Portrait

Mit Leichtigkeit der Schwerkraft trotzen

Janine Abplanalp tanzt am liebsten vertikal. Seit drei Jahren ist die Assistentin leidenschaftliche Pole Dancerin.
Der anspruchsvolle Sport beschert ihr zwar oft blaue Flecken, trainiert neben ihren Muskeln aber auch Durchhaltewillen und Biss. Eigenschaften, die ihr auch im Job bei Meyer Burger helfen.

Wie eine Kunstturnerin verreibt Janine Abplanalp weisses Pulver in ihren Händen und klatscht viermal, dass es stiebt. «Das ist Magnesium. Es wird auch von Kletterern verwendet», sagt sie, während sie die Arme dehnt. Sie steht aber weder vor einem Barren, noch schaut sie eine senkrechte Bergwand hoch. Ihr Ding ist eine einfache, schnörkellose Stange. Mehrere Meter hoch, an Boden und Decke des verspiegelten Studios befestigt, ist sie das liebste Fitnessgerät der 33-jährigen Assistentin. Sie blickt hoch, nimmt einen Satz und klettert rasch bis zur Mitte. Erinnerungen ans Stangenklettern in der Schulzeit werden wach. Doch was danach kommt, hätte jeder Turnlehrer sofort verboten. Zu riskant für Kinder. Und vielleicht auch zu ästhetisch. Janine Abplanalp schlingt sich um die Stange, hängt sich kopfüber in ballettähnliche Figuren, dreht sich um die eigene Achse. Sie trotzt der Schwerkraft. Sie spielt mit den Muskeln. Sie tanzt.

Keine Angst vor blauen Flecken

Seit drei Jahren macht Janine Abplanalp Pole Dance, einmal in der Woche trainiert sie im Studio Loft 1 in Bern, regelmässig übt sie zu Hause. «Ich habe eine Pole montiert – im Wohnzimmer, nicht im Schlafzimmer», erklärt sie mit vielsagendem Blick. Sie ist immer wieder erstaunt über das einseitige Image dieser Sportart. Pole Dance habe nichts Anrüchiges, es gehe nicht in erster Linie darum, Männer zu verführen oder vor Publikum aufzutreten. «Zumindest für mich nicht.»

Auch bei ihren Arbeitskolleginnen bei Meyer Burger in Thun hat sie Aufklärungsarbeit geleistet. «Ich muss oft schmunzeln, wenn ich bemerke, in welche Schublade Pole Dance geschoben wird, schliesslich gehen schon sehr viele Frauen ins Training. Aber es weckt immer grosses Interesse.» Immer wieder wird der Tanzstil mit etwas zweifelhaften Clubs in Verbindung gebracht. Aber Janine Abplanalp sucht weder Publikum, «dafür bin ich zu schüchtern», noch mag sie gekünstelte, kitschige Erotik: «Ich bin kein Fan von High Heels und eher der klassische Frauentyp als ein Vamp.» Für sie ist Pole Dance in erster Linie ein sehr intensives, herausforderndes und kreatives Training. «Bei dem ich oft leide, nicht weiss, wohin mit Armen und Beinen, und mich alles andere als schwerelos und elegant fühle. Zudem gibt es Schwielen an den Händen. Also wenn das sexy sein soll …»

Wer ihr im Training zusieht, lernt schnell, dass hinter der vermeintlichen Leichtigkeit sehr viel harte Arbeit steckt. In vielen Positionen entsteht durch die Stange unangenehmer Druck auf einzelne Körperstellen; gelingt eine Drehung nicht perfekt, ziept das Metall empfindlich an der nackten Haut. Das ist übrigens auch der Grund, warum Pole Dancerinnen oft nur spärlich angezogen sind: Stoff rutscht viel zu stark an der Stange. «Wer Angst vor Schmerzen und blauen Flecken hat, sollte nicht mit dem Sport anfangen», erklärt Janine Abplanalp. Sie hat beides nicht. «Aber ich bin ein totaler Schisshase, wenn es um Kopfüber-Positionen geht. Da brauche ich immer ewig und muss meinen ganzen Mut zusammennehmen.» Trotzdem hat sie nun schon einige in ihrem Repertoire. «Das fasziniert mich am Pole Dance: Vor allem am Anfang macht man ziemlich schnell Fortschritte. Ich brauche das. Mir wird nämlich schnell langweilig bei allem, was monoton wird.» Zum Beispiel findet sie es meist sehr anstrengend, einen ganzen Film zu schauen. Oder es sträuben sich ihr die Nackenhaare beim Gedanken, eine Woche lang nur am Strand zu liegen. «Ich suche Action und Abwechslung.»

Ausser Dienst

Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: jeden Montag im Training für jede Upside-down-Position im Pole Dance.
Dieses Ritual ist mir wichtig: mein täglicher Milchkaffee am Morgen.
Das bringt mich zum Staunen: Gewisse sportliche Leistungen von Menschen wie du und ich, die in ihrer Freizeit unglaublich viel Zeit investieren, um ausserordentliche Leistungen zu erbringen. Sei das im Gigathlon, beim Radfahren oder beim Tanzen.
Das macht mich nachdenklich: Menschen, die andere unfair behandeln.
Das wollte ich als Kind werden: Selbstverständlich Tierärztin. Wollen das nicht alle Mädchen? Ich liebe vor allem Katzen. In meiner Rekordzeit hatte ich vier. Im Moment habe ich leider gar kein Haustier. Das fehlt mir manchmal, aber es ist auch schön, 
so frei und unabhängig zu sein.
Diese Person würde ich gerne einmal kennenlernen: Pink. Ich finde, sie macht super Musik, sie ist sehr sportlich, hat Kinder und einfach unglaublich viel Power. 
Das beeindruckt mich.

Im Dienste eines Einzelnen

Wahrscheinlich hat dieser Charakterzug viel dazu beigetragen, dass Janine Abplanalp Assistentin wurde. «Ich habe nach einer Banklehre als Kundenberaterin gearbeitet. Irgendwie wurde mir das aber zu eintönig und in mir kam der Wunsch auf, statt für externe Kunden lieber intern etwas zu bewegen. Ich wollte etwas Neues machen und habe darum mit der Ausbildung zur Direktionsassistentin angefangen.» Gleichzeitig nahm sie ihre erste Assistenzstelle an: Im Wealth Management Team der UBS Interlaken. Die 33-Jährige ist im Berner Oberland aufgewachsen und lebte dort auch gerne, bis ihr zweiter Assistenzjob beim Schweizer Radio- und Fernsehen sie nach Zürich führte. «Der Umzug war für mich kein Problem. Ich fühle mich überall schnell wohl und habe Kollegen in der ganzen Schweiz.» Heute wohnt sie trotzdem wieder in der Heimat, in Frutigen bei Adelboden. Den Job beim SRF hatte sie nach drei Jahren gekündigt und ohne schon etwas Neues zu haben, zog sie zu ihrem Freund zurück ins Berner Oberland. «Das ständige Pendeln wurde etwas anstrengend. Und da er in einer Heavy-Metal-Band spielt und dafür viel probt und unterwegs ist, sehen wir uns jetzt ein bisschen öfter.» Viel sei es immer noch nicht, sagt sie. «Aber das ist auch gut so. Ich mag es ein bisschen unkonventionell.»

Unter Strom ganz ruhig

Sie hatte damit gerechnet, für einen neuen Job täglich nach Bern fahren zu müssen. Doch es kam anders. «Ich wurde auf die Stelle bei Meyer Burger in Thun aufmerksam.» Das an der Börse kotierte Technologieunternehmen führt an seinem Hauptsitz auch ein Hochtechnologiezentrum mit Fokus auf Forschung und Entwicklung von Wafer- und Modultechnologien für die Solarindustrie. «Die Solarindustrie und Zukunftsmärkte wie die Optoelektronik- und die Halbleiterindustrie waren nicht meine Themen und aufgrund der fehlenden Branchenkenntnis hatte ich anfangs Bedenken, ob die Stelle was für mich ist.» Doch schon beim ersten Vorstellungsgespräch seien ihre Zweifel verflogen. «Der weltoffene Charme und die Atmosphäre im Haus haben mir sofort gefallen.» Seit sieben Monaten unterstützt sie nun als Assistentin den General Manager des Technology & Production Centers. «Ich sorge dafür, dass der Informationsfluss gewährleistet ist, kümmere mich um seine Agenda, organisiere Reisen und unterstütze bei Bedarf das ganze Führungsteam.» Es sei eine herausfordernde Tätigkeit, weil ihr Chef ihr viel Vertrauen entgegenbringe, ihr Verantwortung übertrage und sie in Projekte involviere. «Ich bin sehr nahe am Tagesgeschäft, das gefällt mir», erklärt Abplanalp.

Klar, dass der Alltag dabei auch einmal hektisch werden kann. «Ich betrachte es dann als eine meiner Aufgaben, alles wieder auf die Reihe zu bekommen.» Ruhig zu bleiben, wenn um sie herum vieles drunter und drüber gehe, habe sie im Job als Assistentin gelernt. «Oder zumindest, nach aussen hin diesen Anschein zu wahren», sagt sie und lacht.

Den oft nötigen Durchhaltewillen und Biss hingegen habe sie vor allem im Sport gelernt. «Das braucht’s, wenn man ein Ziel erreichen will. Zum Beispiel eine neue Figur im Pole Dance.» Sport ist denn auch das grösste Hobby der Assistentin, und zwischenzeitlich war es sogar mehr als das: «Ich habe zehn Jahre lang Kurse in Aerobic, Bodyforming, Pilates und Spinning gegeben. Vor allem aus Freude, andere zu bewegen, weil ich es so wichtig finde, dass jeder genug Sport macht.» Dabei war sie als Kind selbst noch ein Bewegungsmuffel. Erst als Jugendliche entdeckte sie den Spass an der Bewegung im Ballett- und Jazztanzunterricht. Inzwischen werde sie richtig unausgeglichen und gereizt, wenn sie zu lange nicht ins Schwitzen komme. Sie geht oft ins Fitness, macht Yoga oder läuft eine Runde an der frischen Luft. Das Unterrichten hat Janine Abplanalp aber inzwischen aufgegeben: «Man gibt sehr viel persönliches Engagement rein und benötigt viel Zeit.»

Heute investiert sie diese Energie lieber in ihr eigenes sportliches Weiterkommen. Vor allem beim Pole Dance, wo sie als nächstes die Figuren «Handspring» und «Jade» anpeilt – zwei Kopfüber-Positionen, die viel Flexibilität und Kraft erfordern. «Aber auch das wird irgendwann gehen», sagt Janine Abplanalp.

Zur Person

Janine Abplanalp ist in Innertkirchen unterhalb des Grimselpasses aufgewachsen. Nach ein paar Jahren in Zürich wohnt die 33-Jährige heute zusammen mit ihrem Freund in Frutigen im Kandertal. Sie hat nach einer Banklehre zuerst als Kundenberaterin gearbeitet, bevor sie als Assistentin in ein Wealth Management Team der UBS wechselte und gleichzeitig die Ausbildung zur eidgenössischen Direktionsassistentin absolvierte. Anschliessend war sie drei Jahre als Assistentin beim Schweizer Radio- und Fernsehen tätig, bevor sie Anfang dieses Jahres zu Meyer Burger, einem weltweit tätigen Technologieunternehmen, wechselte. Meyer Burger beschäftigt an seinem Hauptsitz in Thun rund 500 Mitarbeitende. Janine Abplanalp arbeitet für den General Manager des Technology & Production Centers.

 

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