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Glück ist kein Glücksfall

Es ist nicht leicht zu finden, manchmal da, aber nicht fühlbar, und es lässt sich auf keinen Fall festnageln: das Glück. Ein flüchtiger Zustand, um den sich das halbe Leben dreht. Ziel, Schicksal oder Selbstverständlichkeit? Keines von allem und zudem lernbar, glaubt die Positive Psychologie.

Die Schwierigkeit mit dem Glück beginnt schon bei der Definition. Glück kann das neuste iPhone sein, eine Lindorkugel im Mund oder die Geburt des eigenen Kindes. Ein Hormonrausch oder ein lange, gute Phase. Die Selbstlosen sind ständig glücklich – weil wir hierzulande «Alles» haben. Die Zweifler nie – weil dieses «Alles» viel zu viele Möglichkeiten offenbart. Pessimisten glauben an das Glück als einen Schicksalsschlag, der sie sowieso nie trifft. Optimisten gehen davon aus, dass sie für ihr Glück selber verantwortlich sind. Eines aber ist den meisten Menschen gemeinsam: Sie sehnen sich nach Glück. Sie hoffen für sich und ihre Liebsten, so oft wie möglich glücklich zu sein.

Dieser Wunsch ist uralt. Schon Sokrates und Epikur haben darüber sinniert, was uns glücklich macht. Doch seit vergleichsweise kurzer Zeit leistet auch die Psychologie einen Beitrag zu diesem Diskurs. Und ihre Kernaussage ist vielversprechend: Glück ist kein Glücksfall. Diese These vertritt auch Willibald Ruch, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Universität Zürich. Zusammen mit seinem Team untersucht er, warum glückliche Menschen glücklich sind. «Wir interessieren uns dabei weniger für kurze Glücksmomente, sondern für längere Phasen, in denen Menschen sich als glücklich bezeichnen.» Ruch spricht von Lebenszufriedenheit. «Zufrieden sein und glücklich sein liegen nahe beieinander.»

Nett macht glücklich

Tausende von Befragungen haben Ruch und seine Kollegen dem Glück auf der Spur schon ausgewertet. Die gute Nachricht: Glück ist weder von der Intelligenz noch von körperlicher Attraktivität abhängig. Beide Faktoren spielen laut Ruch keine Rolle fürs Glücksbefinden. «Auch das Geschlecht und das Alter sind nicht ausschlaggebend», ergänzt der Glücksexperte. Obwohl beim Alter zu sagen ist, dass es in der Glückskurve um die 40 eine leichte Senkung gibt. Also sind doch die Klassiker feste Partnerschaft, Kinder oder Haus mit Hund die Glücksbringer? «Man muss unterscheiden, was einzelne Personen als Glücksfaktoren angeben, und was die Forschung zeigt», sagt Ruch. Es stelle sich die Frage, ob beispielsweise ein fester Partner die Glücksgefühle steigert, oder ob glücklichere Menschen einfach eher einen Partner finden.

Der Schlüssel zum Glück sieht Ruch mehr in den Menschen selbst als in ihrem Umfeld. «Studien zeigen, dass gewisse Charaktereigenschaften glücklich machen.» Für die Tests wurden 24 Charakterstärken wie zum Beispiel Kreativität, Mut und Bescheidenheit definiert und untersucht, wie stark sie bei Menschen vorkommen, die sich als glücklich bezeichnen. Das Ergebnis ist verblüffend: Anscheinend sind bei glücklichen Menschen immer die gleichen Charaktermerkmale besonders stark ausgeprägt. Die Top sechs der Glücklichmacher sind:

  • optimistisch sein
  • Tatendrang verspüren
  • dankbar sein
  • neugierig sein
  • bindungsfähig sein

Optimistische Menschen haben also grössere Chancen, glücklich zu werden. Doch das sollte Pessimisten nicht vergrämen. Denn Ruch geht davon aus, dass man diese Charaktereigenschaften trainieren kann. «Charaktermerkmale sind im Grunde nicht mehr als zur Gewohnheit gewordene gute Verhaltensweisen, und die kann man sich bis zu einem gewissen Grad aneignen.» Er nimmt die Freundlichkeit als Beispiel – ein fürs Glück ebenfalls nicht unwichtiger Charakterzug. «Wenn ich freundlicher werden möchte, überlege ich mir, was alles dazu gehört. Zum Beispiel, dass ich jemandem die Türe aufhalte. Wenn ich in den nächsten zwei Wochen darauf achte, wird es mir nachher plötzlich komisch vorkommen, jemandem die Türe vor der Nase zufallen zu lassen.» Ruch und sein Team entwickeln zur Zeit ein Charaktertraining, das online gratis zur Verfügung gestellt wird (siehe Kasten).

Genau gleich wie gute Charaktermerkmale trainiert werden können, gilt es auch, Glückskiller um die Ecke zu bringen. Einer davon ist, sich ständig mit anderen zu vergleichen.

Vorbeugen statt heilen

Neben dem Training der sechs oben genannten Charaktermerkmalen möchte Ruch den Menschen auch helfen, ihre besonderen Charakterstärken zu erkennen und sie vermehrt einzusetzen. «Es gibt zwei Möglichkeiten, die eigene Zufriedenheit zu beeinflussen: 1. indem ich die mit Glück korrelierenden Merkmale trainiere und 2. indem ich meine Stärken bewusster im Job und im Alltag einsetze.»

Die Konzentration auf die eigenen Stärken ist die Basis der sogenannten Positiven Psychologie, auf der Ruchs Arbeit fusst. Es ist ein relativ junger Zweig der Wissenschaft, der vor rund 14 Jahren offiziell ins Leben gerufen wurde. Im Gegensatz zur herkömmlichen Psychologie, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg auf Krankheiten und Störungen wie Angst, Depressionen oder Schizophrenie konzentriert, kümmert sich die Positive Psychologie um das, was gut ist für die Menschen. Sie will nicht heilen, sondern vorbeugen. Ruch hat schon auf diesem Gebiet geforscht, als der Begriff Positive Psychologie noch nicht existierte. Schon seine Doktorarbeit hat er dem Humor gewidmet und untersucht, wie Humor und Persönlichkeit zusammenspielen. Für viele Fachleute hatten solche Fragestellungen rund um positive Emotionen nichts mit ernsthafter Psychologie zu tun. Und auch mit seinem Interesse für das Glück ist er jahrelang gegen den Strom geschwommen. «Aber plötzlich hat sich dieser Strom gedreht und unsere Forschung wurde zu Pionierleistung.» Glücksgefühle für den Wissenschaftler.

Der Humor nimmt übrigens in Ruchs Arbeit heute noch eine wichtige Stellung ein. Denn auch er kann mit dem Glück in Verbindung gebracht werden – zumindest in Europa. «Er steht auf der Rangliste der Stärken, die einen Einfluss auf das Glücksempfinden haben, an siebter Stelle», sagt Ruch. Humor wirkt wie ein Puffer, er ruft positive Emotionen ab und spielt eine wichtige Rolle im Sozialleben. Und auch eine humorvollere Sicht auf das Leben kann geübt werden, ist Ruch überzeugt – bis zu einem gewissen Grad zumindest. «Die genetische Veranlagung spielt bei der Neigung zu positiven Emotionen auch eine Rolle. Aus einem absoluten Griesgram eine Frohnatur zu machen ist ein sehr langer Weg, aber nicht unbedingt unmöglich.»

Glücklicher Griesgram

Die Frage ist, ob das überhaupt nötig ist. Denn solange sich ein Griesgram wohl fühle in seiner Haut, bestehe auch keine Notwendigkeit, etwas zu verändern, sagt Ruch. Er schätzt, mit welchem Interesse die Positive Psychologie von der Bevölkerung aufgenommen wird, beobachtet, wie Ratgeberliteratur und die Diskussionen um das Glück zunehmen. Nur darf kein Druck entstehen, glücklich sein zu müssen. «Wenn Menschen plötzlich unglücklich werden, weil sie nicht so glücklich sind, wäre das ein Desaster.» Jedem sein Recht auf ein bisschen Schwermut also.

Sowieso dürfe Glück nicht mit einem Dauerlächeln gleichgesetzt werden. «Es hat viel mehr damit zu tun, im Leben das richtige Mass an Herausforderungen zu haben und einen Sinn zu sehen in dem, was man tut.» Neben den richtigen Charaktermerkmalen spielt eben auch die Balance eine Rolle. Laut Ruch braucht es Anteile von drei Lebensstilen: dem Life of Pleasure des Genussmenschen, dem Life of Meaning eines Sinnsuchenden und dem Life of Engagement von Selbstverwirklichern. «Allerdings hat das engagierte Leben die grösste Wirkung auf mehr Zufriedenheit.» Das wiederum betont die Wichtigkeit, seine eigenen Charakterstärken zu kennen, zu trainieren und gezielt einzusetzen. Und auch ein gewisser Anteil an «Unglück» trägt zum Glück bei. Das gehöre zum normalen Auf und Ab des Lebens, sagt Ruch. «Immer nur Kaviar wird ja auch einmal langweilig.»

Hier werden Sie glücklich

Gemäss der Positiven Psychologie tragen zwei Dinge wesentlich zum persönlichen Glück bei: glücksbringende Charaktereigenschaften zu stärken und seine Charakterstärken zu kennen, um sie gezielt einzusetzen. Wie das gelingt, zeigen zwei Webseiten des Psychologischen Instituts der Universität Zürich. Wer sich registriert, stellt seine Daten der Wissenschaft zur Verfügung und erhält dafür kostenlos ein Stärkenprofil sowie einen Trainingsplan für Charakterstärken.
www.charakterstaerken.org
www.staerkentraining.ch (im Aufbau)

 

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