Interkulturelle Zusammenarbeit

Interkulturell kommunizieren schont Nerven

Wenn verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, sind Missverständnisse wahrscheinlich. Dagegen hilft nur ein Perspektivenwechsel. Denn wer es vermag, sich in den anderen hineinzuversetzen, fährt besser.

«If you assume, you make an ass out of you and me». Kennen Sie dieses Sprichwort? Es wird in sämtlichen Geschäftsetagen in den USA verwendet und häufig zitiert. In unserer komplizierteren Sprache lässt es sich in etwa so übertragen: Wer mit der eigenen Interpretation davon ausgeht, etwas zu verstehen, macht sich selber und den Kommunikationspartner zum Narren.

Wie wahr das ist – und wie häufig 
es trotzdem passiert. Etwas über andere anzunehmen scheint ein menschlicher Makel. Die Folgen davon können sehr unangenehm sein. Denn wir fordern mit einer Annahme Missverständnisse und persönliche Verletzungen geradezu heraus. Im interkulturellen Kontext passiert das ganz besonders leicht.

Emotional hochsensibel interpretieren Menschen ganz besonders dann, wenn sie meinen, das Gegenüber zu verstehen, weil beide mehr oder weniger die gleiche Sprache sprechen, wie beispielsweise zwischen Schweizern und Deutschen. Wenn sich aber die kulturbedingte Rhetorik unterscheidet, entsteht leicht eine Fehlinterpretation. Dadurch werden nicht böse gemeinte Bemerkungen oder Aussagen oftmals als Frechheit, Gefühllosigkeit, oder Boshaftigkeit interpretiert.

Zur Veranschaulichung ein Beispiel einer Schweizer Assistentin mit einem deutschen Geschäftspartner: Herr Schmidt aus Hamburg hält sich in ihrem Vorzimmer auf und telefoniert dabei so laut, dass sie ihre Tür schliessen möchte, um selber bei ihren Telefonaten ungestört zu sein. Sie versucht, dem Hamburger Gast ein diskretes Zeichen zu geben, aber er bemerkt es nicht. Sie macht daraufhin leise die Tür zu. Zehn Minuten später kommt Herr Schmidt zur Tür herein und sagt: «Frau Manser, das war aber nicht nötig, es war ruhig genug für mich.»

Was hier ein wenig wie ein Sketch aus einer klassischen Kabarett-Einlage tönt, passiert so oder so ähnlich immer wieder im realen Leben; und da finden wir es wohl weniger witzig, weil es uns auf die Nerven geht und wir trotzdem Haltung bewahren müssen. Vielleicht fühlen wir uns sogar persönlich verletzt, weil jemand davon ausgeht, dass die Sonne nur seinetwegen aufgeht und unser Anliegen gar nicht sieht. Wie gehen wir damit um, ohne Ärger, Beleidigung oder Frust zu spüren?

Hilfe durch Perspektivenwechsel

Eins sei vorausgeschickt: Herr Schmidt hat eindeutig einen Perspektivenwechsel versäumt. Ein Perspektivenwechsel verhindert die einseitige Sichtweise auf Dinge und will gelernt sein. Versuchen wir aber, die Perspektive von Herrn Schmidt einzunehmen – und wir müssen hier ganz bewusst mit Eventualitäten von Szenarien arbeiten: Schmidt hat einen neuen verantwortungsvollen Posten, dem er eventuell noch nicht gewachsen ist. Vielleicht durchlebt er gerade eine stressvolle Zeit, privat und/oder beruflich. Oder er ist wegen seines Termins mit dem Boss angespannt und bezieht deshalb auch mehr als sonst auf sich.

Diese möglichen Szenarien (Achtung: Das sind keine Annahmen!) treffen auf jeden Manager phasenweise zu. Sie rufen oft eine egozentrische Reaktion in allen möglichen Situationen hervor, die sie selber nicht bemerken – Assistentinnen dafür umso mehr. Sich in die Lage des Gegenübers versetzen zu können, hilft Aussagen nicht persönlich zu nehmen und sie zu relativieren, neutraler wahrzunehmen. Sie schaffen sich mit dem Perspektivenwechsel Klarheit und Verständnis, was die Situation für manche Menschen zugleich ent-emotionalisiert. Das ist das Ziel in so einer Lage.

Andersherum hilft ein Perspektivenwechsel, die eigene Kommunikation empathisch zu steuern. Das wäre in diesem Fall der Job von Herrn Schmidt gewesen. Perspektivenwechsel machen in jeder Situation und besonders in der Kommunikation mit anderen Kulturen Sinn. Sie sind Grundlage allen interkulturellen Handelns und helfen zur eigenen Reflexion.

Planlos in Russland

Ein fiktives Beispiel: Ein russischer Kunde Ihres Chefs versprach, ein wichtiges Dokument für einen anstehenden Kooperationsvertrag zu besorgen. Die beiden setzten ein Eckdatum fest, das den weiteren Verlauf der Verhandlungen regeln soll. Doch Herr Pawlow meldet sich nicht, auch nicht nach wiederholten freundlichen Aufforderungen durch Ihre Mails. Sie greifen zum Telefon, um zu erfahren, was das Problem ist. Herr Pawlow scheint am anderen Ende in Moskau freundlich und entspannt und schickt das Dokument, als hätte er es zuvor einfach vergessen. Scheinbar gibt es kein Problem. Nun haben Sie aber eins, denn das Dokument enthält nicht die von Ihrem Chef erwarteten Details. Ihr Chef macht weiter Druck auf Sie, aber Ihr Druck nach Moskau dringt nicht zum Empfänger durch, im Gegenteil; es wird nach Ihrem Eindruck gebockt und geblockt, Stillstand. Was tun?

Die «russische Seele» erreichen wir aus entfernter, westlicher Windrichtung nicht mit Druck oder Appellen an abgemachte Zeitpunkte. Ihr Gegenüber im östlichen Europa reagiert auf empathische, gefühlvolle Kommunikation. Ein wenig das Leid klagen und sich dem anderen mitteilen wirkt manchmal Wunder. Die russische Seele braucht Emotion für eine positive Reaktion, Aktion und Einsatz – das gilt besonders für Vertrauensaufbau auf ähnlichem Hierarchie-Level und «bottom-up» auf Distanz.

Hierarchische Kaskaden in Indien

Wenn ein Vertrag sieben Mal hin und her gesendet wird, und Ihr Chef jedes Mal erneut fast einen Anfall bekommt, Sie bereits mehrmals Ihren Kopf auf den Tisch fallen liessen – dann haben Sie bisher wenig Erfahrung mit indischen Partnern. Der Hintergrund dazu: In der indischen Kultur ist die Hierarchie in Kaskaden unterteilt. Das heisst, nicht nur ein Chef hat sein Wort beim Vertragsabschluss, sondern mehrere andere unter ihm genauso. Das wiederum bedeutet, dass von indischer Seite eventuell davon ausgegangen wird (Perspektivenwechsel), dass wir gleiche Hierarchieprozesse haben, ergo, das Vertragsdokument wird wie selbstverständlich für alle Beteiligten in den ersten Durchläufen selten als der definitive Vertrag gesehen, sondern eher als Entwurf, über den man sich im Laufe der Zeit annähert.

Komplimente auf Arabisch

«You are quite intelligent for a woman.» 
Wie würden Sie auf diese Äusserung reagieren? Die Autorin bekam dieses Kompliment von einem arabischen Kollegen, der seit Jahren in London lebt. Er sagte es ihr nach einem kurzen Austausch zwischen Tür und Angel. Sie war unter Schock, schwankend in Taumel der möglichen Interpretation zwischen «das kann er nicht negativ gemeint haben», «war das ironisch?», «das war frech», «arroganter Typ», «Hinterwäldler», «das habe ich falsch gehört, habe ich richtig gehört?» und «das kann jetzt eben nicht passiert sein» bis «das war ein Kompliment auf Arabisch».

Was tun in so einer Schrecksekunde der Verwirrung, in der zwei Kulturen in Gestalt von zwei Kollegen oder Geschäftspartnern aufeinander prallen, die sich zuvor gut verstanden haben? Im Zweifelsfall Zeitdruck vortäuschen und im Zustand der Schockstarre einen eleganten Rückzug machen mit einem lapidaren «danke, ich muss weitermachen» und am besten direkt aufs WC zum Reflektieren flüchten. Das wäre die britische Variante der Diplomatie, die immer wirkt in ihrer Unanfechtbarkeit, letztlich um Haltung zu bewahren.

Wer ohne Schockstarre und ohne «assuming» vom Sender direkt wissen will, was sich hinter diesen Worten verbirgt, kann im Falle eines wichtigen Geschäftspartners nichts wirklich tun, um sich zu vergewissern. Im Zweifelsfall war es als echtes Kompliment gemeint, welches in unseren emanzipierten Kulturkreisen nicht mehr positiv zuordenbar ist und deshalb massgeblich zur Verwirrung beiträgt. Zur Beruhigung der emotionalen Schieflage hilft es, sich auf die Sachebene zu begeben und sich folgende Fakten zu vergegenwärtigen:

  • Der Gast kennt meine Kultur nicht so gut, daher weiss er nicht, was Menschen hier erwarten und wie sie miteinander kommunizieren (heisst: eigene Erwartung managen, reduzieren!)
  • Ich weiss, dass Frauen in der Welt des Gastes einen anderen Stellenwert haben; der Gast hat den Unterschied bei seinen kurzen Besuchen nicht präsent (heisst: relativieren!)
  • Der Gast ist nur ein Geschäftspartner oder Kunde, er muss nicht in mein Leben eindringen, ergo, es ist egal, wie es gemeint war. (heisst: neutralisieren!)

Wenn Sie es schaffen, die eigenen Erwartungen zu reduzieren, Gesagtes in den relativen Zusammenhang zu bringen und Äusserungen zu neutralisieren, sind Sie Herr (oder Frau) Ihrer Lage.

Wer geht wie viel auf wen zu?

Im Idealfall beide aufeinander. Doch in Ihrer Position als Moneypenny können Sie es sich nicht leisten, davon auszugehen, dass externe Partner interkulturell geschult sind. Zudem sind Sie in Ihrer Rolle Gastgeberin, heisst, in den meisten Kulturen beinhaltet diese Rolle eine Anpassung an das Wohl des Gastes. Das gilt nicht nur für die vorsichtige Recherche der Essgewohnheiten, wie Meidung von zartem Rindsfilet für indische Gäste, Schweinerücken für arabische oder israelische Kunden, oder Zürcher Geschnetzeltes für eventuell vegane Asiaten.

Anpassung bedeutet auch, zu wissen, wie weit man sich anpasst. Das gilt ebenso für Begrüssungs- und Betreuungsrituale. Man halte sich das Pressefoto von Präsident Obama mit seinem chinesischen Amtskollegen auf der Titelseite der Financial Times von 2009 vor Augen. Während sich Obama im japanischen Stil tief gebeugt mit Handschlag verneigt, steht Präsident Hu Jintao gerade stehend, fast cool, mit ausgestreckter Hand zur Begrüssung in Peking vor ihm. Überanpassung kann einen Hauch von Persiflage bekommen.

So hat es auch die Autorin vor vielen Jahren geschafft, die gesamte Restaurant-Menükarte Seite für Seite vor einer Gruppe indischer Wissenschaftler zu übersetzen. Man bedankte sich dann fliessend in deutscher Sprache, zum Entsetzen der übereifrigen Betreuerin. Auch wenn sie keinen Fehler in der Übersetzung machte, so fiel sie in eine sehr peinliche «ass u me»-Falle, denn eine kurze vorgängige Frage hätte genügt: «Verstehen Sie die Menükarte?»

10 aufeinander aufbauende Gebote

  1. Ohne feste Annahmen ins Gespräch gehen / flexibel bleiben
  2. Nachfragen, um zum 100-prozentigen Verständnis sicherzugehen
  3. Wenig interpretieren / erst mal möglichst neutral wahrnehmen
  4. Perspektivenwechsel lernen
  5. Eigene Erwartungen reduzieren
  6. Situationen sachlich und relativ betrachten / relativieren
  7. Negative Gefühle dadurch neutralisieren
  8. Aktivitätstempo runterfahren
  9. Moderat aufeinander zugehen / sich anpassen
  10. Nicht werten: «Es ist, wie es ist.»
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Connie Voigt ist Coach für Führungskommunikation, Dozentin für Interkulturelle Kommunikation und Autorin («Interkulturell führen» und «Psychovampire»). www.interculturacenter.com

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