Portrait

Perfektionistischer Revoluzzergeist

Sie hätte gerne mehr Frauen in der Chefetage, liebt Rockbands und Karaoke und malt im stillen Kämmerlein:
Angelina Di Cerbo ist ein Anti-Mauerblümchen und doch ein Bünzli, wie sie sagt. Als Assistentin bei der Credit Suisse ist sie genau und exakt. Privat hingegen mag sie grosse Pinsel und schnelle Striche.

Die Verwandlung dauert keine fünf Minuten. Aus der Künstlerin ist eine Galeristin geworden. Zumindest optisch. Kleider machen Leute, klar. Doch wer Angelina Di Cerbo in roten Converse-Turnschuhen, Jeans und Malerhemd in ihrem Atelier in Thalwil kennenlernt, wie sie eifrig Bilder aus Schutzhüllen schält, Maltechniken erklärt und die Musik lauter stellt, um ungehemmt mitzusingen und mitzutanzen, staunt nicht schlecht, wenn sie nach einem kurzen Taucher hinter dem Sofa in Pumps, Rock, Bluse und Mantel durch den Raum schreitet. Die Haare sind jetzt offen, die Bewegungen langsamer. Sie ist bereit fürs Fotoshooting bei ihrem Arbeitgeber Credit -Suisse, für das Bild auf dem Cover.

Das Businessoutfit verhüllt ihre kreative Ader. Und es lässt keinen Zweifel daran, dass die
se Frau sich auch in der Wirtschaftswelt 
gut durchsetzen kann. «Das sind manchmal schon zwei unterschiedliche Rollen, in die ich da schlüpfe», sagt sie, während sie zwischen Pinseltöpfen, Farbflaschen und Krimskrams ihr iPhone sucht.

Geschätzt für ihre direkte und ehrliche Art

Angefangen hat das Gespräch zwei Stunden vorher am grossen Holztisch in Angelina Di Cerbos Atelier. Bei Kaffee und Gipfeli und inmitten ihrer Kunst erzählt sie von ihrem anderen Leben. Dem Leben im Büro. Die 47-Jährige ist Assistentin des Leiters Marktgebiet Zürich-Innenstadt der Credit Suisse. «Ich bin aktiv an Projekten beteiligt, darf Initiative zeigen, mich einbringen. Es ist eine abwechslungsreiche Tätigkeit, das gefällt mir.»

Sie ist an Führungssitzungen dabei, schreibt Protokolle, managt das Office. Im Daily Business ist sie zurzeit vor allem im Event-management des Marktgebietes eingespannt, wo sie Kundenanlässe, Konzerte oder Sport-events organisiert. «Zudem habe ich eine Drehscheiben-Funktion: Ich bin die Anlaufstelle für alle Personen, die intern mit dem Marktgebiet zu tun haben.» Das sind IT-Experten und Eventmanager, aber auch die sechs Teamleiter, die ihrem Chef unterstellt sind, oder deren je sechs bis zehn Kunden-berater. Alles in allem eine ziemliche Männerwelt. «Damit komme ich gut zurecht», sagt 
Di Cerbo und lächelt. Sie hat Routine: Seit sie arbeitet, ist sie in von Männern dominierten Branchen tätig: Angefangen hat sie in der Maschinen-industrie, hat einen Abstecher in die Gastronomie gemacht, kam in den Pharmasektor und ist schliesslich im Finanzbereich gelandet.

Seit sechs Jahren arbeitet sie schon bei der Credit Suisse, zuvor war sie 13 Jahre für die UBS tätig. «Banking ist ein hoch interessantes Feld und es hat viele Vorteile, für einen Grosskonzern zu arbeiten. Ich wurde immer gefördert, konnte mich weiterbilden und ein grosses Netzwerk knüpfen.»

Das Naserümpfen, das gegenüber der Finanzbranche noch allgegenwärtig ist, blendet sie aus. «Auf einmal reden alle mit. Auch solche, die vom Geschäft und den Gehältern keine Ahnung haben. Die Mehrheit der Angestellten auf einer Bank verdienen einen vernünftigen Lohn und gehen ganz selbstverständlich ihrer Arbeit nach.» Sie hat keine Mühe, klar ihre Meinung zu sagen, wenn sie zu 100 Prozent dazu stehen kann und sich der Risiken bewusst ist. Im Gegenteil. «In meinem beruflichen und privaten Umfeld schätzt man meine direkte und ehrliche Art», sagt sie und lacht. Auch ihr Perfektionismus und ihre Korrektheit sind bekannt. «Ehrlichkeit und Kritik, auf konstruktive Art und Weise, sind mir wichtig.»

Ausser Dienst

  • Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Für meinen ersten Schnorcheltrip vor einem Jahr in Australien. Direkt im offenen Meer und direkt mit mehreren Walhaien.
  • Dieses Ritual ist mir wichtig: Die Lektüre von «Sonntagszeitung» und «NZZ am Sonntag». Gerne vergleiche ich auch die Berichterstattung zu einem Thema.
  • Das fasziniert mich: Technik! Ich brauche immer die neusten Gadgets und probiere alles aus. Auch auf den Social-Media-Kanälen bin ich sehr aktiv.
  • Das hat mich geprägt: Meine Rucksackreise durch Südostasien. Im Rückblick ist es ein Wunder, dass nichts passiert ist. Aber heutzutage kastrieren wir uns selber mit unseren Ängsten. Auch mein Jahr in Hong Kong hat mich geprägt.
  • Das wollte ich als Kind werden: Kinderkrankenschwester, Schauspielerin, Sängerin. Letzteres will ich heute noch. Ich sehe mich auf der Bühne als Rockstar.
  • Das will ich noch erreichen: Vieles! Seit meiner Kindheit weiss ich, dass ich einmal sehr alt werden möchte. Die Voraussetzungen sind gut: Meine Oma wird im September 100 Jahre alt und ist völlig fit und zufrieden.

Aus Not wird Hobby

Mit Leuten, die ständig gefallen wollen und bedacht sind, nichts Falsches zu sagen, kann sie hingegen nicht viel anfangen. «Frauen, die sich so verhalten, sind selber schuld, wenn sie nicht ernst genommen werden.» Das Thema Frauenförderung liegt der Assistentin am Herzen. Sie glaubt an die weiblichen Fähigkeiten. Führungsattribute seien da definitiv vorhanden und sie würde gerne mehr Frauen in Wirtschaft und Politik sehen. «Dafür braucht es aber ein Umdenken – auch bei den Frauen.»

Von den Anliegen der Frauen über die politische Situation in Italien bis zum russischen Ex-Gefangenen Chodorkowski – Angelina Di Cerbo diskutiert gerne. Sie ist politisch interessiert, verfolgt das Weltgeschehen, liest kritisch Zeitung und hört Nachrichten. Teletext ist ihre Lieblingsapp und auch für Sport findet sie immer Zeit.

Ihr liebstes Hobby aber ist das Malen. Dabei hat das ganz pragmatisch angefangen. «Als ich mit 22 Jahren von zu Hause auszog, hatte ich keine Bilder. Also habe ich eine 2,2 x 1,2 Meter grosse Leinwand und Grundfarben eingekauft.» Die Leinwand hing drei Wochen unbefleckt im Schlafzimmer. «Ich hatte es mir einfacher vorgestellt, ein Bild zu malen und hatte keine Ahnung, wie anzufangen.» Bis sie einfach den Pinsel in die Hand nahm und ausprobierte. Mit Erfolg. Das Bild ist heute noch, 25 Jahre und mehrere Wohnungen später, ihr Schlafzimmerbild. So, wie Angelina Di Cerbo auch die Farben immer noch im gleichen Geschäft kauft.

Diese stehen nun schön aufgereiht auf einem Rolltisch in der Mitte ihres Ateliers. Zu den Grundfarben sind Lacke dazugekommen. «Auf die stehe ich im Moment», sagt Di Cerbo. Der Farbentisch teilt den Raum auf: Vorne steht der grosse Tisch, auf dem sie malt. Hinten lädt ein Sofa zum Verweilen ein. Auf einem Gestell neben dem Kühlschrank steht eine Kaffeemaschine und ein Guetzlipack.

An den Wänden sind unzählige Bilder aufgehängt, angelehnt und aneinander gestapelt. Sie repräsentieren Geschichten und Gedanken, Erinnerungen und Gefühle. Es sind abstrakte Werke, viele in Blau- oder Rottönen. Manche helle Bilder mit metallischem Schimmer. «Ich arbeite am liebsten mit Acrylfarben und Strukturmasse. Aber ich habe auch schon Zeitungsausschnitte oder kleine Gegenstände mitverarbeitet», erklärt Angelina Di Cerbo und zeigt ein Bild nach dem anderen. Sie kennt sie alle beim Namen: «Käfer Munich» kommt ins Rampenlicht, «Plain Vanilla» wird von der Staffelei genommen, «Le Truffe Noir» – mit Schoggipapier von Sprüngli versehen – erhält wieder einmal Aufmerksamkeit. «Sie sind ein bisschen wie Kinder», sagt ihre Erzeugerin.

Rockerblut und Revoluzzergeist

Das jüngste Werk heisst «Blood is running through». Es zeigt eine dunkle und eine helle Fläche, getrennt durch eine rote Linie, bei der die Farbe gegen Ende nach unten verlaufen ist. «Nicht absichtlich», gibt Angelina Di Cerbo zu. «Ich habe es zu früh aufgehängt. Ich bin schrecklich ungeduldig.» In diesem Fall war Ungeduld angebracht: «Ich habe mit dem Bild  einen Feigling aus meinem Leben verabschiedet.» Dass andere im Bild einen Sonnenaufgang sehen, stört sie nicht. Sie stellt manchmal aus und hat auch schon Werke verkauft. In erster Linie malt sie aber für sich selber.

Die Inspiration für ihre Bilder findet sie in Träumen, im Alltag oder in der Musik. «Traffic» zum Beispiel, in blau und mit Spachtel strukturiert, entstand, während das gleichnamige Lied von Stereo MC aus den Boxen schmetterte. «Kennst Du den Song?» Angelina Di Cerbo legt sofort die CD auf und singt jede Zeile mit. Seit ihrer Jugend begleiten sie Bands wie die Rolling Stones, ABBA und AC/DC. «Vor einem Jahr habe ich Deep Purple live gesehen, Hammer!» Auch bei der Rock-Show «Karaoke from Hell» in Zürich ist sie immer wieder in der ersten Reihe mit dabei. Allerdings nie auf der Bühne. «Ich liebe Karaoke, aber diese Show ist mir eine Nummer zu gross.»

Fast schüchterne Worte für Angelina Di Cerbo, die Frauen wie Madonna, Hillary Clinton oder Jacky Kennedy bewundert und von sich sagt, im Grunde ihres Herzens ein Revoluzzer zu sein. «Ich habe schon früh durchgesetzt, was mir wichtig war.» Bestes Beispiel: Mit 14 Jahren hat sie ohne das Wissen ihrer italienischen Eltern einen Schweizer Pass beantragt. «Das hat den Stolz meines Vaters verletzt und wurde zu Hause als Landesverrat taxiert.»
Von ihren italienischen Wurzeln spürt sie auch heute nicht viel. «Meine Freunde sagen, ich sei ein Bünzli mit dem Namen Di Cerbo.»

Zur Person

Angelina Di Cerbo (47) ist in Thalwil als Tochter von italienischen Einwanderern aufgewachsen – in einer typischen «Macherfamilie», wie sie sagt. Trotzdem hat sie gerne dem Leben gefrönt und ist als Töffli-Meitli und Hippie durch ihre Jugend, bis sie nach der Handelsschule als Assistentin ins Berufsleben einstieg. Nach Stationen in Maschinenindustrie, Gastronomie und Pharma ist sie in der Finanzbranche gelandet. Ihre 13-jährige Tätigkeit bei der UBS hatte sie ein Jahr lang unterbrochen: Der Liebe wegen zog sie nach Hong Kong und war dort als Moneypenny im Dienste der Regierung tätig, als Assistentin des Schweizer Generalkonsuls. Die Liebe ging in die Brüche und Angelina Di Cerbo kehrte mit einer Portion Lebenserfahrung mehr im Gepäck nach Zürich zurück. Heute arbeitet sie bei der Credit Suisse.

 

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