Home Office

Powern statt pendeln

Assistentinnen müssen präsent und erreichbar sein und spontan Aufgaben übernehmen können. Vieles davon  könnten sie aber auch von zu Hause aus erledigen. Ein bisschen Absprache, ein paar technische Veränderungen  und Flexibilität von allen Seiten machen es möglich.

Es war im Frühjahr 2009, als die sogenannte Schweinegrippe kursierte und allerorts für Verunsicherung sorgte. Da fragten sich Barbara Josef und ihre Kollegen bei Microsoft in Wallisellen: Was würde eigentlich passieren, wenn jetzt niemand mehr zur Arbeit kommen könnte? Schnell war man sich einig: «Bei Microsoft nicht viel.» Denn in dem IT-Unternehmen war schon damals physische Anwesenheit keine Voraussetzung dafür, dass die Arbeit erledigt wird. «Alle unsere 600 Mitarbeiter legen regelmässig Home-Office-Tage ein», berichtet Barbara Josef, die die Abteilung Kommunikation und Gesellschaftliches Engagement leitet. Im Schnitt seien es 1,5 Tage pro Woche, die ein Microsoft-Mitarbeiter in der Schweiz von zu Hause aus – oder an einem anderen Ort – arbeite.

Regeln für das Home Office

  • Bereiten Sie sich auf den Home Office Day wie auf jeden anderen Arbeitstag auch vor: Legen Sie sich am Vorabend alles bereit, prüfen Sie Ihre Termine für den folgenden Tag etc. 
  • Informieren Sie Ihr Team und Ihren Chef vorab, dass Sie an diesem Tag von zu Hause aus arbeiten. 
  • Stellen Sie vorab sicher, dass Sie den Zugriff auf alle notwendigen Informationen für Ihre Arbeit von zu Hause aus haben. 
  • Stellen Sie Ihre Erreichbarkeit via Telefon und Internet sicher: Home Office muss nicht abgeschnitten sein vom Büro – im Idealfall macht es für Ihre Kollegen gar keinen Unterschied, von wo Sie arbeiten. 
  • Sorgen Sie dafür, dass Sie zu Hause ein ungestörtes Umfeld haben, dass gegebenenfalls Ihre Mitbewohner informiert sind und die Kinder aus dem Haus sind. 
  • Überlegen Sie sich, wo Sie arbeiten möchten, wo Sie sich am wohlsten fühlen und am wenigsten abgelenkt sind. 
  • Arbeiten Sie nicht im Pyjama, die Grundeinstellung zur Arbeit ist damit gleich eine andere. 
  • Definieren Sie für sich, was Sie an Ihrem Home-Office-Tag erreichen möchten, machen Sie sich eine To-Do-Liste und sehen Sie anhand derer, wie effizient Sie arbeiten. 
  • Reservieren Sie auch Pausenblöcke wie im Büro: Machen Sie ruhig mal Pause und bewegen Sie sich, oder gehen Sie mal nach draussen, um Sauerstoff zu tanken, machen Sie Mittagspause. 
  • Seien Sie proaktiv und teilen Sie Ihrem Chef und Ihren Teamkollegen mit, woran Sie arbeiten und wie Sie vorwärtskommen.
  • Machen Sie sich bewusst, dass Sie jetzt im Stau stehen könnten.

Quelle: www.homeofficeday.ch

So kam man auf die Idee, das eigene Modell auch Kundenfirmen anzutragen. Im Jahr darauf initiierte das Unternehmen gemeinsam mit Partnern wie Swisscom den ersten offiziellen «Home Office Day», um auf die Vorteile des ortsunabhängigen Arbeitens aufmerksam zu machen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass das Unternehmen Produkte anbietet, die das ortsunabhängige Arbeiten unterstützen. Aber auch mit der Erkenntnis, dass es Mitarbeiter zufriedener und damit auch produktiver machen kann, wenn sie über ihre Arbeitszeiten ein Stück weit selbst entscheiden können.

Unbürokratische Absprachen

«Bisher profitieren vor allem die sehr gut gebildeten und damit oft leitenden Mitarbeiter von dem Modell», erklärt Barbara Josef. Also vor allem Chefs – während ihre Assistentinnen es ihnen typischerweise gerade erst ermöglichen, nicht durchgängig vor Ort sein zu müssen. «Der Trend geht aber dahin, dass Mitarbeiter aller Stufen einen Home-Office-Tag einlegen können.» Das sei eine Frage der Absprache – nicht nur mit dem Chef, sondern vor allem mit den Kolleginnen. Bei Microsoft besprächen die Assistentinnen unbürokratisch und auch kurzfristig, wer wann nicht im Büro ist und wer als Vertretung einspringt.

Christine Leemann, Assistentin bei der UBS in Zürich, arbeitet an mehreren Tagen pro Woche von zu Hause aus – auch, weil sie für ihre drei Kinder da sein will. Sie und ihr Chef einigten sich auf diese Lösung, nachdem ihre 50-Prozent-Stelle auf 70 Prozent aufgestockt wurde, weil dem Vorgesetzten eine zusätzliche Abteilung zugeordnet wurde. Über den Firmenlaptop hat sie auch zu Hause Zugriff auf den Server. «Mein Chef erteilt mir Aufträge meistens per Mail – er ist ja selbst oft nicht im Büro», erklärt Leemann.

«Anträge für IT-Berechtigungen bearbeiten, interne Laufwerke verwalten, Auftragslisten verteilen – das kann man gut von zu Hause aus machen.» Trotzdem kommt sie an den meisten Tagen noch einmal ins Büro, in der Regel vormittags  – schliesslich gibt es auch Aufgaben, für die man vor Ort sein muss. «Ausserdem würde ich es auch gar nicht wollen, nur von zu Hause aus zu arbeiten. Ich möchte auch unter Leute kommen und nah am Alltagsgeschäft sein», erklärt sie. 

Für die Arbeit komplett zu Hause zu bleiben, ist auch nicht das Modell, dass der Home Office Day propagiert. «Inzwischen wird die reine Telearbeit aufgrund ihrer Nachteile wie soziale Isolation, geringe Eingebundenheit in Arbeitsprozesse und wenig Entwicklungsmöglichkeiten eher abgelehnt», erklärt Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich, die den Home Office Day wissenschaftlich begleitet hat. 

Keine Zeit für Kinderbetreuung

Auch Michaela Podolsky, Assistentin beim IT-Dienstleister Logicare in Dübendorf, arbeitet dienstags und freitags je einen halben Tag von zu Hause aus. An den übrigen Tagen kommt sie achteinhalb Stunden ins Büro. Die Kommunikation mit ihrem Chef sei kein Problem: «Er weiss ja, wann ich da bin.» Wenn sie zu Hause arbeitet, ist ausserdem ihr Firmentelefon auf ihr Handy umgeleitet. Auch für sie war die Geburt ihres mittlerweile eineinhalb Jahre alten Kindes der Anlass, teilweise von zu Hause aus zu arbeiten.

Auch wenn Kinder meist der Anlass sind, Home-Office-Tage zu beantragen: Kinder-betreuung sollte man nicht mit Heimarbeit verbinden. «Kinder sind vielmehr ein Home-Office-Killer», drückt es Barbara Josef aus. Wer von zu Hause aus arbeite, solle nicht der «Babysitter» sein, sondern flexibel und dabei in Ruhe arbeiten können. So hält es auch Michaela Podolsky: Wenn sie zu Hause arbeitet, ist ihr Kind in der Krippe – erst danach holt sie es ab. Christine Leemann, deren Nachwuchs bereits im Teenageralter ist, will auch weiterhin am Home-Office-Modell festhalten: «Es sind ja nicht nur die Kinder, sondern auch andere Termine, die ich so besser einteilen kann.» Dafür greift sie aber auch schon mal am Wochenende zum Laptop, um Liegen-gebliebenes fertig zu machen. 

Immer erreichbar, auch zu Hause und am Wochenende – das erweckt den Eindruck, dass Heimarbeit unter Umständen sogar eher mehr Stress verursacht und eventuell sogar zu nicht registrierter Mehrarbeit führt. Davor warnt auch Gudela Grote: «Aus der Option ‹Anytime, anyplace› darf kein Diktat ‹always and everywhere› werden.» Wenn ein Unternehmen Home Office komplett neu einführt, empfehlen die Initianten des Home Office Days deshalb klare Spielregeln in Bezug auf Arbeitszeitkontrolle. «Zwar werden vor allem in der Anfangsphase oft beide Seiten den Nachweis als -unnötig erachten, Konfliktrisiken bestehen aber mittel- und längerfristig», erklärt Daniel Jositsch, Zentralpräsident des KV Schweiz, der ebenfalls Partner beim Home Office Day ist.

Dabei gehe es nicht um eine minutengenaue Erfassung. «Die Arbeitsform erfordert etwas Spielraum.» Christine Leemann und Michaela Podolsky erfassen ihre Arbeitsstunden selbst. Michaela Podolsky gibt monatlich den Stundenrapport bei ihrem Vorgesetzten ab, der Chef von Christine Leemann möchte die Zahlen nicht vorgelegt haben. «Am Ende des Jahres soll man keine Überstunden haben. Dafür muss jeder selbst sorgen», erklärt Leemann.

Höhere Arbeitgeberattraktivität

Aber was kann man tun, wenn man gerne Home-Office-Tage einlegen würde, der Arbeitgeber aber Bedenken hat? Gudela Grote gibt ein paar Argumentationshilfen. Erstens führe das Modell zu mehr Produktivität: Ein Mitarbeiter wird pro Arbeitstag im Unternehmen 30 Minuten lang durch Störungen wie Fragen von anderen oder einen hohen Geräuschpegel von der Arbeit abgehalten. Weitere 30 Minuten verpufften unproduktiv, etwa durch ein physio-logisches Tief nach dem Mittagessen. Wer zu Hause in Ruhe arbeiten kann und dazu bei freier Zeiteinteilung, könne diese Störzeiten umgehen. Als zweites Argument führt sie Gebäudekosten an: Wer nicht da ist, braucht auch keinen Platz. Wenn mehrere Mitarbeiter sich Plätze teilen können, braucht das Büro weniger Fläche. Drittens werde ein Arbeitgeber attraktiver für qualifiziertere Bewerber, wenn der Wohnort nicht nah am Arbeitsort sein und man nicht täglich pendeln muss. 

Auch Michaela Podolsky – die gerade eine Weiterbildung zur Direktionsassistentin abgeschlossen hat – ist froh, nicht jeden Tag pendeln zu müssen. Dass Home Office für sie möglich ist, sei ein «Mehrwert» – und damit für sie ein Grund, ihrem Arbeitgeber auch längerfristig treu zu bleiben. 

Der 5. Schweizer Home Office Day findet in diesem Jahr am 15. Mai statt. Mehr Infos zur Teilnahme gibt es auf www.homeofficeday.ch.

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