Peinlichkeiten meistern

So was passiert nicht nur Ihnen

Am liebsten möchte man sich ja überhaupt nicht blamieren. Nur leider geht das nicht, denn die Fallen lauern überall, mit oder ohne eigenes Zutun. Und wenn es schon geschehen muss, dann wenigstens mit Stil.

Da ist es nun passiert: Der Chef hat gerade ausführlich über ein Thema geredet, und zwar so ausführlich, dass man nicht mehr zugehört hat. Jetzt ist er fertig und blickt einen erwartungsvoll an. Es durchzuckt einen: «Oh nein, jetzt soll ich etwas dazu sagen, und ich weiss nicht, worum es geht!» Da gibt es nichts zu beschönigen, das ist eine wirklich peinliche Situation. Unwillkürlich denkt man: «Hätte ich doch nur besser aufgepasst!» Aber zu spät.

«Hätte, wäre, sollte ändert gar nichts. Passiert ist passiert», sagt Gitte Härter, Business-Coach und Autorin des Buches «Peinlich, peinlich... So blamieren Sie sich selbstbewusst». «Wenn mir etwas Blödes passiert und ich mich beim Hadern erwische, sage ich zu mir: Gitte, kannst du die Zeit zurückdrehen? Und dann antworte ich mir auch selbst: Nein, kann ich nicht.»

sie plädiert für einen entspannteren Umgang mit den kleinen und grossen Peinlichkeiten, die jedem passieren. Oberstes Credo dabei: Offensive ist besser als Defensive. Als Beispiel nennt sie eine Situation, die sie selbst erlebte: Bei einer internationalen Konferenz kippelte ein Senior-Berater während einer Präsentation mit seinem Stuhl – und fiel plötzlich nach hinten um. Alles lachte. Und was tat der Blamierte? «Er ist aufgestanden, hat sich langsam und demonstrativ die Kleidung abgeklopft und gesagt: Das kann ich zweimal hintereinander – ohne mir dabei wehzutun!» Jetzt lachte der Saal erneut, allerdings anerkennend.

Dieser Berater hat ohne Zweifel Schlagfertigkeit bewiesen. Doch die souveräne Retourkutsche liegt nicht jedem, und selbst grundsätzlich schlagfertige Menschen wissen nicht immer auf alles eine Antwort. «Manchmal hat man so seine Sternstunde, aber eigentlich lautet mein Rat: Schlagfertigkeit sollte man erst einmal vergessen», sagt Gitte Härter. Denn mit ihr ziele man hauptsächlich auf die Reaktion der anderen ab. «Es ist aber zuerst wichtiger, dass es einem selbst besser geht.» Aber wie?

Peinlich ist für jeden was anderes

Um den selbstbewussten Umgang mit – vermeintlichen oder echten – Blamagen zu erlernen, schlägt Gitte Härter vor, zunächst in verschiedene Kategorien von Peinlichem zu unterscheiden. Da gibt es die sicht- oder hörbaren Peinlichkeiten, zum Beispiel, wenn man sich beim Essen bekleckert hat oder vor anderen rülpsen muss. Es gibt die Situationen, in denen man etwas nicht weiss oder kann und sich deshalb schämt. Unbedachte Äusserungen, die andere verletzen, können sehr peinlich sein. Kalt erwischen kann es jemanden, wenn er bei einem Fehler ertappt wird, sei es ein Versäumnis oder aber eine Lästerei, bei der die geschmähte Person mitgehört hat. Und nicht zuletzt das weit verbreitete Fremdschämen, das Unwohlsein, das einen überkommt, wenn sich jemand anderes total blamiert. «Dabei findet jeder etwas, von dem er sagt: Ja, so was ist anderen peinlich, aber mir macht das nichts aus», sagt Gitte Härter. Das ist schon einmal befreiend.

Dann gibt es verschiedene Strategien, um mit dem Passierten umzugehen. Vieles, was wir reflexartig tun, kann kontraproduktiv sein. Eine schlechte Idee sind Ausreden und Rechtfertigungen. Mit ihnen reitet man sich schlimmstenfalls immer weiter in die Peinlichkeit hinein. Eine gute Idee ist ein ehrlicher Umgang mit der Schwäche. Am Eingangsbeispiel mit der Unaufmerksamkeit illustriert: Eine gute Reaktion wäre zum Beispiel: «Bitte entschuldigen Sie, ich bin gedanklich abgeschweift. Bis zu dem Punkt xy bin ich noch mitgekommen, könnten Sie den Rest noch einmal wiederholen?»

Schnell abhaken

Offensiv agieren bedeutet aber nicht, das Problem, das man ohnehin am liebsten vergessen machen möchte, weitschweifend auszuschmücken. «Oh nein, sehen Sie nur, wie peinlich ich mich benommen habe! Das kann auch nur mir passieren …» Minutenlange Ausführungen der eigenen Unzulänglichkeit helfen keinem weiter. In den meisten Fällen, vor allem bei Lappalien, würde auch das Gegenüber lieber darüber hinweggehen. Warum also nicht genau das tun – über Lappalien einfach hinweggehen? Und auch über mittelschwere Katastrophen muss man nicht länger reden als nötig. Ein Fremdwort falsch benutzt, ein dummer Spruch rausgerutscht, eine Zweideutigkeit vom Stapel gelassen, die nicht ankommt? Hier lautet Gitte Härters Rat «die Kurve kriegen»: «Klar, ich meinte natürlich ‹Koryphäe› und nicht ‹Konifere›. Aber weiter im Text …» Und abgehakt.

Unter den Peinlichkeitsfallen gibt es tatsächlich aber auch solche, die man vermeiden kann. Wenn man etwa bei einem Arbeitsgang schon wieder die Kollegin um Hilfe fragen muss, obwohl man es schon längst können müsste. «Da hilft es, das neu Erlernte kurz darauf so oft wie möglich zu wiederholen, damit man es behält.» Und wenn man schon fragen muss, sollte man klug und interessiert fragen, zum Beispiel: «Bis hierhin komme ich noch, das habe ich verstanden, aber den nächsten Zwischenschritt weiss ich nicht mehr.»

Ruhig bleiben

Oder Stichwort Lästern: «Man kann sich vornehmen, wenn man über jemanden redet, es nur so zu formulieren, dass er oder sie es jederzeit mithören könnte. Dann kann man immer noch wütend und sogar unsachlich sein, aber die Wortwahl fällt anders aus.» Und die Lästerfalle hat noch eine andere Dimension: «Am meisten Angst vor eigenen Peinlichkeiten haben Menschen, die selbst die harschesten Verurteiler sind», hat Gitte Härter beobachtet. Deshalb rät sie: «Hören Sie sich selbst zu. Fragen Sie sich, ob Sie mit Ihrem eigenen Verhalten einverstanden sind. Ausserdem kommt auch bei anderen an: Wer austeilt, muss auch einstecken.» Hier bestimmt das Sein das Bewusstsein: Wer sich selbst zurückhält mit Bewertungen anderer, wird auch nach und nach weniger Furcht vor dem Bewertetwerden haben – und weniger Anlass dazu geben.

Und dann gibt es noch die Art von Situationen, in denen ein anderer die Peinlichkeit verursacht. In solchen Momenten fühlen sich die meisten besonders verletzlich, weil die Kontrolle vermeintlich der andere hat. Klassisches Beispiel: Ein Kollege oder der Partner blafft einen vor versammelter Mannschaft an. «Hier sollte man sich vergegenwärtigen, dass das unfreiwillige Publikum es schlimm findet, wenn jemand öffentlich abgekanzelt wird. Der Schreihals stellt in erster Linie sich selbst bloss», betont Gitte Härter. Eine souveräne Reaktion sei es hier, zurückhaltend zu reagieren. «Ideal wäre es, in ruhigem Ton zu sagen: ‹Ok, da ist wohl ein Fehler passiert. Reden wir drüber, aber in einem anderen Ton und unter vier Augen.› Wenn das aber nicht geht, weil man wie das Kaninchen vor der Schlange dasitzt, hilft es, auf ‹Hören› umzuschalten.» Denn wer schreit, ist gerade selbst emotional. Da hilft es zuzuhören, die eigene Mimik unter Kontrolle zu halten, steuernd nachzufragen, Informationen einzuholen. «Wenn man selbst ruhig ist, wird auch der andere ruhiger.»

Ruhiger werden, Selbstbewusstsein aufbauen – das ist leicht gesagt. Mit Selbststeuerung kann es aber gelingen – und zwar Schritt für Schritt. Gitte Härter betont: «Es ist nicht so, dass, wenn man das alles weiss, ein Schalter im Kopf umgelegt wird. Es ist eine Entwicklung.» Ausserdem wird man es nie schaffen, dass einem gänzlich nichts mehr etwas ausmacht. Das ist auch alles andere als wünschenswert: «Wenn einem nichts peinlich ist, ist man nicht sensibel, nicht einfühlsam, man hinterfragt sich selbst nicht. Wenn einem Gefühle anderer egal wären oder man sie nicht wahrnehmen würde, wäre man ja ein Psychopath.»

Peinliche Situationen retten

Souveräne Reaktion

  • Den Stier bei den Hörnern packen: Etwas zugeben, klug fragen, sich entschuldigen
  • Darüber hinweggehen: So tun, als ob nichts wäre, sich der Situation entziehen, sich kurz bedanken
  • Die Kurve kriegen: Souverän kommentieren, korrigieren, elegant retten
  • Es mit Humor nehmen: Eine Pointe setzen, Mitlachen, Selbstironie

Unsouveräne Reaktion

  • Abwiegeln: Rechtfertigungen, Ausflüchte, Lügen, Gegenangriff
  • Das Spotlight darauf richten: Aufbauschen, verräterische Signale, Schämen
  • Sich weiter reinreiten: Auf einer Sache beharren, etwas ausdiskutieren wollen, verunglückte Schadensbegrenzung
  • Beleidigte Leberwurst: Schmollen, «Dann eben nicht!», Manipulationsversuche

Quelle: Das Buch «Peinlich, peinlich... So blamieren Sie sich selbstbewusst» (Gabal Verlag 2013, 29.90 CHF) von Gitte Härter. Es enthält einen Selbsttest, eine Anleitung zum Kluge-Frage‑ Stellen und viele Beispiele für souveräne und unsouveräne Reaktionen in peinlichen Situationen.

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