Coaching

Hilfe mein Chef ist deutsch

Arrogant, laut, direkt: So werden die Deutschen in der Schweiz oft wahrgenommen. Das kann am Arbeitsplatz zu Spannungen führen. Ein Coach gibt Rat, was dann zu tun ist.

Der Fall

Regula Stierli wusste nicht mehr weiter. Seit drei Monaten hatte sie nun einen neuen Chef: Reiner Schmidt war aus Berlin nach Bern gezogen. Doch seither lief es nicht mehr so richtig rund. Schon von Anfang an hatte Stierli das Gefühl, dass er sich nur für Fakten und Zahlen interessierte. Der Mensch kam bei ihm zu kurz. Schon am ersten Tag hatte er kaum Zeit, sie und ihre Kolleginnen kennen zu lernen. Er habe sich in kurzen und knappen Sätzen vorgestellt, allen schnell die Hand gegeben und sei dann gleich zu den inhaltlichen Vorgängen und Abläufen im Büro übergegangen. Keine Zeit für einen Kaffee! So hat es sich bis heute fortgesetzt und das alles noch in Schriftdeutsch.

Für Regula Stierli wurde die Situation so anstrengend, dass sie sich Hilfe bei einem Coach suchte. Grundsätzlich mache sie ihre Arbeit gerne, habe alles im Griff und habe unter ihrem alten Vorgesetzten ab und zu auch mal Ideen und Vorschläge eingebracht. Nur jetzt traue sich sich gar nicht mehr, etwas zu sagen. Sie finde ihren Chef einfach zu arrogant und zu kühl. Und überhaupt kenne Schmidt nur die Arbeit und nicht anderes. Hobbies oder Freunde habe er keine.

Das rät der Coach:  

1. Versuchen zu verstehen
Im Gespräch mit Frau Stierli haben wir besprochen, was wohl hinter dieser vermeintlichen Arroganz und Coolness stecken und wie sie diese vielleicht besser akzeptieren könnte. Dazu hilft es, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen: Es ist nicht schwer vorstellbar, dass sich ihr Chef möglicherweise unsicher und fremd in Bern fühlt, dass ihm der ungewohnte Dialekt noch Mühe bereitet und er hier überhaupt noch nicht zu Hause ist. Vermutlich hat er nach dieser kurzen Zeit auch noch Heimweh nach der etwas rüpeligen und schroffen Berliner Art. Vielleicht sind Fakten, Prozesse, Entscheidungen in diesem Moment das Einzige, womit er sich sicher und handlungsfähig fühlt.

Könnte es nicht am Ende gar eine kluge Entscheidung gewesen sein, sich zunächst um Fakten und Zahlen zu kümmern, bevor er sich den Mentalitäten, den Zwischentönen, dem Bernerischen öffnen und zuwenden konnte? Vielleicht sind ihm auch einige für Frau Stierli ganz übliche, typisch schweizerische Umgangsarten eher ungewohnt: häufig Bitte und Danke sagen oder zuerst mal die Meinungen anderer einholen und miteinander diskutieren, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Auch dass ihr Chef zunächst mal nach Büroschluss als Mensch alleine ist und darum bis spät in die Nacht arbeitet, ist am Ende vielleicht einfach der derzeitigen Situation geschuldet.  

2. Auf den Anderen zugehen
Das alles hat Frau Stierli neugierig gemacht und sie hat es dann in die Hand genommen, ihren Chef auf einen berlinerisch-bernerischen Kaffeeplausch einzuladen. Interessiert am Austausch unterhielt sich Regula Stierli mit Ihrem Chef über das jeweils «Typische» von Bernern und Berlinern, was dem anderem daran ganz fremd ist, was aber auch neugierig macht und wozu beide etwas mehr erfahren wollten. Sie blieben beide ihrer eigenen Mentalität treu, konnten jedoch durch die gemeinsame Zeit sich in die Sichtweisen des Anderen hineinversetzen und sich etwas besser mit ihren Unterschieden verstehen lernen.

Ihr Chef spricht immer noch fast stakkatoartig schnell und entscheidet auch noch ab und zu mal, ohne alle im Team einzubeziehen. Aber seine Assistentin konnte ihm die Vorzüge des Konjunktivs, des Ausredenlassens und Zuhörens nahebringen. Umgekehrt schätzt sie nun, dass sie nicht immer nur lächeln muss und direkt Probleme ansprechen darf, ohne um den heissen Brei herum reden zu müssen.

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Agnes Joester ist Geschäftsführerin von vivo consulting gmbh und Partnerin von demograf.ch. Die Diplom-Psychologin begleitet Menschen und Organisationen in Veränderungsprozessen. Ein Arbeitsschwerpunkt ist die Demografieberatung in Unternehmen und Kommunen. Sie ist Dozentin an der Universität St. Gallen.

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