«Macht ist eine Chance»
Assistants’ Day-Keynote-Speakerin Simonetta Sommaruga spricht über weiblichen Kampfgeist, Gleichstellung, berufliche Chancengleichheit und über die Faszination von Macht.

Foto: Schweizer Bundesrat
Sie sind nicht nur Politikerin und Lobbyistin, sondern auch Pianistin. Was ist Ihr «Stück des Lebens», das Sie bis heute begleitet?
Simonetta Sommaruga: Die «32 Variationen» von Ludwig van Beethoven, weil sie an eine spezielle Erinnerung gekoppelt sind. Als 23-Jährige sollte ich dieses Stück an einer Matinee spielen. Kurz bevor ich die Bühne betrat, kam der Moderator zu mir und sagte: «Frauen können keinen Beethoven spielen.» Ich bin dann auf die Bühne und habe gespielt. Aber durch diese Konfrontation, dass man mir etwas nicht zutraut, ist ein innerer Widerstand in mir erwacht, der mich seither begleitet. Doch, ich kann das, und zwar gut. Es ist wohl so, dass jede Frau im Laufe ihres Lebens die Erfahrung macht, dass ihr etwas nicht zugetraut wird. Diese Skepsis von aussen kann Kampfgeist entfachen, kostet aber auch ziemlich viel Energie.
2022 sind Sie aus privaten Gründen aus dem Bundesrat zurückgetreten. Vermissen Sie das politische Parkett?
Ja, wobei ich vor allem die Zusammenarbeit mit Menschen vermisse, mit denen ich gemeinsam ein politisches Ziel verfolgen kann, sei das bezüglich Gleichstellung, Lohngleichheit oder Reform des Familienrechts. Das fehlt mir schon, aber mein Engagement bleibt. Zumal ich jetzt die Freiheit besitze, mich genau dort zu engagieren, wo meine Interessen liegen.
Apropos Steckenpferde: Sie haben trotz starkem politischem Gegenwind zentrale Reformen zur Förderung der Lohngleichheit und zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen vorangetrieben. Dennoch zeigt etwa der aktuelle Schillingreport: Das Ziel ist (noch) nicht erreicht. Woran liegt das?
Ein bekannter Satz lautet: «Frauen werden an ihren Leistungen gemessen, Männer an ihrem Potenzial.» Diese Denkweise hält sich hartnäckig. Hinzu kommen die strukturellen Hürden. So bedeuten Kinder für Frauen nach wie vor einen Karriereknick, für Männer dagegen kaum. Solange das so bleibt, wird es kein Gleichgewicht geben: nicht bei den Löhnen, nicht bei den beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. Hinzu kommt: Frauen tragen weiterhin einen Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit. Das wirkt sich später direkt auf die Altersarmut aus, auch diese betrifft Frauen überproportional. Und ein drittes, damit verbundenes Thema ist die Gewalt: Wir wissen, dass der gefährlichste Ort für Frauen das eigene Zuhause ist. Diese drei Ebenen – strukturelle Hürden, Denkmuster in den Köpfen und die reale Gewalt – sind eng miteinander verknüpft und bremsen nach wie vor die Gleichstellung aus.
Die gesetzliche Gleichstellung bringt aber nichts ohne gesellschaftliche Akzeptanz?
Richtig, es braucht beides. Genügend bezahlbare Kitaplätze und ein Elternurlaub, der seinen Namen verdient, müssen politisch beschlossen werden. Sie erleichtern den Alltag der Familien und verbessern die Akzeptanz der Gleichstellung in der Gesellschaft.
Als Präsidentin der Stiftung «EQUAL-SALARY» engagieren Sie sich für branchenübergreifende Fortschritte bei der Lohngleichheit. Worüber ärgern Sie sich aktuell am meisten?
Dass das geltende Recht nicht umgesetzt wird. Als Justizministerin habe ich die Revision des Gleichstellungsgesetzes vorangetrieben. Dieses verpflichtet Unternehmen, regelmässig eine Lohnanalyse durchzuführen und ihre Mitarbeitenden darüber zu informieren. Doch eine kürzlich erschienene Zwischenbilanz des Bundesamtes für Justiz zeigt ernüchternde Resultate: Über die Hälfte der befragten Firmen erfüllen das Gesetz nicht. Das ist doch ein Skandal. Dabei steht seit über 40 Jahren in der Bundesverfassung: «Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.» Mit der Stiftung «EQUAL-SALARY» setzen wir auf den freiwilligen Weg mit einem klaren Ziel. Wir zertifizieren Unternehmen, die sich aktiv für Lohntransparenz und Chancengleichheit einsetzen. Bis jetzt sind es weltweit rund 150 Firmen, über die Hälfte davon in der Schweiz, und es werden immer mehr. Denn wer heute Talente gewinnen will, muss die Arbeitsbedingungen verbessern. Das ist nicht nur gesellschaftlich relevant, sondern wirtschaftlich notwendig.
Gerade mit Blick auf das mehrheitlich weibliche Publikum am Assistants’ Day dürfte Ihre Aussage auf breite Zustimmung stossen. Sie selbst wurden während Ihrer Amtszeit als Bundesrätin von verschiedenen Assistenzen unterstützt. Wie wichtig waren diese für Sie?
Als Bundesrätin ist es üblich, dass man nach der Wahl ins Amt die bestehenden Assistenzen übernimmt, weil sie das Departement, die Abläufe und die Netzwerke kennen. Es ist äusserst hilfreich, Mitarbeitende an der Seite zu haben, die wissen, wie der Laden läuft. Deshalb hatte ich von Anfang an eine enge Zusammenarbeit mit meinen Assistenzen. Genau das fasziniert mich auch an der Assistenztätigkeit: Es ist eine Arbeit nahe an der Macht, mitunter auch mit beträchtlichem Einfluss. Gleichzeitig darf eine Assistenz das Machtgefälle nicht vergessen. Denn auch wenn man auf Augenhöhe zusammenarbeitet, bleibt die Hierarchie bestehen.
Hinzu kommt auch, dass die Chefin oder der Chef deutlich mehr verdient, wenn wir gerade nochmals auf das Thema Lohn zurückkommen ...
Richtig. Vorgesetzte sagen dann gern Sätze wie: «Meine Assistentin ist unbezahlbar.» Das klingt im ersten Moment wie ein grosses Lob. Aber man sollte aufhorchen: Wenn jemand unbezahlbar ist, dann heisst das doch, dass der Wert hoch ist, nur wird dieser nicht ausbezahlt. Für mich ist das ein Ausdruck struktureller Geringschätzung. Das Machtgefälle zeigt sich eben auch im Lohn. Niemand erwartet, dass Assistenzen gleich viel verdienen wie ihre Vorgesetzten, aber das Verhältnis sollte stimmen. Und das tut es oft nicht. Assistenzen bezahlen für ihre Nähe zur Macht ausserdem häufig noch zusätzlich einen hohen Preis mit der Anforderung der ständigen Erreichbarkeit, mit Abhängigkeit und manchmal auch mit Einsamkeit.
In Ihrer Keynote sprechen Sie über Macht. Was haben Sie persönlich darüber gelernt?
Macht ist für mich in erster Linie eine Chance, Anliegen umzusetzen, die mir wichtig sind. Dabei verstehe ich sie nicht als Selbstzweck, sondern als Instrument, um gemeinsam mit anderen etwas zu bewegen. Natürlich hat Macht auch Schattenseiten. Wer Verantwortung übernimmt, wird angreifbar, kann einsam werden. Abhängigkeiten entstehen und Machtmissbrauch ist eine reale Gefahr. Aber das sollte einen keinesfalls davon abhalten, nach Einfluss zu streben. Gerade Frauen schrecken oft vor der Macht zurück, doch wenn Frauen keine Verantwortung übernehmen, tun es andere – und das sind noch immer zu oft Männer.
Wenn Sie einer jungen Frau nur einen einzigen Rat mit auf den Weg geben könnten, welcher wäre es?
Sei dir bewusst: Je mehr Einfluss du hast, desto heftiger wird der Gegenwind – beruflich, politisch und gesellschaftlich. Damit kann man umgehen. Deshalb wäre mein Rat: «Rechne mit Gegenwind, suche dir Verbündete und mach weiter.»
Simonetta Sommaruga
Simonetta Sommaruga, ist ausgebildete Pianistin. Ihre politische Karriere begann Sommaruga 1997 als Gemeinderätin (Exekutive) von Köniz BE, danach war sie Nationalrätin und Ständerätin. Sommaruga wurde im 2010 in den Bundesrat gewählt. Als Bundespräsidentin in den Jahren 2015 und 2020 führte sie die Schweiz durch schwierige Zeiten wie die Fluchtmigration und die COVID-Pandemie. Sommaruga ist bekannt für ihr langjähriges Engagement für die Chancengleichheit. Als junge Frau arbeitete sie ehrenamtlich in einem Frauenhaus und als Vorsteherin des EJPD leitete sie gegen starken politischen Widerstand grundlegende Reformen zur Förderung der Lohngleichheit und zur Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen ein. Heute nutzt Sommaruga als Präsidentin der Stiftung EQUAL-SALARY ihre langjährige Erfahrung, um branchenübergreifende Verbesserungen bei der Lohn- und Chancengleichheit voranzutreiben.
Keynote: «Assistenzen an der Macht»
Assistenzen arbeiten oft mit Menschen, die Macht haben oder an der Macht sind. Sie haben auch Macht: durch ihr Nähe, durch ihren Einblick in die Kontakte, Termine, Beziehungen, Bedürfnisse, persönliche Lebensweise ihrer Vorgesetzten. Macht schafft Abhängigkeiten. Macht kann auch einsam machen. Deshalb sind Austausch, Kontakte unter Berufskolleginnen und -kollegen und Vertrauenspersonen in dieser Funktion zentral.
- Ort: Assistants' Day 2025, Kongresshaus Zürich, Kongresssaal
- Zeit: Mittwoch, 10. September 2025
- Tickets unter: assistantsday.ch