildung zum Scrum-Master war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Ich freue mich auf meine Zukunft, auch weil es ein Job mit Zukunft ist. Im März habe ich meine nächste Weiterbildung im agilen Kontext begonnen.

Was ich anderen Assistentinnen und Assistenten rate, die sich in diesem Bereich weiterentwickeln möchten? Schaut euch im eigenen Unternehmen nach Möglichkeiten um. Am besten klärt ihr das mit eurem Vorgesetzten, sprecht mit Menschen, die diesen Job ausüben, findet Gleichgesinnte und vereinbart Schnuppertage. Als Assistentin verfügt man ohnehin über einige der dafür nötigen Kompetenzen wie Empathie, Fokus und strukturiertes Arbeiten. Und hat so auch die Gelegenheit, die Transformation im Unternehmen mitzutreiben.»

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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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