Digitalisierungsgeräte

Schönschreiber im Vorteil

Digitalstifte helfen dabei, mehr aus handschriftlichen Notizen herauszuholen. Wer sie erfolgreich nutzen möchte, sollte etwas Disziplin mitbringen.

«Leserlichkeit ist die Höflichkeit der Handschriften.» Friedrich Dürrenmatt – von dem das Zitat stammt – wusste, wovon er sprach. Der Schriftsteller schrieb stets von Hand und liess die Manuskripte von seiner Sekretärin abtippen. Überarbeitet wurde dann mit Kleber und Schere. Diese Zeiten sind lange vorbei. Seit Computer den Büroalltag bestimmen, verfasst kaum noch jemand lange Texte per Hand. Völlig ausgedient hat die Handschrift dennoch nicht. «Das Protokoll unserer Geschäftsleitungssitzung schreibe ich von Hand und tippe es danach ab», sagt eine Executive Assistant im Schweizer Hauptquartier von Hewlett-Packard, die ihren Namen dann doch lieber nicht genannt haben möchte. Dabei ist sie selbst in der IT-Branche in guter Gesellschaft. «Das meiste schreibe ich zwar direkt am Laptop, aber Notizen für mich selbst kritzele ich doch per Hand», sagt Angelica Fürst, Executive Assistant beim IT-Unternehmen EMC. Als Gedächtnisstütze bleiben Stift und Papier eben unschlagbar.

Aufgemotzte Kugelschreiber

Wie unpraktisch die Zettelwirtschaft aber werden kann, weiss jeder, der einmal eine alte Notiz aus dem vergangenen Jahr gesucht hat. Volltextsuche oder eine Sortierung nach Stichworten, Daten und Orten – damit kann der Notizblock nicht dienen. Oder doch?
Evernote ist mit 65 Millionen Downloads eines der beliebtesten Tools, um Notizen, Screen-shots und Dokumente aller Art online und über mehrere Geräte hinweg zu archivieren. Gefüttert wird es vom PC oder mit dem Smartphone. Screenshots sowie abfotografierte oder gescannte Texte macht das Programm durchsuchbar, versieht sie mit einem Datum und mit einer Ortsmarkierung.

Wie aber kommt die handschriftliche Notiz in die digitale Welt, wenn man sie nicht gerade abtippen möchte? Die schlechte Nachricht: Einfaches Scannen oder Abfotografieren tuts nicht. Während die automatische Schrift­erkennung Gedrucktes heute seitenweise fast fehlerfrei in digitalen Text umwandelt, ist die Schnürlischrift für Computer noch immer praktisch unlesbar. «Eine echte Handschrift­erkennung, wie wir sie für gedruckte Texte anbieten, gibt es nicht auf dem Markt», sagt Susanne Doss vom Support bei ABBYY ­Europe – neben Nuance und I.R.I.S. einem der drei grossen Namen in der Texterkennung. Lediglich in Adress- und Antwortfeldern, wenn die Summe möglicher Wörter oder Ziffern begrenzt bleibt, erkennen Computer auch Handschriftliches.

Mehr Erfolg versprechen da sogenannte Digitalstifte. Diese elektronisch aufgemotzten Kugelschreiber erfassen die Schreibbewegung mit Hilfe einer Infrarotkamera und übertragen das Ergebnis auf den PC. Das macht die Schrifterkennung einfacher und das Ergebnis sehr viel besser. Anders als auf dem Tablet-PC, schreibt man mit Digitalstiften ganz normal auf Papier. Sie eignen sich deshalb auch für schnelles und blindes Mitschreiben. Aber Vorsicht: «Wie gut die Texterkennung funktioniert, hängt stark davon ab, wie sauber und leserlich man schreibt», sagt Mehmet Toprak. Der Technikjournalist hat mehrere solcher Stifte für das Online-Magazin «IT-Espresso» getestet. Sein Fazit: Weil die meisten Stifte technisch sehr ähnlich sind und alle auf die gleiche Software namens MyScript setzen, ist das Ergebnis nahezu gleich. Unterschiede gebe es vor allem in der Ausstattung, sagt Toprak. «Nicht alle haben zum Beispiel auch das Trainingsprogramm, mit dem man die Schrifterkennung verbessern kann.»

Der Schreibgeräte-Hersteller Staedtler liefert das Trainingsprogramm bei seinen Digitalstiften mit. Wie die meisten arbeiten sie mit einem externen Sensor. Der wird als Clip am Block oder Blatt befestigt und per USB an den PC angeschlossen. Er zeichnet die Schreib­bewegung auf und registriert mit jedem Lösen des Clips, dass eine neue Seite verwendet wird. Ist der PC beim Schreiben nicht zur Hand, speichert der Sensor bis zu 100 Seiten. Die etwas teurere Version kann das auch kabellos per Bluetooth und hat zudem aufladbare Akkus.

Parallele Tonaufnahme

Auch I.R.I.S., einer der führenden Hersteller von Texterkennung, tummelt sich im Stiftemarkt. Den IRISNotes gibt es gleich in drei Varianten. Das Basismodell «Express» verzichtet trotz solider Grundausstattung auf das Trainingsmodul von MyScript. Der «IRISNotes for Smartphones» kommuniziert per Bluetooth mit Blackberry- und Android-Telefonen. Nur das Topmodell «Executive» liefert das Trainingsmodul, hat wiederaufladbare Akkus und koppelt über den mitgelieferten Stecker direkt ans iPad oder iPhone. Diese Modellpalette kann verwirren und wird sicher Kunden frustrieren, die aufs falsche Pferd setzen oder deren Ansprüche sich ändern.

Ein geniales Feature bieten Digitalstifte der Marke Livescribe. Bei deren Modellen Echo und WiFi ist nicht nur der Sensor im Stift integriert, sondern auch gleich ein digitales Diktiergerät für Tonaufnahmen. Während der Sensor mit 75 Bildern pro Sekunde die Schreibbewegung registriert, zeichnet das Diktiergerät etwa im Meeting den Ton mit auf und verknüpft beides. Das Ergebnis: Später reicht das Tippen mit dem Stift auf eine Stelle im Text und der Stift spielt genau die entsprechende Passage im «Tonband» ab – eine perfekte Gedächtnisstütze, wenn sich die Notizen doch als lückenhaft erweisen.

Um sich ohne externen Sensor auf der Seite zurechtzufinden, setzt Livescribe auf ein ultra­feines Punktmuster im Papier. Damit erkennt der Stift die Schreibbewegung und weiss sogar, auf welcher Seite und in welchem Block man gerade schreibt. So lassen sich Notizen auf vorherigen Seiten und beliebig später ergänzen. Das ist bei keinem anderen System möglich.

Abwarten lohnt sich

Das Spezialpapier von Livescribe gibt es als Ringbuch, Notizbuch und vieles mehr. Die Möglichkeit, es selbst auszudrucken, funktionierte im Test auf drei unterschiedlichen Druckern leider nicht. Die Folgekosten für Papier halten sich zwar in Grenzen, mögen aber dennoch abschrecken.

Während das ältere Modell «Livescribe Echo Smartpen» mit einem eigenen Softwarepaket daherkommt und sich mit der Texterkennung MyScript kombinieren lässt, setzt der neue «Livescribe WiFi Smartpen» ausschliesslich auf Evernote. Das Modell schickt die Schrift samt Tonaufnahme automatisch per W-LAN an ein persönliches Evernote-Konto. Dazu spendiert Livescribe 500 Megabyte zusätzliches Upload-Volumen. Beim Topmodell mit acht Gigabyte Speicher für theoretisch 800 Stunden Ton ist gleich die Premium-Mitgliedschaft bei Evernote für ein Jahr dabei. Dafür fehlt bislang die Möglichkeit zur Volltexterkennung mit MyScript völlig. Der Hersteller verspricht eine eigene Lösung hierfür bis Ende 2013. Abwarten lohnt sich.

Auch wenn Fans darauf schwören, sieht man die Digitalstifte in freier Wildbahn selten. Termine, To-do-Listen und Erinnerungen sind längst digital. «Mein Vorgesetzter sitzt in Belgien, ich in der Schweiz», sagt auch Angelica Fürst von EMC. «Da kommuniziert man nicht mit Post-its und Zetteln.» In einer britischen Umfrage sagten zwei Drittel der Befragten, dass sie handschriftlich fast nur Dinge für sich selbst notieren. Dafür bieten Digitalstifte einen interessanten Nutzen – vorausgesetzt, man diszipliniert seine Handschrift. Ein Drittel gab in derselben Umfrage nämlich zu, das eigene Gekrakel später selbst kaum entziffern zu können. Es schadet also nicht, auf den alten Dürrenmatt zu hören.

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