Portrait

Rettungs-Kapitänin und Werft-Assistentin

Barbara Streuli hat in Flugzeugen gearbeitet, ist berufsmässig Limousinen gefahren und war Teil des Alinghi-Teams.  Sie mag Bewegung in ihrem Joballtag. Als Assistentin in der Werft der Boesch Classic Boats Services AG und als Seeretterin in Horgen ist die Bernerin nun aber am Zürichsee angekommen.

Sereina ist ein tolles Mädchen. «Sehr gutmütig», beschreibt Barbara Streuli sie liebevoll. Die Kapitänin drückt ein paar Knöpfe, blickt zurück und gibt Gas. Sereina fährt rückwärts. Sorgfältig lenkt Barbara Streuli das zehn Meter lange Schiff aus dem kleinen Hafen in den Zürichsee. Sie ist entspannt, witzelt mit Co-Kapitän Stefan Eschenmoser. Nicht immer ist die Stimmung so locker, wenn die beiden mit Sereina ausfahren: Barbara Streuli und Stefan Eschenmoser gehören zur Seerettung Horgen und eilen in Notfällen verunfallten Seglern oder gekenterten Ruderern zu Hilfe. Doch an diesem Nachmittag gibt es keinen Grund zur Sorge. Per Funk meldet die Schiffslenkerin der Seepolizei eine «Besucherfahrt».

Neben ihrem Job als Assistentin in der Boesch Werft verbringt Barbara Streuli die meiste Zeit im Bootshaus der Seerettung bei Sitzungen, Übungseinheiten oder Einsätzen. «Alles in allem sind das schon rund fünf Stunden pro Woche», erzählt sie. Dazu kommen die Pikettdienste, die während der Hauptsaison von April bis Oktober auch sechs Wochenenden umfassen. «Es ist ein intensives Hobby. Man muss die Arbeit lieben», gibt sie zu. Langsam lässt sie die Sereina dem Zürichseeufer entlang tuckern. Immer wieder schaffen es ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke und bringen das Wasser zum Glitzern. Die Stimmung ist mystisch-schön. «Es sieht jeden Tag, jede Stunde anders aus», schwärmt Streuli. Sie liebt den See. Einer der Hauptgründe, warum sie in der Seerettung aktiv ist. «Das verschafft mir die Möglichkeit, viele Stunden am und auf dem Wasser zu verbringen.»

Dabei ist Wasser eigentlich erst ihre zweite Leidenschaft. Viele Jahre hat sie einem anderen Element gewidmet: der Luft. «Ich habe als Kind schon jedem Flugzeug nachgeschaut», sagt Streuli und lacht. Es war ihr Wunsch, die Welt zu sehen, ihr Interesse am Fremden, aber auch die Faszination für die schweren Maschinen, die so leicht abheben, die ihren Blick am Himmel hielten und sie zu Tagträumen verleiteten. «Für mich war immer klar, dass ich einmal fliegen werde.» So kam es dann auch. Nach einem Auslandjahr in L.A. und einem Sprachaufenthalt in Frankreich wurde Barbara Streuli mit 22 Flight Attendant bei der Swissair. Kurz hatte sie in Erwägung gezogen, eine Karriere als Pilotin einzuschlagen, aber die Arbeit im Cockpit kam ihr zu einsam vor.

 

Ausser Dienst

Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Meistens überlege ich nicht lange 
und mache einfach, was sich richtig anfühlt. Ich brauche also nicht viel Mut.

Dieses Ritual ist mir wichtig: Ich bin nicht der Typ für Rituale. Für mich muss 
etwas auch nicht immer gleich ablaufen. Im Gegenteil: Ich mag Abwechslung.

Das möchte ich gerne können: Ein grosses Kursschiff oder ein U-Boot steuern.

Das hat mich geprägt: Vor zehn Jahren hatte ich in Tunesien einen Reitunfall, 
bei dem ich mir einen Rückenwirbel brach. Ich hatte sehr grosses Glück und ich glaube, ich lebe seither intensiver.

Das bringt mich zum Staunen: Die Stimmung am See. Die Sonne geht jeden Morgen am gleichen Ort auf und trotzdem ist das Bild immer anders.

Das macht mich wütend: Ungerechtigkeiten. Im Grossen wie im Kleinen.

Das wollte ich als Kind werden: Ich wollte schon als kleines Mädchen fliegen und habe mich später gegen die Ausbildung zur Pilotin und für einen Job in der Kabine entschieden, weil mir der Kontakt zu Menschen wichtig ist.

Ich brauche den Kontakt zu Menschen und arbeite gerne in einem Team, darum habe ich mich für die Kabine entschieden.» Sie hat es nie bereut. «Es war toll! Wir hatten damals noch mehrtägige Aufenthalte in den Destinationen und waren auf der ganzen Welt unterwegs.» 14 Jahre lang ist Streuli für Swissair geflogen, am Schluss als Maître de Cabine – bis zum Grounding. «Das war traumatisch», sagt sie rückblickend. Der Schock sass tief, aber die Solidarität von vielen Passagieren habe sie damals berührt. Streuli wurde von Swiss angestellt, verliess die Airline aber nach einem Jahr. «Es war nicht mehr das Gleiche.»

Kleine schleppt Grosse ab

Die Haare hochgesteckt und mit blauem Uniform-Hemd unter der gelben Jacke ist Barbara Streuli gewissermassen doch noch Pilotin geworden – statt des Schubhebels eines Flugzeuges hat sie aber ein Schiffs-Steuerrad in der Hand. «Erfordert es die Situation, bringt Sereina 75 km/h auf den Tacho», sagt sie und gibt eine kleine Kostprobe. Die 47-Jährige wirkt ruhig und sanft, doch ihre Freude am erhöhten Tempo ist offensichtlich. «Ich bin eine Geschwindigkeitsfanatikerin», gibt sie zu. Auch mit ihrem BMW Z4 wäre sie gerne schnell unterwegs. «Aber ich habe aufgehört, den Staat auf diese Weise zu unterstützen.» Streuli hat ein Flair für Motoren und Technik. Sereina verstecke unter ihrer Haube zwei starke Lastwagenmotoren, erzählt sie. «Damit hat die Kleine schon Grosse vom Kaliber einer MS Wädenswil abgeschleppt.»

Die Assistentin ist seit fünfeinhalb Jahren bei der Seerettung. Die Einsätze seien zum Glück selten dramatisch. Die Klassiker sind Motorschifffahrer, die nach einem Sommertag mit Musik auf dem Wasser merken, dass ihre Batterie leer ist. «Auch kleine Motorschäden sind häufig. Und nach Stürmen rücken wir aus, um losgerissene, treibende Schiffe wieder an Land zu bringen.» Obmann Stefan Eschenmoser möchte die einzige Frau in seinem Team nicht missen: «Sie ist sehr engagiert, aufmerksam, verbreitet gute Stimmung und kann im positiven Sinne energisch sein.» Streuli ergänzt: «Ich lerne menschlich wie technisch bei jedem Einsatz dazu.» Zudem sei es doch etwas vom Schönsten, Menschen und Boote retten zu können. «Es gibt mir das Gefühl, dass ich etwas Sinnvolles mache in meiner Freizeit.»

Zwischen edlen Schiffsbäuchen

Barbara Streulis Arbeitsplatz liegt nur ein paar Kilometer weiter unten am See und hat ebenfalls mit Booten zu tun. Seit zwei Jahren arbeitet sie bei der Boesch Classic Boats Services AG in Kilchberg. Das Unternehmen ist in einer Werft aus den 1920er-Jahren untergebracht, direkt am Wasser. Im Moment ist in den alten Hallen Hochbetrieb. «Wir machen hier Reparaturen und Restaurierungen», erklärt Streuli. Sie zeigt alte Liebhaberstücke und neuere Modelle, begrüsst die Mitarbeiter mit Vornamen. Männer schleifen von Hand an Bootsbäuchen, pinseln und werken. Boesch Boote sind alle aus Mahagoni, mit edlen Formen. «Sie sind wunderschön», findet Streuli. «Wenn ich meine Arbeit im Büro früh erledigt habe, darf ich in der Werkstatt mit anpacken. Ich bin keine grosse Hilfe, aber ich interessiere mich für die Arbeit. Die Männer sind beeindruckt, wenn ein ‹Bürogummi› es nicht scheut, sich die Hände schmutzig zu machen.» Die Assistentin hat schon als Mädchen lieber dem Vater beim Parkettlegen geholfen als mit Puppen zu spielen. Ihre handwerklichen Fähigkeiten und ihr Interesse an der Arbeit «der Jungs» helfen ihr in ihrem Job. Sie ist sowohl für die zwölf Mitarbeiter wie auch für Kunden erste Ansprechperson und muss dank ihres Wissens nicht schon bei der ersten technischen Frage an den Chef weiterleiten. «Damit entlaste ich ihn», sagt Streuli. Dazu erledigt sie die ganze Administration: von wichtigen Telefonanrufen über die Post bis zu Offerten.

In die Assistenz ist Barbara Streuli quer eingestiegen. Nach ihrer Zeit als Flight Attendant hat sie die unterschiedlichsten Jobs gemacht. «Ich bin keine Planerin und schaue gerne, wo ein Türchen aufgeht.» Unter anderem war sie ein Jahr lang Assistentin im Alinghi-Team und hat in Valencia dafür gesorgt, dass die internationale Crew vor dem America’s Cup Wohnungen findet, die wichtigsten Formulare hat und problemlos umziehen kann. «Es war faszinierend, so nahe am Segelsport zu sein», sagt Streuli. Obwohl ein solcher Job mit vielen Risiken verbunden sei – Streuli liess zu Hause alles zurück und zog nach Valencia –, würde sie eine solche Chance wieder packen.

Später arbeitete sie als Disponentin im Limousinenservice der UBS und chauffierte ab und zu das Topkader. «Auch das war extrem spannend.» Die Stelle erforderte höchste Diskretion, Zuverlässigkeit und Geduld. Allerdings hatten sie am Job mehr die Autos als die Bankenbosse gereizt. «Ich mag alles, was sich bewegt.» Gibt es eine Möglichkeit zu fahren, meldet sich Streuli. «Egal ob Wohnmobil, Quad, Schneetöff, Rumpelkiste oder die Sereina», lacht sie, «ich bin für alles zu haben.

Nach den Flugzeugen, dem Segelteam und den Autos ist Barbara Streuli bei den Booten gelandet und damit sehr glücklich. «Neben dem Fliegen waren Wasser und Schiffe schon immer mein zweites Zuhause.» Streuli taucht für ihr Leben gerne und hat schon früh den Segelschein, später das Motorbootbrevet gemacht, beides für See und Meer. Der Ozean ist das Einzige, was ihr heute manchmal fehlt. «Wenn ich am Meer leben könnte, würde ich nicht Nein sagen. Aber ich bin sehr zufrieden.» Mit ihrer Stelle bei Boesch und ihrem Engagement für die Seerettung habe sich ein Kreis geschlossen. «Ich bin angekommen.»

Zur Person

Barbara Streuli ist in Bern aufgewachsen und lebt seit sieben Jahren in Horgen, wo sie sich sehr zu Hause fühlt. Sie war 14 Jahre lang bei Swissair und Swiss Flight Attendant und Maître de Cabine, bevor sie einen Abstecher ins Personalwesen machte. Danach stieg sie beim Alinghi-Team als Assistentin ein. Nach einem Jahr wechselte sie in den Limousinenservice der UBS, bis sie die Airline-Branche vermisste und bei Skyguide als Disponentin in der Simulatorenplanung anfing. Seit zwei Jahren arbeitet sie nun als Assistentin bei der Boesch Classic Boats Services AG in Kilchberg. Einen grossen Teil ihrer Freizeit widmet die 47-Jährige mit Segel- und Motorschiff-Brevet der Seerettung Horgen. Wann immer möglich verbringt sie Zeit am oder im Wasser: beim Segeln, Tauchen oder Schwimmen.

 

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