Organisation

Im Klartext, bitte!

Im Arbeitszeugnis Geheimcodes zur Verklausulierung von schlechten Leistungen verwenden, um Ärger zu vermeiden? Wird immer noch vielerorts gemacht – darf man aber nicht, sagt das Arbeitsrecht. Ein Zeugnis soll der Wahrheit entsprechen, auch wenn es wohlwollend formuliert sein muss. Und so geht’s richtig.

Jeder, der schon einmal ein Arbeitszeugnis erhielt, hat es schon getan: die Beurteilung auf vermeintliche Fallen abklopfen. Immer wieder hört man von Geheimcodes in der Zeugnissprache, die angeblich schlimme Bedeutungen haben. Zum Beispiel: Einem Mitarbeiter, der «offen für Neues» war, soll eine unzureichende Qualifikation unterstellt werden. Wer «an seiner Tätigkeit grosses Interesse» zeigte, soll dafür wenig Fleiss an den Tag gelegt haben. Wer «wegen seines aufgeschlossenen Wesens bei seinen Kollegen gern gesehen» war, ist eine Quasselstrippe. 

Solche Codes sind auch ein Problem für diejenigen, die ein Zeugnis formulieren sollen. Denn hinter jedem Satz eine versteckte Botschaft zu vermuten, kann ziemlich anstrengend sein. Aber nicht nur das: Es ist vor allem auch nicht erlaubt. «Was in einem Arbeitszeugnis geschrieben steht, hat wörtlich zu gelten. Man darf nicht versuchen, es zu interpretieren. Das hat das Bundesgericht 2014 entschieden», erklärt Dr. Nicole Vögeli, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Kloten. 

Ein Zeugnis muss zwar «wohlwollend» formuliert sein, und zwar in dem Sinne, dass es die Suche nach einer neuen Stelle nicht unnötig erschwert. Aber: «Die Wahrheitspflicht steht vor dem Wohlwollen», betont die Expertin, denn: «Ein Arbeitszeugnis ist eine Urkunde. Die darin enthaltenen Daten müssen korrekt sein.» 

Zeugnis selbst schreiben lassen?

Dass Arbeitszeugnisse gar keine offenkundig negativen Bewertungen enthalten dürften, sei schlicht nicht der Fall. «Für die Verklausulierungen gab es in den 1990er-Jahren einmal einen Hype, das ebbt jetzt wieder ab», hat Nicole Vögeli beobachtet. Schliesslich seien diese auch nicht sinnvoll: «Wenn man nur noch Gefälligkeitszeugnisse ausstellt, sind diese nicht mehr relevant.» Ausserdem: Wenn jeder wisse, dass die vermeintlich gute Bewertung in Wirklichkeit negativ gemeint sei, könne man auch gleich Klartext reden.

Klare Zeugnissprache

Sehr gute oder gute Leistungen

  • «Herr X führte die ihm übertragenen Arbeiten termingerecht, präzise und stets zu unserer vollsten Zufriedenheit aus.»
  • «Sein grosses fachliches Können und Wissen war uns von grossem Nutzen.»
  • «Auch bei grossem Arbeitsanfall und Arbeitsdruck behielt er die Übersicht und leistete immer qualitativ hochwertige Arbeit.»
  • «Er lenkte die Arbeitsprozesse verantwortungsvoll, hielt Ziele ein und ging mit Ressourcen sinnvoll um.»
  • «Im Umgang mit Vorgesetzten, Kollegen und Kunden war er stets höflich, freundlich und korrekt.» 

Zufrieden stellende oder noch genügende Leistungen

  • «Wir haben Herrn X als interessierten Mitarbeiter kennengelernt, der sich rasch in sein Aufgabengebiet eingearbeitet hat.»
  • «Er nahm seine Aufgaben mehrheitlich selbstständig wahr und bewältigte die anfallende Arbeit.»
  • «Er zeigte über all die Jahre genügende Leistungen.»
  • «Er verhielt sich gegenüber Kunden, Vorgesetzten und Mitarbeitern korrekt sowie freundlich.»
  • «Er konnte die Vorstellungen der Kunden meistens verarbeiten und fand für spezielle Aufträge oft eine Lösung.»

Ungenügende Leistungen 

  • «Seine Zeichnungen und Pläne waren umsetzbar, mussten aber teilweise korrigiert werden.»
  • «Teilweise fehlte X das Verständnis für die Notwendigkeit einer soliden finanziellen Grundlage, weshalb es ihm unter anderem nicht abschliessend -gelang, eine tragende Zusammenarbeit mit dem Verkaufsteam aufzubauen.»
  • «Gegenüber der Geschäftsleitung und dem Führungskader liess er es oft an der Bereitschaft zur Zusammenarbeit missen.»
  • «Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Mitarbeitern ist jederzeit höflich, in der Wirkung jedoch eher kühl.»

Wichtig: Eine einzelne nicht vollkommen positive Bewertung muss nicht als Abwertung des gesamtes Zeugnisses verstanden werden: Der Gesamteindruck zählt.

Den Mitarbeiter das Zeugnis selbst verfassen zu lassen, davon hält Nicole Vögeli nichts: «Die Zeugnisformulierung ist die Aufgabe des Arbeitgebers.» Dabei solle man auch darauf achten, dass alle Arbeitszeugnisse in einem einheitlichen Stil formuliert sind. Das erleichtert zum einen die Argumentation bei Änderungswünschen und hilft zum anderen demjenigen, der mit dem Verfassen des Zeugnisses beauftragt ist.

Soll die Assistentin das Zeugnis vorbereiten oder auch schreiben, braucht sie dafür die Informationen vom Chef. Dazu gehört das Personaldossier mit Stellenbeschrieb, Arbeits-vertrag, Informationen über eventuelle Beförderungen und Zwischenbeurteilungen. Vom direkten Vorgesetzten sollte zudem eine ak-tuelle Bewertung und Beurteilung eingeholt werden. 

Welche Informationen ein Zeugnis enthalten muss, ist festgelegt (siehe Kasten). Auch für die Reihenfolge und Gewichtung des Inhaltes gibt es Richtlinien. «Das Hauptgewicht sollte auf der Beschreibung der Qualifikation, der Leistungen und des Verhaltens liegen», erklärt die Expertin. Dafür sollte man – nach der Aufzählung der Aufgaben – zwei bis drei Absätze einplanen. Hatte der Mitarbeiter eine leitende Position, wird auch für seine Führungsqualitäten wenigstens ein Absatz gebraucht. 

Recht auf «Bedauern» gibt es nicht 

Bei der Abschiedsformulierung kann es schon einmal heikel werden, denn das Bedauern über das Ausscheiden des Mitarbeiters muss zum Beispiel nicht erwähnt werden. Das Unternehmen kann auch nicht dazu gezwungen werden, «für die Zukunft alles Gute» zu wünschen. Nicole Vögeli meint aber zu Letzterem: «Die allgemeinen Umgangsformen gebieten das. Zudem wäre es etwa auch nicht stimmig, wenn die Floskel unter einem insgesamt guten Zeugnis fehlt.» 

Ist das Zeugnis geschrieben, muss es vom Chef abgesegnet werden. Der Arbeitnehmer hat zwar keinen Anspruch darauf, es vor der Ausstellung zu sehen, kann aber nachträglich Änderungswünsche anbringen. Hier eine Lösung zu suchen, mit der alle Beteiligten einverstanden sind, sei grundsätzlich geboten. «Man sollte sich aber auf keine Endlos-Korrespondenz einlassen», sagt Nicole Vögeli.

Schön bei der Wahrheit bleiben

Um allzu schwere Differenzen zu vermeiden, rät die Anwältin dazu, die eigenen Bewertungen zu überprüfen. «Im Kündigungsfall kann es passieren, dass der Vorgesetzte unter dem Eindruck des aktuellen Ärgers schlechter bewertet. Das Zeugnis soll aber den gesamten Arbeitszeitraum behandeln.» Grundsätzlich sei es zwar zulässig, zu schreiben: «Es gelang ihm nicht vollständig, sich ins Team zu integrieren.» Man solle sich dann aber vorher fragen: «War es wirklich so schlimm?» Einmalige Verfehlungen sollten zudem nicht überbewertet werden – ausser, sie waren wirklich gravierend, etwa ein Griff in die Kasse oder die Veruntreuung von Firmengeldern. 

Es kommt jedoch immer noch öfter vor, dass Zeugnisse zu positiv formuliert werden – weil sich der Arbeitgeber Ärger mit dem ausscheidenden Mitarbeiter ersparen will. Dazu rät Nicole Vögeli, sich klar zu machen: «Das Arbeitszeugnis wird nicht für den Mitarbeiter erstellt, sondern für dessen potenziellen neuen Arbeitgeber – deshalb ist die Wahrheitspflicht so wesentlich.» Wer hier über die Massen beschönige, tue sich schliesslich auch selbst keinen Gefallen, denn: «Ein Arbeitszeugnis sagt nicht nur etwas über den Beurteilten aus, sondern auch über den Aussteller.» 

Das ist Pflicht

  • Titel («Arbeitszeugnis», «Zwischenzeugnis», «Arbeitsbestätigung»)
  • Angaben zum Beurteilten und seiner Tätigkeit: «Herr/Frau A, geboren am xx.yy.zzzz, Bürgerort, hat vom … bis … beim Unternehmen B als C (ggf. mit %-Pensum) gearbeitet.»
  • Aufzählung der Aufgaben während der Anstellung in Stichworten
  • Beurteilung der beruflichen Leistung
  • Bei leitender Position: Beurteilung der Führungsqualitäten
  • Beurteilung des Verhaltens am Arbeitsplatz gegenüber Vorgesetzten, Kollegen sowie ggf. Kunden und Lieferanten

Das  ist keine Pflicht (aber meistens sinnvoll)

  • Ein (!) Absatz zur Darstellung des Unternehmens (Zwischen Einleitung und Angaben zur Tätigkeit)
  • Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (wichtig: Fehlt dieser, wirkt das verdächtig)
  • Bedauern über das Ausscheiden des Mitarbeiters aussprechen
  • Gute Wünsche für die Zukunft zum Abschluss 

 

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