Portrait

Mein Ausgleich? Meine Arbeit

Ursula Odermatt hat sich für eine Familie entschieden. Aber nicht nur. Zu Hause wirbeln drei kleine Buben durch ihr Leben, fünf Tage die Woche arbeitet sie bei Vistra, wo sie als Executive Assistentin und HR-Verantwortliche viele Fäden in der Hand hat. Nebenbei bildet sie sich noch weiter. Ein Tag mit 24 vollen Stunden.

Ursula Odermatt wollte Jus studieren. Doch sie hat sich für eine Familie entschlossen – und das nie bereut. Denn sie hat sich zwar für Kinder, aber nicht gegen einen herausfordernden Job, der ihr Spass macht, entschieden. Heute ist sie Mutter von drei Buben im Alter zwischen vier und acht Jahren und hat eine 100-Prozent-Anstellung beim internationalen Treuhand-Unternehmen Vistra. Geht nicht? Geht doch. «Es braucht viel Organisation und Personen im Umfeld, auf die man sich absolut verlassen kann», sagt die junge Mutter. Sie steht hinter dem Empfangsdesk von Vistra in Zürich, streicht ihre blonden Haare glatt «die ungeföhnt in alle Richtungen abstehen» und strahlt in die Kamera. Stress ist ihr nicht anzusehen. «Ich bin auch erst dreissig», sagt sie und lacht herzlich.

Hinter Ursula Odermatt sitzen zwei Receptionistinnen, mit denen sie witzelt und noch kurz eine wichtige Sitzung vom nächsten Tag bespricht. «Die Hälfte unseres Stockwerks wird gerade umgebaut, darum ist es etwas eng im Moment», erklärt Odermatt, und blickt wieder in die Kamera. Der Umbau beschert ihr viel zusätzliche Arbeit. Als Executive Assistant vertritt sie ihren Chef unter anderem in den Besprechungen mit den Bauarbeitern. Sie schlägt vor, welche Wände raus müssen, welche bleiben, wo es Steckdosen braucht und wie die Leitungen verlegt werden. Am 1. Januar soll alles fertig sein und zu den bisher 28 Mitarbeitern kommen 17 neue hinzu – Vistra integriert eine externe Firma. «Schon zum zweiten Mal, seit ich hier bin», erzählt sie, «ich habe also schon etwas Übung».

Ein Job, viele Titel

Das erste Mal liegt 19 Monate zurück. Damals hat Ursula Odermatt ihre Stelle angetreten und wurde gleich in die Integration involviert. «Das war ein intensiver, aber interessanter Start. Es spielen viele emotionale Faktoren mit, wenn ein Unternehmen in eine Gruppe aufgenommen wird und die Mitarbeitenden in eine andere Firmenkultur eingebettet werden, andere Prozesse kennen lernen und neue Logos benutzen sollen.» Die Assistentin setzt sich gerne mit Menschen auseinander. Neben ihrer Aufgabe als Executive Assistant des Geschäftsführers ist sie auch HR-Verantwortliche bei Vistra. «Da wir ein international tätiges Unternehmen sind, gehört es auch zu meinen Aufgaben, Privatkunden zu beraten, die in die Schweiz umsiedeln. Ich erkläre unser Krankenkassensystem, organisiere Aufenthaltsbewilligungen oder informiere die Kunden über Einkaufsmöglichkeiten und Kinderkrippen in der Nähe.»

Ausser Dienst

Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Meinen aktuellen Job anzutreten mit dem Wissen, dass sich vieles ändern wird – beruflich wie privat.
Dieses Ritual ist mir wichtig: Der Gute-Nacht-Kuss für meine Söhne.
Das möchte ich gerne lernen: Fliegen. Manchmal wäre es doch schön, einfach rasch nach Hause fliegen zu können.
Das bringt mich zum Staunen: Das unbeschwerte Lachen meiner drei Liebsten.
Das wollte ich als Kind werden: Tierärztin und später Staatsanwältin.
Diese Person würde ich gern einmal kennenlernen: Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Mich interessiert, wie sie neben ihrem hohen beruflichen Engagement sogar sieben Kinder grossziehen konnte.
Das will ich noch erreichen: Ich möchte meine Söhne zu mutigen, selbständigen und selbstsicheren Männern erziehen und jedem das ermöglichen können, was er für sein Leben braucht. Persönlich arbeite ich weiterhin an einer erfolgreichen Karriere, die im Einklang steht mit meiner Familie.

Zusätzlich ist Ursula Odermatt Chefin eines siebenköpfigen Frauenteams. Dazu gehören die beiden Receptionistinnen, zwei Filing Assistants, bald eine KV-Lehrlingstochter, eine Praktikantin und eine andere Assistentin. «Alle, die im weitesten Sinne mit Office Management zu tun haben, und sonst keinem Team zugeteilt werden können», beschreibt sie und lacht. Typische Office-Aufgaben wie zum Beispiel Büromaterialbestellungen oder das Auffüllen der Getränkestation kann sie delegieren. «Und Kaffee bringe ich meinem Chef nur, um ihn zu bestechen», sagt die Assistentin augenzwinkernd. «Wenn ich etwas von ihm brauche und er eigentlich keine Zeit hat, schaff ich’s mit einer Tasse Kaffee fast immer in sein Büro.»

Sie sitzt inzwischen im Auto. Die Highheels hat sie gegen flache Schuhe ausgetauscht, auf der Rückbank sind drei Kindersitze angebracht. Die Strasse führt durch das Sihltal in Richtung Edlibach im Kanton Zug, wo Ursula Odermatt mit ihrer Familie wohnt. Dass sie fast jeden Tag nach Zürich fährt, war ursprünglich nicht geplant. «Ich dachte anfangs, ich werde öfter in der Vistra-Filiale in Zug arbeiten, aber das hat sich anders entwickelt.» Den längeren Arbeitsweg nimmt sie gerne in Kauf. Sie erzählt leidenschaftlich und viel von ihrer Arbeit, war anfangs erstaunt über das Vertrauen, welches ihr Chef ihr sofort entgegenbrachte. «Ich lerne unglaublich viel bei Vistra. Das ist mir sehr wichtig und motiviert mich. Weil wir viele Kunden aus anderen Branchen und Kulturen haben, lerne ich doppelt und dreifach.» Doch das stillt ihren Wissensdurst noch nicht. Die 30-Jährige hat soeben die Ausbildung zur Direktionsassistentin absolviert. Als Nächstes hat sie eine Weiterbildung im HR vor Augen. «Ich möchte damit noch mehr Boden gewinnen. Und in der Schweiz ist man ja ziemlich papierorientiert.»

Wie sie das zeitlich alles schafft, erstaunt sie manchmal selbst. «Mein Tag ist oft im Zehnminuten-Takt durchgeplant.» Zügig parkiert sie das Auto in eine Doppelgarage, in der auch Kindervelos, Skateboards, Skis und Schlitten stehen. Kaum öffnet sie die Haustüre, stürmen ihre drei Söhne auf sie zu. Luis, Laurin und Linus, vier, fünf und acht Jahre alt, voller Energie und mit lachenden, spitzbübischen Gesichtern. Die Freude ist gross, die Begrüssung wild und herzlich. Jeder der drei Buben hat viel zu erzählen. Ursula Odermatt hört aufmerksam zu, fragt nach, gibt zwischendurch Anweisungen, die Katze nicht zu jagen und die Finken wieder anzuziehen. Die blonden Haare sind schnell zerzaust, die Arbeit im Büro ein anderes Leben. «Wenn ich zu Hause bin, bin ich voll und ganz für die Kinder da. Handy und  iPad bleiben dann erst einmal in der Tasche.»

Viel Wert, nur nicht finanziell

Als ihr erster Sohn Linus geboren wurde, war Ursula Odermatt knapp 22 Jahre alt. Nach dem Mutterschaftsurlaub hat sie Teilzeit gearbeitet. «Aber das hat mich nicht erfüllt. Ich brauche den Job als Ausgleich und bin viel zufriedener, wenn ich auch arbeite.» Mit einem Teilzeitjob habe man zudem schnell nicht mehr viel Verantwortung. Und das wäre schlecht für ihre Zukunft. «Ich bin eine junge Mutter. Wenn ich 40–45 Jahre alt bin, sind meine Söhne erwachsen. Ich will nicht den Anschluss verpassen.»

Den Vorwurf, sie sei eine schlechte Mutter, oder, für sie noch verletzender, sie nehme anderen den Job weg, lässt Odermatt nicht gelten. «Ich freue mich immer auf die Kinder, und sie freuen sich auf mich. Für sie bin ich nicht die einzige Erziehungsperson. Ich bin somit nicht immer die Böse, die Nein sagen muss. Aber ich nehme ihre Bedürfnisse sehr ernst. Wenn im Kindergarten Räbenlichter geschnitzt werden, bin ich da. Und was die Jobs betrifft: Ich schaffe auch Stellen mit unserem Modell.» Zwei Teilzeit-Tagesmütter und eine Putzfrau arbeiten bei der Familie Odermatt. Zudem sind die Grosseltern miteingebunden. «Finanziell lohnt es sich eigentlich nicht. Die Schweiz ist da nicht sehr fortschrittlich, das ist ernüchternd.» Sie streichelt die Katze, die Kinder machen mit der Tagesmutter Omeletten. Für einen kurzen Moment ist es ruhig, bis Stefan Odermatt mit der Hündin Leila nach Hause kommt. Wieder eine freudige Begrüssung.

Stefan Odermatt hat selber einen anspruchsvollen Job und arbeitet 100 Prozent. Aber er unterstützt seine Frau, wo er kann. «Es braucht viel Verständnis füreinander, das setze ich in einer Partnerschaft aber voraus. Gleichzeitig überlasse ich ihm nicht den ganzen Druck, die Familie alleine zu ernähren», erklärt die Mutter. Ihr ist es wichtig, dass ihre Söhne mit einem modernen, offenen Weltbild aufwachsen. «Ich möchte auch andere Frauen ermutigen, ihre Jobs und Ambitionen nicht aufzugeben, wenn sie Kinder bekommen. Es ist möglich, beides unter einen Hut zu bringen.»

Wie anstrengend es sei, könne man zum Glück nicht vorausahnen. Abends, wenn die Kleinen im Bett sind, sitzt sie mit ihrem Mann am liebsten auf dem Sofa und schaut den Fischen im Aquarium zu. «Das ist interessant und lässt Feriengefühle aufkommen. Manchmal schauen wir einen Krimi oder eine Diskussionssendung im TV, oder wir lassen in Gesprächen den Tag Revue passieren.» Auch an den Sonntagen, wenn das Paar mit den Kindern nach draussen geht, in den Skatepark, in den Zoo oder einfach in den Wald bräteln, könne sie sich gut erholen. «Und ab und zu gönne ich 
mir einen exzessiven Shoppingtrip mit einer Freundin», sagt sie und lacht.

Zur Person

Ursula Odermatt ist in Zug als Tochter junger Eltern aufgewachsen. Mit 21 wurde sie selber Mutter. Nach dem KV ist sie in die Assistenz eingestiegen – wegen ihrem Interesse an Rechtsfragen auf einer Anwaltskanzlei. Sie hat einen CAS in Recht absolviert aber rasch festgestellt, dass ihr diese Art von Assistenz zu papierlastig ist. Als ambitionierte Frau war ihr das Tippen von Protokollen ab Tonband, das Ausdrucken, Binden und Ablegen von Papieren rasch zu langweilig. Sie wechselte ihre Stelle und wurde Assistentin für 17 Traders. Seit April 2013 ist sie für den globalen und unabhängigen Service Provider Vistra mit Hauptsitz in Genf und Hongkong tätig. Odermatt ist bei Vistra Executive Assistant, HR Manager und Chefin eines bald siebenköpfigen Teams.

 

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