Hohe Arbeitslast in den obersten Chefetagen

Job ohne Grenzen

Von Assistentinnen in den obersten Chefetagen wird ein sehr hohes Arbeitspensum und fast ständige Verfügbarkeit erwartet. Dass die Arbeitsbelastung an einer solchen Stelle hoch ist, ist klar – aber was, wenn es zu viel wird?

 

Assistentinnen agieren meist im Hintergrund und treten eher selten ins Rampenlicht. Im Juni aber sorgte für einmal nicht ein Firmenboss mit einem grossen Coup für Schlagzeilen, sondern eine Assistentin mit einer Klage. «Webers Ex-Sekretärin zerrt die UBS vor Gericht», titelte der Tages-Anzeiger. Auch das Portal «Inside Paradeplatz» berichtete. Im Tagi-Artikel wird ein Prozess im Arbeitsgericht Zürich geschildert, bei dem die Anwälte der UBS gegen die Anwälte der Klägerin um brisante Punkte stritten. Unter anderem wirft die Assistentin der Bank eine zu hohe Arbeitslast und zermürbenden Druck vor. ­Zudem sei ihre sexuelle Integrität verletzt worden, weil sie Mails von einem UBS-Manager bekam, in denen sich dieser mit seiner ­Geliebten austauschte.

Beendet wurde der Fall mit einem Vergleich hinter geschlossenen Türen. Laut ­Tages Anzeiger und «Inside Paradeplatz» ist davon auszugehen, dass es zu einer Einigung gekommen ist.

Arbeit zu jeder Tages- und Nachtzeit

Auch wenn der obige Fall besonders verworren ist: Dass die Arbeitslast, mit der Assis­tentinnen in den obersten Chefetagen konfrontiert sind, fast keine Grenzen kennt, ist bekannt. «Vor allem aus dem Bankensektor hört man das immer wieder», sagt eine Assis­tentin, die selbst seit vielen Jahren auf ­Kader-Level tätig und sehr gut mit Assistentinnen vernetzt ist. «Manche Führungskräfte denken, sie können sich alles erlauben, weil ihren Mitarbeitenden genügend Geld und Bonus bezahlt wird.» Machtgebaren, Sexismus und Mobbing sind da keine Seltenheit.

Sich abzugrenzen ist in den höchsten ­Assistenz-Positionen besonders anspruchsvoll. Direkt dem Chef unterstellt, gibt es keine geregelten Arbeitszeiten, kurzfristig angesetzte Überstunden gehören zum Job und in einem internationalen Umfeld landen 24 Stunden lang Mails im Postfach. Solche Einsätze seien unausweichlich, müssten aber zeitnah kompensiert werden können. «Es gibt Assistentinnen, die am Sonntag das Online-Check-in für den Flug ihres Chefs machen, während seiner Ferien auf sein Haus aufpassen, die Putzfrau überwachen, Essen einkaufen und Partys organisieren. Diese ­Assistentinnen sagen, sie machen das gerne, es gehöre zu ihrem Job. Aber oft kippt das Gefühl nach einiger Zeit. Sie fühlen sich immer mehr verpflichtet und unter Druck.» Selbst in den Ferien wird gearbeitet – weil der Chef sich nicht auf eine Stellvertretung einlassen will.

Intern Hilfe zu bekommen, ist schwierig. Wer stellt sich schon gegen den Chef? «Zudem ist das HR in grossen Unternehmen mehr strategischer Adviser und kümmert sich nicht um Assistentinnen-Fragen. Die zuständige Sparte der Personalabteilung ist outgesourct und oft nur über eine Hotline erreichbar», sagt die Assistentin.

Den Prozess vor dem Zürcher Arbeitsgericht findet sie wegweisend und ermutigend. «Er zeigt, dass in der heutigen Zeit nicht mehr jedes Verhalten toleriert wird. Niemand kann einfach machen, was er will, mit wem er will, wann er will und meinen, es sei okay, wenn nur der Lohn hoch genug ist.»

Anwalt oder Psychologe?

Dass ein solcher Fall vor Gericht landet, sei eher ungewöhnlich, sagt Nicolas Facincani, Anwalt mit CAS in Banken-, Kapitalmarkt- und Versicherungsrecht sowie Experte für Arbeitsrecht. Ungewöhnlich vor allem auch in Anbetracht der verstrichenen Zeit – das Arbeitsverhältnis zwischen der Assistentin und der UBS wurde 2014 aufgelöst. Schadenersatz kann bis zu zehn Jahre nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses verlangt werden.

Bei Facincani melden sich regelmässig Arbeitnehmende, die gegen ihre Arbeitgeber vorgehen wollen. Seine Erfahrung zeigt: Meist werden Klagen innerhalb eines Jahres eingereicht. Später ist der Groll oft nicht mehr stark genug, der Aufwand zu gross. Nicht ganz zu Unrecht: «Rein finanziell ist eine Klage ein Risiko. Verliert die Klägerin oder der Kläger den Prozess, muss sie oder er neben den eigenen Anwaltskosten für Gerichtskosten etc. aufkommen, die sich rasch auf 10 000 Franken belaufen.» Deshalb empfiehlt Facincani allen Arbeitnehmenden eine Rechtsschutzversicherung. «Damit haben wir eine ganz andere Ausgangslage.»

Dabei spielt Geld oft nicht einmal die Hauptrolle. «Vielfach muss man sich fragen, ob ein Anwalt der richtige Ansprechpartner ist und nicht Hilfe von einem Psychologen oder Coach nützlicher wäre. Menschen, die ihre Arbeit verlieren, gemobbt wurden oder grosse Konflikte am Arbeitsplatz erlebten, sind sehr niedergeschlagen. Meist fehlt ihnen die Kraft, um sich auf einen Prozess einzulassen.» Auch steht der «David gegen Goliath»-Vergleich im Raum. Doch das lässt Facincani nicht gelten: «Das Schöne am Arbeitsrecht ist, dass man gegen jeden gewinnen kann. Wenn etwas an den Vorwürfen dran ist, bestehen Chancen.» Rein faktisch aber hätten Arbeitnehmende oft viel weniger Beweismittel als die Arbeitgeber. Zudem begleiten interne Rechtsabteilungen solche Dossiers meist schon länger und betreuen den Arbeitgeber in seinem Interesse. «Unrechtsmässige Kündigungen zum Beispiel sind sehr schwierig zu beweisen», sagt Facincani.

Auch Mobbing gehört in diese Kategorie. In der aktuellen Umfrage von Miss Moneypenny gaben 43 Prozent der Befragten an, dass sie an ihrem Arbeitsplatz schon gemobbt wurden. Ein effizientes Mittel, um sich Gehör zu verschaffen, ist ein Mobbing­tagebuch. «Darin werden alle Vorkommnisse mit Datum aufgeführt. Mobbing ist die systematische Häufung von kleinen Verletzungen. Ohne Tagebuch kann diese ein Jahr später niemand mehr nachvollziehen», sagt Facincani. Noch besser aber: lieber früher als später das Gespräch mit dem Vorgesetzten suchen und «in angemessenem Ton mitteilen, dass die Situation im Moment unhaltbar ist».

Facincani weiss, häufig kündigt bei Konflikten am Schluss das Opfer. «Das ist eigentlich falsch und dürfte nicht so sein. Ich würde eher versuchen, eine interne Versetzung anzupeilen. Coachings, ­vielleicht eine Mediation, können helfen.» Manchmal werde dort deutlich, dass es sich nicht um Mobbing handelt, sondern um einen ungelösten Konflikt zwischen zwei Personen, der mit einer Aussprache durchaus aus der Welt geschaffen werden kann.

Neue Formen der Arbeit

Auch Anne-Wienke Palm vom Schweizerischen Bankpersonalverband findet, dass vieles präventiv geregelt und gelöst werden kann. «Unser Ziel ist es, frühzeitig gute, pragmatische Lösungen zu finden, damit Betroffene eben nicht vor Gericht gehen müssen.» In vielen Fällen helfe bereits ein Gespräch mit einer erfahrenen Person, bei der man Sorgen abladen könne. «Wir hören vielfach, dass die Arbeitslast ansteigt», sagt Palm. Eine weitere aktuelle Herausforderung sei der Umgang mit den neuen Formen der Arbeit. «Die Banken müssen ihren Mitarbeitenden Tools für die Selbstfürsorge an die Hand geben.»

«Mobbing kann jeden treffen»

Claudia Stam, Psychologin mit Vertiefung in Betriebswirtschaft und Soziologie, leitet die Fachstelle Mobbing und Belästigung in Zürich und Bern.

 

 

Frau Stam, Sie haben auch schon Assistentinnen beraten. Was zeichnet deren Situation besonders aus?

Assistentinnen sind meist mit der schwierigen Situation konfrontiert, dass Mobbing, Beleidigungen oder Belästigung nicht aus dem Team, sondern vom Chef selbst kommen. Dadurch haben sie weniger Möglichkeiten, sich an einen Vorgesetzten zu wenden und Hilfe zu bekommen. Man nennt das auch «Bossing».

Wie gehen Sie vor, wenn sich eine Assistentin bei Ihnen meldet?

Zuerst erfassen wir die Situation. Wie geht es der betroffenen Person? Wo liegen die Probleme? Was hat die betroffene Person schon alles probiert? Welche Möglichkeiten gibt es noch? Wir bieten Coaching-Pakete an, bei denen wir Hilfesuchende drei ­Monate lang begleiten, individuell und teilweise auch in einem Gruppencoaching. Es tut den meisten gut, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Wenn der Gesundheitszustand bereits sehr schlecht oder die Situation völlig unhaltbar ist, bietet unser Programm «Job Exit» Orientierung und konzentriert sich auf einen einvernehmlichen, grosszügigen Ausstieg und einen Neustart.

Was brauchen die Betroffenen?

Meist geht es vor allem darum, den Selbstwert wieder zu stärken. Mobbing und andere Konflikte am Arbeitsplatz zerren enorm an den Kräften. Wir hören oft von Menschen, dass sie schon vieles durchgemacht haben, Scheidungen, Schicksalsschläge – dass sie aber nichts so fertig gemacht hat. Mobbing kann jeden treffen, auch sehr starke Persönlichkeiten.

Was ist das Ziel einer Beratung?

Dass es den Betroffenen wieder besser geht, sie neue Chancen und Möglichkeiten sehen. Manchmal finden sich im gleichen Unternehmen neue Wege, manchmal hilft wirklich nur noch, die Stelle zu kündigen. Ein solcher Wechsel setzt aber oft auch neue Ener­gien frei. Man kann längerfristig in einem neuen Job wieder Fuss fassen – auch wenn Betroffene sich das im Moment nicht vorstellen können.

Hier gibt es Unterstützung

  • Schweizerischer Bankpersonalverband (SBPV): Der SBPV ist die Gewerkschaft für alle, die bei einer Bank angestellt sind. Der Verband setzt sich auf Branchenniveau für gute Arbeits­bedingungen, Gesamtarbeitsverträge und Sozialpläne ein, ­unterstützt das Personal von Banken aber auch auf individueller Basis. Er steht für Rechtsfragen zur Verfügung und bietet individuelle Beratungen und Gespräche für alle Belange und Probleme an, die im Arbeitsalltag auftauchen können. sbpv.ch
  • Kaufmännischer Verband: Der Kaufmännische Verband bietet seinen Mitgliedern Beratungen zu verschiedenen Themen an, unter anderem Rechtsberatungen und eine Spezialberatung Whistleblowing. kfmv.ch
  • Fachstelle Mobbing und Belästigung: Die Fachstelle richtet sich mit einem breiten Angebot an Arbeitgeber, Betroffene und Beschuldigte und ist Anlaufstelle bei ungerechtfertigten Beschuldigungen, Mobbing, sexueller Belästigung oder Diskriminierung. fachstelle-mobbing.ch

Auf mobbing-zentrale.ch sind die kantonalen Anlaufstellen aufgelistet.

  • Movis: Seit fast hundert Jahren können Firmen auf die Dienstleistungen von Movis zählen. Vorgesetzte, das HR und Mitarbeitende von Firmen, die mit Movis zusammenarbeiten, können sich vertraulich beraten und begleiten lassen. Es lohnt sich ­abzuklären, ob der eigene Arbeitgeber Movis als Partner hat. movis.ch

Andere externe Mitarbeiterberatungsstellen sind beispiels­weise Proitera und ICAS.

  • Beobachter: Im Beobachter-Verlag ist unter anderem der ­Ratgeber «Mobbing am Arbeitsplatz. Wie wehre ich mich?» ­erschienen. Für Mitglieder steht das Beratungszentrum bei ­Fragen rund um die Arbeit und die Arbeitswelt zur Verfügung. beobachter.ch
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