Bürokultur

Hilfe, mein Chef ist schwach

Dass die Assistentin im Hintergrund die Fäden in der Hand hält, wird oft behauptet. Bei schwachen Chefs ist das auch die einzige Möglichkeit, die Kontrolle über die eigene Arbeit zu behalten. Sie muss man von unten führen.

Der Fall

Ursulas Chef hat Mühe sich zu entscheiden, verpasst oft Deadlines und löst so viel Stress bei seiner Assistentin aus. In seinem Bemühen Fehler zu vermeiden, vermeidet er in erster Linie zu handeln.

Er kann sich nicht positionieren und zieht darum bei internen Machtrangeleien oft den Kürzeren. Aufgaben, die sonst niemand machen will, bleiben an ihm – und damit auch an ihr – hängen. Meist bleibt er länger im Büro als andere, Ursula fühlt sich dann verpflichtet ebenfalls zu bleiben, um ihm zu helfen.

Das rät der Coach:

Eine von anderen wahrgenommene Schwäche ­resultiert meist aus einer Unsicherheit. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Vielleicht hat Ursulas Chef Angst vor Konflikten oder er ist zu gutmütig und wird darum ausgenutzt.

Worauf auch immer seine Schwäche gründet: Ursula kann seine Probleme nicht lösen. Die Schwierigkeiten zu thematisieren, ist in einem solchen Fall auch eher kontraproduktiv und würde die Unsicherheit eher verstärken. Das Problem zu lösen, ist eher Aufgabe des HR oder des Chef-Chefs.

Ursula kann aber die Kontrolle über ihre eigene Arbeit erlangen und sie kann ihren Chef von unten führen und ihm so helfen, seine Arbeit in den Griff zu bekommen.

Für eine souveräne Assistentin, die gern Verantwortung übernimmt, ist ein schwacher Chef kein Weltuntergang. Im Gegenteil. Grundsätzlich lassen sich Situationen, in denen der Chef sich wieder zu keiner Entscheidung durchringen kann, gut mit Instrumenten des Coachings anpacken. Das bedeutet im Grundsatz: fragen, fragen, fragen. «Was wäre wenn …», «Warum oder warum nicht …?» So kann sie ihn dazu bringen, sich mit seinen Entscheidungen auseinanderzusetzen.

Im Extremfall kann die Assistentin auch strategische Entscheide so weit vordenken und vorbereiten, dass seine Entscheidung sozusagen vorgespurt ist. Wichtig dabei ist, den Chef unter gar keinen Umständen schlecht dastehen zu lassen. Wer rumerzählt, dass er für den Chef entscheidet, steigert sein Ansehen nicht. Das Credo in einer solchen Situation muss sein: Act like a lady, think like a boss.

Natürlich kann eine Situation bei der Assistentin ein Dilemma auslösen: Sie ist dem Chef unterstellt, verdient weniger und wird als Strippenzieherin im Hintergrund nicht immer wahrgenommen. Kein schönes Gefühl. Vor allem dann nicht, wenn vor allem sie es ist, die den Laden schmeisst. Auf der anderen Seite ist ein Assistentin, die den Chef gut begleitet, nicht automatisch die bessere Person für den Job. Es ist eine Sache, im Hintergrund zu entscheiden, aber eine ganz andere, selbst Führungskraft zu sein. Aus diesem Grund sind viele Assistentinnen mit ihrem Job – der sie zwar in die Nähe der Macht rückt, aber nicht ins Rampenlicht – sehr zufrieden.

Und wer dennoch meint, er könne es besser machen als der Chef, kann sich auf diese ­Weise ja vielleicht schon mal den nächsten Karriereschritt vorbereiten.

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Karin Martin ist Organisationsberaterin 
und Coach. Ihr Fokus ist die Zusammen-arbeit in Gruppen und Teams. 
www.frischluft.ch

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