Image Interview mit Silvia Auckenthaler und Angelika Ramer

«Jeder ist anders. Das zu erkennen, ist mein Job»

Voneinander lernen, gemeinsam Kompetenzen erweitern und Möglichkeiten ­erkunden: Das ist die Idee dieser neuen Kolumne von Angelika Ramer. Sie spricht mit ­Assistentinnen und Assistenten über die schriftliche und mündliche Kommunikation. Das erste Expertinnengespräch führt sie mit Silvia Auckenthaler, Executive Assistant bei Xylem Europe in Schaffhausen.

Angelika: Silvia, du bist eine erfahrene Assistentin. Wie kommunizierst du im Vergleich zu einer jungen Kollegin, die neu im Job ist?

Silvia: Kommt darauf an, wo die Kollegin schon gearbeitet hat. Schriftlich neige ich zu Romanen, was in meiner Funktion nicht gut ist. Ich umschreibe gerne, was wohl typisch ist für die Schweiz. In E-Mails nutze ich Anrede und Gruss. Inzwischen habe ich jedoch gelernt, mich auf Wesentliches zu konzentrieren. Eine jüngere Kollegin macht das oft automatisch, was bestimmt auch mit Social-Media-Kommunikation zu tun hat.

Angelika: Was sind die wichtigsten Kommunikationsziele in deiner Arbeit?

Silvia: Meine Kommunikation soll das Leben der Manager erleichtern. Ich denke stark aus deren Sicht. Führungskräfte sind gefordert, sie möchten keine Details lesen oder hören. Ich muss mich täglich eindenken können und flexibel kommunizieren.

Angelika: Ein Beispiel?

Silvia: Es ist ganz einfach. Manchmal erinnere ich an einen Geburtstag, mache einen Vorschlag für ein Präsent oder gebe einen Hinweis zum Dresscode. Zur Flexibilität gehört auch, dass ich mein Umfeld gut kenne und weiss, was die Manager brauchen. Mikro-Management, immer oder nie im cc sein, Detailinfos, oder kurz und bündig. Jeder ist anders. Das zu erkennen, ist mein Job.

Angelika: Gibt es den typischen Korrespondenzstil von Leuten in Assistenzfunktion?

Silvia: Nein, das glaube ich nicht und erlebe es auch nicht so. Ich werde oft auf verschiedenen Kanälen gleichzeitig informiert und muss entscheiden, welcher Kanal für ein Thema geeignet ist. Flüge und Reisen plane ich mit E-Mail, da braucht es eine klare und verlässliche Struktur.

Angelika: Du arbeitest in einem internationalen, interkulturellen Unternehmen. Wie wird da kommuniziert?

Silvia: Grundsätzlich sprechen und schreiben wir Englisch. Manchmal werde ich nur mit Silvia angesprochen. Leute aus Indien verwenden oft eine Anrede und fragen auch mal, wie es geht. Unterschiedliche Länder, unterschiedlicher Stil. Die Herkunft ist prägend und prägend sind auch die Ausbildungen, die immer mehr in verschiedenen Ländern stattfinden.

Angelika: Das heisst, Flexibilität ist die Regel in der Kommunikation?

Silvia: Ja. In meiner Funktion muss ich eine Situation, ein Thema erkennen und rasch entscheiden, wie ich vorgehe. Zur Flexibilität gehört auch die Arbeitszeit. Manchmal muss ich auch in meiner Freizeit präsent sein für das Unternehmen. Ich komme aus der Gastronomie und habe kein Problem damit.

Angelika: Was sagst du zu Gender und Interkulturalität?

Angelika: Kommen wir zurück zur jungen Assistentin, die neu in ihrer Funktion ist. Was rätst du ihr?

Silvia: Überlegt euch folgendes:

  1. Die Menschen im Unternehmen kennenlernen und klären, was jedem einzelnen wichtig ist. Wer mag persönliche Anreden? Wer möchte im cc sein? Oder welcher Stil ist gefragt?
  2. Mit konkreten Lösungen arbeiten und weniger Fragen stellen.
  3. Es geht immer um die Zeit: Das Wichtige zuerst, mündlich und schriftlich. Wenn ich weiss, wie meine Ansprechpersonen funktionieren, kann ich entscheiden, für wen Smalltalk wichtig ist und wen das nervt.
  4. Typische Social-Media-Elemente wie Sticker oder Smileys sehr dosiert einsetzen.
  5. Ich schreibe meist Englisch und da gelten Höflichkeiten noch mehr wie «please», «kindly», «could you…». Entschuldigungen sind auch gerne gesehen, zum Beispiel bei Absagen, Verschiebungen. Ich danke auch für das «Understanding».
  6. Befehlston geht gar nicht «Do this …», auch auf Deutsch nicht. Klare Ansagen schon: «We need soon …».
  7. Stark faktenorientiert kommunizieren.

Silvia: Drehen wir es mal um: Was fragen dich Assistentinnen?

Angelika: Agilität ist das Signalwort unserer Zeit. Und doch sind Regeln, Vorgaben vielen wichtig, weil sie eine Orientierung geben. Die häufigsten Fragen haben mit einer Unsicherheit zu tun: Welche Anreden sind die richtigen? Gibt es Unwörter? Was schreibt oder sagt man zu Beginn oder am Schluss? Dürfen wir den Konjunktiv mit «würden, wäre, könnten etc.» weglassen? Ich sehe es wie du: Immer gilt Mensch vor Inhalt. Wenn klar ist, wie jemand tickt, kann ich die Sprache adaptieren. Ohne dieses Bild ist passende Kommunikation schwierig. Unbrauchbar sind Vorgaben, die mit «immer» oder «nie» zu tun haben. Zum Beispiel das Wort «leider». Es ist passend für eine menschliche Aussage «Es tut mir leid…» und unpassend auf der Sach­ebene «Leider sehen es unsere AGB nicht vor…». Heisst es in den Vorgaben «nie leider benutzen», sind wir nicht mehr agil.

Angelika: Was sagst du zu Gender und Interkulturalität?

Silvia: Wir erhalten Schulungen. «Merry Christmas» dürfen wir nicht mehr wünschen, da ist unser Unternehmen sehr vorsichtig. Persönlich verhalten sich viele eher distanziert, um niemandem zu nahe zu treten.

Silvia: Wer besucht deine Coachings?

Angelika: Viele Kolleginnen und Kollegen von dir. Auch Leute, die ohne Assistenzen arbeiten. Ihnen allen geht es um Sicherheit, um ein gutes Gefühl für die mündliche und schriftliche Kommunikation.

Silvia: Mehr Männer in unserem Job wären gut. Das Bild der Sekretärin ist passé. Wir sind Organisationsmanager – eine spannende, vielseitige Aufgabe.

Angelika: Worauf soll ich in meinen Coachings achten?

Silvia: Flexibilität ist extrem wichtig und zugleich braucht es Leitbilder, was kein Widerspruch sein muss. Ein Leitbild ist sinnvoll, wenn es genau zum Unternehmen passt. Ein amerikanischer Konzern funktioniert nicht gleich wie ein Schweizer Unternehmen. Es gibt auch veraltete Regeln. Ein Beispiel aus der Gastrowelt, in der ich mich sehr gut auskenne: Früher hiess es immer, Rotwein mit Zimmertemperatur servieren. Die Zimmertemperatur ist heute oft höher als früher. Diese Regel gilt somit nicht mehr für den Wein.

Angelika: Wie schaut das Inhaltsverzeichnis eines Leitbildes aus?

Silvia: Die Kultur des Unternehmens beschreiben. Klare Hinweise und Beispiele zu dieser Kultur. Unterschiede zwischen interner und externer Kommunikation. Interkulturelle Textbausteine für persönliche Schreiben wie Kondolenz oder Jubiläen.

Silvia Auckenthaler

Silvia Auckenthaler ist Assistentin und Gastronomin mit Herzblut. Sie führt zusammen mit ihrem Mann das Restaurant Per Me in Schaffhausen. restaurant-perme.ch / xylem.com

Angelika Ramer

Angelika Ramer ist Beraterin, Autorin und Coach. Ihre Passion gehört der einfachen Sprache mit Wert und Stil. Sie führt das Unternehmen Osorno Kommunikation in Winterthur und bietet verschiedene Lehrgänge an. klarmitcharme.ch / minimal-lifestyle-practitioner.ch / ramer-osorno.ch

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