Bürokultur

Hilfe, mein Chef ist anzüglich

Hier ein zweideutiges Kompliment. Da ein anerkennendes Zwinkern. Wenn der Chef oder Mitarbeiter sich so verhält, ist es nicht immer weise, zu kontern.

Der Fall

«Wenn ich Sie so auf der Strasse sähe, würde ich Ihnen hinterherpfeifen», sagte Myriams Chef vergangene Woche. Und fügte noch die Frage an, ob sie ein Rendezvous habe, weil sie so hübsch angezogen sei. «Das geht Sie gar nichts an», erwiderte sie daraufhin genervt und liess ihn stehen. Solche und ähnliche Situationen kommen immer mal wieder vor, Myriam weiss nicht, wie sie damit umgehen soll. Dass er sie gern vermeintlich scherzhaft «Schätzchen» nennt, ist noch ihr kleinstes Problem. Sie fühlt sich insgesamt nicht ernst genommen.

Das rät der Coach:

Dass andere uns mit Aussagen tüpfen oder gar verletzen, passiert immer wieder. Oft dann, wenn bei uns ein wunder Punkt getroffen ist. In solchen Situationen ist es also grundsätzlich ratsam, sich zuerst einmal selbst zu fragen: Warum trifft mich das eigentlich so? In ein Fettnäpfchen kann man nur treten, wenn da überhaupt ein Fettnäpfchen ist.

Das gilt natürlich vor allem bei Übergriffen, bei denen nicht ganz klar ist, wie der Chef das jetzt gemeint hat. Vielleicht wollte er tatsächlich etwas Nettes sagen und hat sich dabei einfach tollpatschig angestellt, weil er unsicher war. Wer weiss? Wenn die Entgleisung als witzig ausgelegt werden kann, zeugt es von Humor, darüber hinwegzugehen. Mit Humor können wir unterstellen, dass sich jemand bloss ungeschickt verhalten hat und können so reagieren, dass niemand sein Gesicht verliert.

Problematisch wird es, wenn sich Situationen häufen. Dann ist Ignorieren oder gequält dar­über Hinweglächeln natürlich keine Option mehr. Doch sollte man sich genau überlegen, wie die Reaktion aussehen soll: Denn wie andere uns behandeln, fällt auf sie zurück. Wie wir darauf reagieren, auf uns.

Bissig Zurückschnappen wie ein Chihuahua geht wie im Beispiel oft nach hinten los und befeuert meist weitere Kommentare. Besonders wenn noch andere Männer anwesend sind. Ausserdem fallen einem die besten Entgegnungen sowieso erst hinterher ein. Zu spät also.

Auch gut: fragend an die Situation heran­gehen. «Ich habe die Situationen so und so erlebt. Aber wie hast du das gemeint?» Dann hat der andere eine Chance, seine Sichtweise darzulegen.

Natürlich muss man mit Reaktionen à la «jetzt mach dich mal locker» rechnen. Da hilft am besten die klare Ansage: «Hier geht es aber nicht um Lockerheit, sondern um angemessenes Verhalten am Arbeitsplatz.»

Überhaupt ist Direktheit die beste Massnahme, wenn Humor und Fragen nicht weiterbringen. Gegen die Ansage «Das ist mir unangenehm» oder «Ich wünsche mir mehr Distanz» kann niemand etwas sagen.

Wiederholen sich die Anzüglichkeiten dennoch weiter, darf – und sollte man auch – wiederholt das Gespräch suchen. Hört es nach dreimal nicht auf, ist es an der Zeit, das Ganze nach oben oder an die HR-Abteilung zu melden. Dafür sind Hierarchien und Zuständigkeiten da.

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Karin Martin ist Organisationsberaterin 
und Coach. Ihr Fokus ist die Zusammen-arbeit in Gruppen und Teams. 
www.frischluft.ch

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