Selbständige Assistentinnen

Frei gemacht

Assistentin sein und gleichzeitig die eigene Chefin – das geht. Freiberuflerinnen in der Branche besetzen eine Nische, die gar nicht so klein ist. Denn viele Unternehmen brauchen keine Vollzeitkraft oder haben keinen Platz 
für ein Vorzimmer.

«Die Idee fanden von Anfang an alle super, nur konnten sich die wenigsten vorstellen, wie das gehen soll», erinnert sich Sybille Eichenberger. Die 35-Jährige aus Weiningen bei Zürich ging 2008 aus einer festen Stelle in die Selbstständigkeit. «‹Eine Assistentin braucht doch einen Chef›, habe ich oft gehört. Dann habe ich geantwortet: Nö, aber jeder Chef braucht eine Sekretärin.» Sie nennt sich selbst Sekretärin, ihr Service heisst folgerichtig «Rent a Secretary». «Ich finde nicht, dass das Wort einen negativen Beigeschmack hat.»

Öfter mal ein neues Umfeld

Und auch sonst ist es ihre Art, es anders zu machen als die anderen. «Ich hatte schon immer das Ziel, mich selbstständig zu machen. Mein Wunsch war es, flexibel arbeiten zu können und nicht jeden Tag zur selben Zeit am selben Ort präsent sein zu müssen. Ausserdem wollte ich mir mühsame Pendlerwege ersparen und so viel wie möglich von zu Hause aus arbeiten. Mich reizte die Herausforderung, mich schnell in einem neuen Umfeld orientieren zu müssen, neue Branchen und Geschäftspartner kennen zu lernen und das dadurch extrem breitgefächerte Arbeitsumfeld.»

Auch Christine Rüegsegger aus Münsingen mag die Abwechslung: «Ich bin nicht der Typ, der 25 Jahre für dasselbe Unternehmen arbeitet.» Angefangen hat sie als Assistentin der Geschäftsführung bei einem Hörgerätehersteller. Während ihrer Zeit als Festangestellte bei verschiedenen Arbeitgebern bildete sie sich immer weiter, unter anderem mit Zertifikaten von der ZfU Business School in Produkt- und Projektmanagement und zuletzt mit einem Studium in Change Management an der Berner Fachhochschule. Weil ihr die klassischen Assistenzaufgaben nicht ausreichten.

«Assistentinnen sind natürlich dazu da, Aufgaben zu erledigen. Aber viele mutieren dabei zu reinen Befehlsempfängerinnen, obwohl sie ein grösseres Potenzial hätten», hat Christine Rüegsegger beobachtet. Für sich selbst wünschte sie sich etwas anderes. Deshalb suchte sie immer nach anspruchsvolleren Aufgaben. «Ich habe zum Beispiel noch als angestellte Assistentin über ein Jahr die Einführung eines CRM-Systems (Customer Relation Management) begleitet.» Eine Dienstleistung, die sie auch heute noch anbietet.

Ihre Haupttätigkeit heute ist allerdings das Change Management. Wenn ein Unternehmen in ein neues Gebäude umzieht, umstrukturiert oder eine neue Unternehmenskultur einführen will, kommt sie ins Haus und leitet Projektteams. Dafür wird sie auch manchmal befristet angestellt – als Assistentin der Geschäftsführung. Als solche begleitet sie aber nicht nur das Management, sondern leitet vor allem andere an, damit diese dann wiederum Trainings durchführen können, um die anderen Mitarbeiter für den Wechsel fit zu machen. «Wenn ich meine Arbeit gut gemacht habe, dann habe ich die Leute dazu befähigt, den Job selbst zu Ende zu machen.» Und dann zieht sie weiter.

Ihr nicht ganz klassischer Lebenslauf kommt ihr dabei zugute. «Die meisten Change Manager kommen aus dem HR-Bereich. Ich wiederum komme aus dem operativen Geschäft und kenne deshalb das Daily Business. Das schätzen meine Auftraggeber.» Dazu kommt ihr Wunsch, das grosse Ganze zu verstehen. «Man ist heute sehr fokussiert auf Fachkräfte, da laufen Unternehmen Gefahr, dass sie nur noch Spezialisten haben und niemanden mehr, der alles zusammenbringt. Ich bin von Natur aus Generalistin.»

Immer offen kommuniziert

Weil sie schon als Festangestellte immer nach neuen Herausforderungen suchte, wurde sie von den Kolleginnen manchmal als Konkurrenz empfunden. Das ist jetzt nicht mehr so: «Der Umgang mit den festangestellten Kolleginnen, mit denen ich jetzt zusammenarbeite, ist viel freundschaftlicher.»

Vor zwei Jahren gründete die 47-Jährige ihren Service «Assistant to go». «Meine drei Kinder waren alle aus dem Haus, da dachte ich, dass ich das einmal in Angriff nehmen könnte.» Mit ihrem letzten Chef, mit dem sie sich «so was von gut» verstand, habe sie früh schon darüber geredet, dass sie neben der Arbeit studieren will. «Es war dann auch klar, dass ich am Ende des Studiums gehen werde. Das hat ihm nicht gefallen, aber er hat es verstanden.»

Den Übergang plante auch Sybille Eichenberger schrittweise. «Zuerst habe ich meine feste Stelle von 80 auf 40 Prozent reduziert, dann habe ich nur noch stundenweise in meiner Firma gearbeitet und gleichzeitig die ersten freien Aufträge angenommen.» Dann wollte ihr Chef eine weitere Teilzeitkraft einstellen. «Ich habe ihm dann gesagt, dass er doch besser gleich nach einer vollen Kraft suchen soll.» Der Abschied, berichtet sie, sei im Guten geschehen. «Ich habe meinen Chef immer über meine Pläne auf dem Laufenden gehalten, und er hat mich dabei unterstützt.» Bis heute pflegt sie den Kontakt. «Ich schlage niemals eine Tür hinter mir zu.»

Entlastung für Festangestellte

Über den Kontakt zu früheren Arbeitgebern hat sie auch einige neue Auftraggeber als Selbstständige gefunden. Die meisten, berichtet sie, würden aber über ihre Homepage www.rentasecretary.ch auf sie aufmerksam. Daneben ist sie auch auf Xing präsent. «Ganz am Anfang habe ich Briefe an mehrere ausgewählte Unternehmen in meiner Nähe geschrieben und damit meine Dienste angeboten. Darüber habe ich Kontakt zu einer Treuhänderin bekommen, die bis heute meine Kundin ist», berichtet Sybille Eichenberger.

Zu ihren Kunden zählen überwiegend kleine Unternehmen, Start-ups und Freiberufler. «Manche haben kein eigenes Büro, arbeiten selbst von zu Hause aus oder sind ständig unterwegs. Oder sie wollen sich die Fixkosten für eine festangestellte Mitarbeiterin sparen.» Für sie macht Sybille Eichenberger zum Beispiel die Buchhaltungsvorbereitung. «Die kommen dann mit ihrem Kasten voller Belege zu mir.» Auch Steuererklärungen macht sie, nicht aber die Buchhaltung selbst. «Das kann ich nicht, und das sage ich dann auch klar. Man muss seine Stärken und Schwächen kennen.» Für einen Anwalt tippt sie grosse Dokumente vom Diktaphon ab. Der Kunde hat zwar seine Gehilfinnen, kommt aber auf Sybille Eichenbergers Service zurück, wenn die angestellten Mitarbeiterinnen ausgelastet sind. Für andere Kunden erledigt sie die Ablage und kommt auch schon einmal vorbei, wenn das Unternehmen Urlaub hat, um den Briefkasten zu leeren und die Post zu bearbeiten.

Christine Rüegsegger nimmt zwischendurch auch die ganz alltägliche Büroarbeit an. Über ihr Netzwerk auf Xing komme sie oft in Kontakt mit festangestellten Kolleginnen, die fragen, ob sie sie vertreten könne, etwa wenn sie krankheitsbedingt länger ausfallen. «Das mache ich dann auch.» Bis sie sich in eine Vertretungsstelle eingearbeitet hat, brauche sie in der Regel eine Woche. Sybille Eichenberger hingegen legt grossen Wert darauf, sich nicht zu sehr zu binden. «Ich habe auch schon Anfragen für Vertretungen bekommen, aber das mache ich nicht. Das nimmt mir die Flexibilität.» Auch ansonsten nimmt sie nicht jeden Auftrag an: «Ich muss jeden Auftraggeber persönlich kennenlernen, man muss ja ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. Wenn sich jemand nicht mit mir treffen will, nehme ich seinen Auftrag nicht an.» Die meisten ihrer Kunden haben ihren Standort in ihrer Nähe. Nur einer ist 30 Kilometer entfernt. «Da fahre ich einmal im Monat hin, das ist in Ordnung.»

Doch es gibt nicht nur freiberufliche Assistentinnen, bei denen Firmen ihre Büroarbeit teilweise oder ganz outsourcen können. Sogenannte Shared Service Center im In- und Ausland locken mit ständiger Erreichbarkeit, Fremdsprachenkenntnissen und kurzen Bearbeitungszeiten. Waren es lange Zeit hauptsächlich Callcenter- und IT-Dienstleistungen, gibt es heute auch Anbieter, die Buchhaltung und andere Assistenz-Leistungen anbieten – oft von Ländern aus, in denen die Löhne niedrig sind. Während Unternehmen im US-amerikanischen und britischen Raum hauptsächlich Dienstleister dieser Art in Indien anheuern, haben sich für den Rest Europas vor allem Rumänien und Bulgarien als Outsourcing-Zentren etabliert.

Der Anbieter Conectys beispielsweise mit Standorten in Rumänien und Belgien etwa bietet nicht nur Kundenbetreuung und Marktforschung am Telefon in 35 Sprachen und Monitoring der IT, sondern auch die Verarbeitung von Dokumenten. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen eigenen Angaben zufolge die Anzahl seiner Mitarbeiter um 60 Prozent erhöht und verfügt nun über 850 Arbeitsplätze.

Ausgleich in Spitzenzeiten

Es gibt auch Outsourcing-Firmen, die im Inland operieren: Die Firma Ecos Office Center etwa hat mehr als 30 Standorte in mehreren westeuropäischen Ländern, davon drei in der Schweiz. Sie bietet neben Büros und Konferenzräumen zur Miete auch einen Telefon- und Sekretariatsservice an. Die Ecos Office Center übernehmen zum Beispiel Übergangstätigkeiten, die nur hin und wieder in einem Unternehmen anfallen und nicht während des normalen Geschäftsbetriebs geleistet werden können. Zum Ausgleich von Arbeitsspitzen oder als Urlaubsvertretung übernehmen sie nach einem Briefing tägliche Sekretariats- und Management-Assistenzaufgaben. Dazu zählen das Entgegennehmen und Bearbeiten von Anrufen, Schreibarbeiten, Übersetzungen, Reisevorbereitungen, -buchungen, Veranstaltungsplanung, Marketingunterstützung und Auftragsbearbeitung. Sogar Bewerbungsgespräche kann man von Ecos planen und durchführen lassen. Preis: ab 75 Franken pro Stunde. Die Mitarbeiter arbeiten oft von zu Hause aus – das Unternehmen stellt sich deshalb gerne als idealer Arbeitgeber für Mütter dar, die flexibel den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben planen.

Eine preisgünstige Konkurrenz für die Ein-Frau-Unternehmen? Die beiden Freiberuflerinnen zeigen sich gelassen. «Unternehmer, die mich engagieren, wollen keine fremde Person in Osteuropa oder sonst wo, sondern einen verlässlichen Partner von hier an ihrer Seite», sagt Sybille Eichenberger. «Sie wünschen sich jemanden, dem Sie zu 100 Prozent vertrauen können, da sich meine Aufgaben in einem sehr sensiblen Arbeitsbereich befinden.» Einer ihrer Kunden, ergänzt sie, habe sogar einen Telefonservice in Osteuropa, der seine Anrufe annimmt, wenn er nicht im Büro ist. «Da bin ich einmal gelandet, als ich ihn anrufen wollte. Ich fand das nicht sehr überzeugend. Die Dame am anderen Ende konnte nur wenig Deutsch und hat die Hälfte nicht verstanden.» Christine Rüegsegger meint: «Die Shared Service Centers bieten administrative Assistenz an. Die mache ich, wenn überhaupt, nur noch auf Geschäftsführungsebene, und die wird nicht ausgelagert.» Sie glaube nicht, dass solche Anbieter sich langfristig bewähren. «Viele Aufgaben sind sehr komplex, sie outzusourcen verkompliziert und verlangsamt sie eher», denkt sie.

Aufträge aus dem Netz

Dafür hat Christine Rüegsegger eine andere Form der Jobakquise für sich entdeckt. Auf der Plattform elance.com können Firmen und Dienstleister aller Art weltweit entweder Projektaufträge ausschreiben oder Dienstleistungen anbieten. Hier tummeln sich bisher hauptsächlich Akteure aus den USA und Asien. Dennoch hat Christine Rüegsegger es schon geschafft, ein Projekt in den USA zu ergattern. «Das bleibt bis zum Schluss rein virtuell, Auftraggeber und Dienstleister treffen sich nie.» In der Schweiz sei dieses Modell noch nicht in grösserem Stil angekommen. «Trotzdem denke ich, dass es sich auch hier durchsetzen könnte.»

Interview mit Sybille Eichenberger

Wie kamen Sie auf die Idee, sich selbstständig zu machen?
Mein erster Job war noch typische Sekretariatsarbeit. Danach habe ich mir auch immer andere Arbeiten beschafft, die darüber hinausgingen. Ich habe zum Beispiel Werbeanzeigen und Sponsoring geplant. Bei meiner letzten festen Stelle waren aber alle sehr selbstständig, ich konnte mich nicht mehr so einbringen, und dann habe ich mich gelangweilt.

Arbeiten Sie nicht gerne im Team?
Ich hatte immer sehr gute Kollegen und Vorgesetzte. Aber Teamarbeit ist oft von oben aufgezwungen, das gefällt mir nicht. Natürlich kann ich auch im Team arbeiten, wenn es sein muss, aber das muss ich ja nicht. Mit einem Kunden zusammenzuarbeiten, ist natürlich etwas anderes. Da ist die Zusammenarbeit freundschaftlich. Das ist sehr angenehm.

Ihre Auftraggeber kommen aus sehr unterschiedlichen Branchen. Wie kommen Sie damit klar?
Ich reflektiere meine eigene Arbeit sehr stark. Ich frage mich immer: Wenn ich der Chef wäre, was würde ich mir wünschen? Und natürlich würde ich mir nicht wünschen, dass jemand ständig sagt: Puh, da habe ich keine Ahnung. Ich mache mich dann eben schlau. Man kann ja zum Beispiel immer die jeweiligen Ämter anrufen, die helfen einem immer sehr gut weiter.

Wie teilen Sie sich die Arbeit ein?
Derzeit arbeite ich etwa zwei Tage die Woche. Mir gefällt es, einige Tage Geschäftsfrau zu sein und einige Tage für die Familie da zu sein. Natürlich kommt aber immer zwischendurch etwas rein, das sofort bearbeitet werden muss. Meine beiden Söhne sind vier Monate und dreieinhalb Jahre alt. Wenn beide im Kindergarten und in der Schule sind, will ich wieder mehr arbeiten. Früher habe ich auch am Wochenende gearbeitet, das vermeide ich jetzt aber.

 

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