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Nichts ist aufregender als Kommunikation

Unzählige E-Mails oder überlange Besprechungen mit Talkaholics. Kommunikation, dieses scheinbar simple Handwerk, ist anregend, aufregend und oft nervig. Aber was ist es, das uns auf die Palme bringt? Ein Ausflug ins Land der Missverständnisse, Botschaften zwischen den Zeilen und Worthülsen.  

Der Fluch des «Können wir kurz ...» 

Beginnen wir mit einem Klassiker: «Kannst du mal kurz ...?»: Es sind fünf unscheinbare Worte, die sich im Berufsalltag mit der List eines Chamäleons tarnen. Kurz – das klingt nach wenigen Minuten, nach einem schnellen Häkchen auf der To-do-Liste. Doch alle wissen: Hinter dem «kurz» verbirgt sich gern ein Fass ohne Boden. Und während wir innerlich die Agenda nach freien Minuten abklopfen, werden wir schon mit einer Präsentation, vier PDFs und der Bitte um «zeitnahes Feedback» konfrontiert. 

Das Paradoxe: Niemand meint es böse. Und doch fühlen sich diese Anfragen an wie kleine Anschläge auf das eigene Zeitmanagement. Es wäre so einfach, stattdessen zu sagen: «Hast du heute noch Kapazität, mich bei etwas zu unterstützen?» Aber das klingt eben nicht so locker. Und so schleicht sich das «kurz» weiter ein – als kleiner Nervfaktor mit grosser Wirkung. 

Die Kunst der Worthülsen 

Ein weiteres Phänomen sind die Worthülsen, oft höflich gemeint und doch hohl. Man begegnet ihnen überall: in der Politik, bei Führungskräften, in Teams, beim Bäcker um die Ecke, in der Nachbarschaft. Das sind die Sätze, die sich nach Inhalt anhören und doch sehr luftig sind: «Da müssen wir eine Lösung finden.» Oder: «Ich nehme das mal mit.» Es klingt engagiert, verbindlich und tatkräftig. In Wahrheit ist es oft das kommunikative Äquivalent zum höflichen Weg­räumen von Problemen. 

Das Ärgerliche daran: Solche Aussagen lassen uns ratlos zurück. Haben wir nun einen Schritt nach vorne gemacht oder sind wir einfach nur im Kreis gelaufen? Die berühmte proaktive Kommunikation wird hier zum Bumerang: Er kommt zurück oder verschwindet im Nirwana. Unverbindlichkeit ist hoch im Kurs. Termine werden im allerletzten Moment bestätigt. Verbindliche und damit zuverlässige Ansagen sind weniger beliebt. Die Scheu vor Verantwortung ist beträchtlich, obschon das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Beteiligung gross ist. 

Missverständnisse – die kleinen Stolpersteine des Alltags 

Missverständnisse sind wie Streusalz im Müesli: Niemand will das Salz im Müesli, aber irgendwie gerät es immer wieder hinein. Ein Klassiker ist die berühmte Anweisung: «Mach das bitte zeitnah.» Was für die eine Person heisst: bis spätestens morgen, bedeutet für das Gegenüber vielleicht: irgendwann diese Woche. So bauen sich Erwartungen auf wie bedrohliche Gewitterwolken. 

Kleiner Praxistipp: Wenn wir Wörter wie «zeitnah», «umgehend», «so schnell wie möglich» weglassen, wirkt der Satz knackiger.  

Small Talk – zwischen Charme und Zwang 

Small Talk ist die hohe Kunst der gehaltvollen Oberflächlichkeit. Wir alle wissen, dass ein lockerer Plausch im Lift, an der Kaffeemaschine oder beim Warten auf den Bus den Tag verschönern kann. Doch wehe, wenn aus dem kleinen höflichen Gespräch eine Tortur wird. Es gibt Menschen, die beherrschen es, in einem Nebensatz ­sämtliche Katastrophen des Wochen­endes unterzubringen und abzu­handeln. Oder das berühmte Wetter, ein nie versiegender Quell für Small Talk, der sich manchmal so hinzieht wie ein Novemberregen. 

Kleiner Praxistipp: Small Talk hat viele gute Qualitäten. Wir spüren beim Austausch scheinbarer Belanglosigkeiten die Befindlichkeit unseres Gegenübers und das gemeinsame Aufregen über das Wetter verbindet und schafft Kontakt. Ohne Kontakt ist Kommunikation in jeder Form Schwerstarbeit, dennoch ist das richtige Mass entscheidend. Was hilft? Ein gutes Gefühl für die Balance und den passenden Moment.  

Die Tücken der E-Mail-Kommunikation 

Alle können E-Mail. Doch auch hier lauern nervige Fallstricke. Die berühmte «Antwort an alle»-Funktion etwa. Ein harmloses «Danke, habe ich erhalten» kann so im Handumdrehen an 37 Menschen geschickt werden, die nun ebenfalls «Danke» sagen und schon ist der Posteingang voll von höflichen, aber hohlen Bestätigungen.  

Auch gefürchtet und ausgesprochen nervig: E-Mail ohne Betreffzeile. Oder E-Mails, die mit vielen Fragen und Gegenfragen den Austausch in die Länge ziehen. Und nicht zu vergessen die kryptischen Signaturen: «Gesendet von meinem mobilen Gerät» – als Entschuldigung für Tippfehler, aber eben auch als Alibi für Unklarheit. 

Kleiner Praxistipp: Menschen persönlich ansprechen und nur Leute in Kopie nehmen, die mitbeteiligt sind. Unhöflich, weil drohend, sind unklare cc-Zeilen. Plötzlich ist die Chefin in Kopie oder der Teamleiter. Was steckt hinter dieser Botschaft? Die Frage lässt sich unterschiedlich beantworten, was anstrengend ist. Es wäre so einfach: «Meine Chefin ist im cc, weil ...» Begründete Botschaften bergen weniger Konfliktstoff.  

Auch Emojis sind ein heisses Eisen: Die kleinen Bilder wirken oft stärker als ein Wort. Besonders bei Emojis passiert das, was zur Kommunikation gehört und uns Menschen ausmacht. Wir interpretieren Nachrichten, verbinden sie mit unseren Erfahrungen und kreieren so unsere Realität. Ein Emoji kann einen schwierigen Satz entschärfen oder genau das Gegenteil bewirken. 

Heikel, besonders in der Schweiz, ist auch das Ausrufezeichen, das viele als unhöflich bewerten. Auch das Fragezeichen geniesst keinen besseren Ruf.  «Kommst du später?» ist in der gesprochenen Sprache dank der Stimmmodulation weniger konfliktanfällig. Im Chat hingegen kann die Frage als Vorwurf empfunden werden. 

Die Magie des Zuhörens 

In all den hier geschilderten kleinen und grossen Ärgernissen steckt auch etwas Hoffnung: Kommunikation kann gelingen! Manchmal reicht ein echtes Zuhören. Nicht nur nicken, sondern hinhören. Nicht schon die Antwort im Kopf haben, sondern wirklich auf das Gegenüber eingehen. Wer das immer wieder übt, ist echt empathisch, sieht die Dinge aus Sicht des Gegenübers. Das ist in vielen Situationen eine echte Wohltat. 

Fazit: nervig und verbindend 

So nervig Kommunikation manchmal auch sein mag, ohne sie wären wir verloren. Die kleinen Stolperfallen, Worthülsen und Missverständnisse machen unser Miteinander bunt, manchmal chaotisch und immer menschlich. Vielleicht sollten wir das nächste Mal, wenn uns wieder jemand «kurz» sprechen will, einfach zurückfragen: «Was genau stellst du dir vor?» Oder zumindest innerlich schmunzeln und wissen: Du bist nicht allein. Denn zwischen den Zeilen warten nicht nur Missverständnisse, sondern auch jede Menge Chancen. Und manchmal ist das Ehrlichste «Entschuldigung, das habe ich nicht verstanden» der Anfang für ein richtig gutes Gespräch. 

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Angelika Ramer trainiert seit über 30 Jahren Unternehmen in schriftlicher Kommunikation und verfasste zu diesem Thema fünf Sachbücher. Die Kommunikationsberaterin und frühere Journalistin ist Inhaberin der «Identität ist Sprache – Ramer & Partner AG».

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