Portrait

Hochfahren zum Runterkommen

Seit sie arbeitet, geht es bei Melanie Bernhard emotional zu und her. Ob im Gericht oder bei Swiss Olympic: Mitfiebern und Mitfühlen gehören für sie zum Job. Die Energie dafür holt sie sich beim Sport. Oder beim Organisieren. Denn sobald sie planen kann, blüht sie auf.

Beim 50-Kilometer-Rennen von Dario Cologna an den olympischen Winterspielen in Sotschi hatte Melanie Bernhard ein Déjà-vu. Als zwei Kilometer vor dem Ziel Colognas Ski brach, war sie den Tränen nahe. «Ich konnte dieses Pech kaum fassen. In Vancouver ist er kurz vor dem Ziel gestürzt, in Sotschi bricht ihm der Ski. Das war so unfair.» Melanie Bernhard stand am Pistenrand, kurz vor der Ziellinie. Wie damals in Vancouver. Mit Mütze auf dem Kopf und Fahne in der Hand wollte sie den Sportler auf den letzten Metern lautstark anfeuern. Doch Cologna kam nicht.

Melanie Bernhard ist eine leidenschaftliche Zuschauerin. «Sport bedeutet für mich Emotionen pur», sagt sie. Sie fiebert mit, sie leidet mit, sie freut sich mit Athleten. In Sotschi stand sie bei jedem Wettkampf, bei dem ein Schweizer startete, in der Kälte. Das gehört zu ihrem Job, trifft sich aber sehr gut mit ihrem Interesse. Als Assistentin bei Swiss Olympic hat sie alle drei vergangenen Olympiaden vor Ort miterlebt. «Ein Glücksfall!», sagt sie.

Gastgeberin für Bundesräte

Zurück in der Schweiz sitzt sie mit einer grossen Tasse Tee im Präsidentenzimmer des «Haus des Sports» bei Bern. Sie wirkt ruhig und interessiert, erzählt gerne von ihrer Arbeit. Seit sieben Jahren ist Melanie Bernhard für Swiss Olympic, den Dachverband des Schweizer Sports und Nationales Olympisches Komitee, tätig. Der Präsident der Organisation ist einer ihrer drei Chefs, vor allem aber ist sie für den Direktor und den Vizedirektor die rechte Hand. Sie teilt sich die Arbeit mit einer Kollegin. «Als Direktionsassistentinnen sind wir die Drehscheibe für Anfragen und Termine, stellen Unterlagen zusammen, führen Protokoll und organisieren Events. Wir stehen in Kontakt mit den Leuten im Haus, unseren Mitgliedverbänden aus der Schweiz aber auch mit internationalen Vereinigungen. Darum erledigen wir einen grossen Teil unserer Arbeit auf Englisch oder Französisch.» Melanie Bernhard mag Fremdsprachen und bessert ihre Kenntnisse regelmässig auf. Auch sonst lernt sie viel in ihrem Job: «Er ist sehr vielschichtig, es geht längst nicht nur um Sport im engen Sinne. Je nach Aktualität sind wir beispielsweise auch bei politischen Themen involviert.» Die Diskussion zur Mehrwertsteuer für Verbände sei so ein Fall gewesen, oder aktuell das Vernehmlassungsverfahren für die Revision des Korruptionsstrafrechts.

Alle zwei Jahre aber ruht das Alltagsgeschäft für ein paar Tage. Melanie Bernhard packt ihren Koffer und reist zu den Olympischen Spielen. «Im Vorfeld bin ich für die Akkreditierung unserer Gäste zuständig. Ich treffe die Vorbereitungen und betreue die Gäste später vor Ort.» Auf der Besucherliste stehen Bundesräte, Persönlichkeiten aus dem Sport oder Verbandsvertreter.

Ausser Dienst

  • Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Als ich mich beim Klettern das erste Mal selber sichern musste. Das war beim «Büffel», einer Felsnase im Kanton Bern. Die Stelle ist unübersichtlich, dafür war ich nachher von meiner Höhenangst geheilt.
  • Dieses Ritual ist mir wichtig: Mein Tee am Morgen. Im Büro setze ich immer als erstes heisses Wasser auf. Bei einem Schluck aus meiner riesigen, orangen Tasse verschwindet mein Gesicht angeblich völlig, das hat schon für Lacher gesorgt.  
  • Das möchte ich gerne können: Singen! Ich habe zwar ein gutes Rhythmusgefühl, aber ich treffe die Töne überhaupt nicht.
  • Das hat mich geprägt: Mein Sprachaufenthalt in Kanada mit 17 Jahren. Ich habe drei Monate bei einer Familie in Toronto gelebt, wir stehen heute noch in Kontakt. In dieser Zeit hat mich das Reisefieber gepackt und ich hab vieles fürs Leben gelernt.
  • Das bringt mich zum Staunen: Kinder und die Art, wie sie die Welt entdecken.
  • Das macht mich wütend: Bei launischen Menschen stehe ich an, damit kann ich sehr schlecht umgehen. Richtig wütend macht mich Unehrlichkeit.

Dieses Jahr aber war Melanie Bernhard schon zwei Wochen vor ihren Schützlingen nach Sotschi gereist. «Ich habe geholfen, drei Athletendörfer einzurichten. Eine super Erfahrung», erzählt sie. Zur Grundausstattung der Zimmer gehörte auch ein süsser Gruss aus der Schweiz. 180 Kilogramm Schweizer Schokolade hat die bekennende Schoggiliebhaberin organisiert. «Es war gar nicht so einfach, die in die Athletendörfer zu bringen», sagt sie und lacht. Die Schoggi habe dann aber auch bei dem einen oder anderen Russen in der Organisation Wunder bewirkt. Manches sei anfangs etwas schleppend vorangegangen. «Man muss flexibel bleiben und seine Pläne rasch umstellen können», beschreibt sie die interkulturelle Zusammenarbeit. Aber statt als Stress sieht Melanie Bernhard das als Herausforderung. «Ich organisiere für mein Leben gerne und es macht mir grossen Spass, rasch umzudenken und neue Pläne zu schmieden.»

Der Rummel in den Athletendörfern hat ihr so gefallen, dass sie morgens oft ihren Computer einpackte und zu den Sportlern reiste, statt alleine im Hotel zu arbeiten. «Ich bin ein geselliger Mensch», sagt sie. Sie kennt viele der Athleten persönlich und auch ein paar ihrer Gäste hat sie schon das dritte Mal betreut. Mit Sportminister Ueli Maurer das Fähnchen zu schwingen oder eine Abfahrt neben Didier Cuche am Bildschirm zu verfolgen, ist in ihrem Metier nichts Aussergewöhnliches. Und doch gibt es Momente, die besonders im Gedächtnis bleiben: «Das Tennisfinale mit Roger Federer in London, bei dem er nachher das Swiss Olympic Team ins House of Switzerland zum Znacht eingeladen hatte, ist unvergesslich. Er ist ein Ausnahmesportler und es beeindruckt mich, wie bodenständig und authentisch er geblieben ist.» Sie ist Fan, gibt sie zu, aber nicht nur von Federer: «Ich bewundere alle Sportler. Den meisten Zuschauern ist nicht bewusst, wie viel es braucht, damit ein Athlet es an die Olympischen Spiele schafft.»

Spielnase und Hobby-Detektivin

Melanie Bernhard sieht hinter die Kulissen. Vor allem aber hat sie sich selber schon in verschiedenen Sportarten Wettkämpfen ausgesetzt. Mit sieben trat sie in den Turnverein ein. Dann machte sie Leichtathletik. Später fing sie mit Fechten an. «Ein toller Sport, aber leider in der Halle», sagt die Naturliebhaberin. Es folgten ein paar Jahre Karate, ein Abstecher zum Fitness, bis sie schliesslich, mit dem Start bei Swiss Olympic, zum Ausdauersport gekommen ist. «Als bekennende Gigathletin bin ich am liebsten auf dem Rennvelo oder dem Mountainbike unterwegs und ich laufe regelmässig. Nur beim Schwimmen bin ich nicht so enthusiastisch.» Dafür fährt sie im Winter extrem gerne Ski. Sie schwitzt fast täglich ein paar Stunden. Entweder über Mittag bei einer Jogging-Runde oder abends auf dem Bike. «Das Sportangebot hier im Haus ist sehr vielseitig», schwärmt die Assistentin über ihren Arbeitsplatz, wo die Eingangshalle von einer grossen Kletterwand dominiert wird.

Auch mit ihrem Mann, einem ehemaligen Eishockeyspieler, verbindet sie die Liebe zum Sport. Obwohl eingefleischter Mannschaftssportler, hat er sie an den New York Marathon begleitet und ist, zwar später als seine Liebste, die für die 42 Kilometer rund viereinhalb Stunden brauchte, gut ins Ziel gelaufen. «Der Marathon war eine eher spontane Idee», sagt Melanie Bernhard locker. Sie kombiniert ihre Leidenschaft für Sport gerne mit ihrer Freude am Reisen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie in ihren Ferien hunderte von Kilometern auf dem Rennvelo zurücklegt, auf Kuba per Bike reist oder auf Vancouver Island mit einem 19 Kilo schweren Rucksack sieben Tage in der Wildnis auf dem West Coast Trail unterwegs ist. «Sport gehört einfach zu meinem Leben. Nichts anderes gibt mir so viel Energie», sagt die Assistentin. Und selbst wenn sie an Wettkämpfen teilnimmt, steht dabei viel mehr das gemeinschaftliche Erlebnis im Vordergrund 
als ein Sieg. Sie sei eine faire Verliererin, sagt Melanie Bernhard von sich. «Vor allem aber bin ich eine absolute Spielnase!» Egal ob Gesellschaftsspiel, Squash-Match oder Fangis mit einem Kind: Nicht mitzumachen ist keine Option. «Ich bin sehr offen und probiere gerne neue Dinge aus.» Ob eine neue Sportart oder Waghalsiges wie der Flug in einem Akrobatikflugzeug inklusive Todesspirale im freien Fall – sie sagt lieber Ja als Nein.

Dauernd Action also? «Nein. Überhaupt nicht. An einem verregneten Sonntag kann ich mich gut den ganzen Tag mit einem Buch verkrümeln.» Sie kann stundenlang Kochbücher durchblättern und aufwendige Menüs für Freunde vorbereiten. «Und ich liebe Krimis! Die Faszination, einen Fall zu lösen, das Detektivische, packt mich. Auch das detailverliebte Arbeiten entspricht meinem Naturell.»

Ganz von ungefähr kommt das nicht. Melanie Bernhard hat als Gerichtssekretärin beim Untersuchungsrichteramt in Bern gearbeitet und ist mit der Richterin an die Tatorte ausgerückt. «Wir haben schlimme Dinge gesehen. Das geht schon nahe.» Trotzdem hat sie nie angefangen, an den Menschen zu zweifeln. Der Wechsel zu Swiss Olympic hat ihr aber gut getan. «Auch im Sport sind die Emotionen stark – aber sie sind sehr oft positiv.»

Zur Person

Melanie Bernhard ist in Bern aufgewachsen und wohnt heute mit ihrem Mann in Burgdorf. Die 38-Jährige hat das KV in einem Advokatur- und Notariatsbüro absolviert und ist Gesetz und Recht lange treu geblieben: Nach der Lehre hat sie zwei Jahre auf dem Zivilgericht gearbeitet und war danach fünf Jahre lang als Gerichtssekretärin im Untersuchungsrichteramt tätig. Nach der Ausbildung zur Direktionsassistentin hat sie in die Privatwirtschaft gewechselt, als Assistentin des CEO von Glas Trösch. Auf einer Kommunikations- und PR-Agentur hat sie sich danach mit neuen Themen befasst und festgestellt, dass ihr das «Verkäuferische» nicht so liegt. Als sie von einer freien Assistenz-Stelle bei Swiss Olympic erfuhr, war sie innerhalb von drei Tagen angestellt.

 

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