premium Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern

(Un)Gleichstellungen in den Sozialversicherungen

In Artikel 8 der Bundesverfassung steht zwar, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich und Mann und Frau gleichberechtigt sind. Doch bei den Sozialversicherungen trifft das immer noch nicht zu.

Geht es um Gleichstellung, dann meist um jene zwischen Mann und Frau. Doch Gleichstellung sollte nicht nur bei den Geschlechtern bestehen. Wie sieht die Gleichbehandlung aus zwischen verheirateten und nicht ­verheirateten Paaren, oder zwischen Vollzeit­erwerbstätigen und Teilzeiterwerbstätigen?

Ungleichheiten in der AHV

Nach geltender Rechtslage unterscheidet sich das ordentliche Rentenalter von Frau und Mann. Bekanntlich wird durch die Annahme der AHV-Reform unter anderem das ordentliche Rentenalter für Frauen schrittweise an jenes der Männer angepasst. So gilt nach 2028 für beide Geschlechter das Rentenalter 65.

Im Leistungsbereich hingegen existiert bei der Regelung zu Hinterlassenenleistungen noch immer eine Besserstellung der Witwe. Hat diese bei der Verwitwung keine renten­berechtigten Kinder, jedoch das 45. Altersjahr und eine mindestens fünfjährige Ehedauer hinter sich, hat sie Anspruch auf eine Witwenrente. Ein kinderloser Witwer hingegen kann keinerlei Rentenanspruch geltend machen. Immerhin wurde die zuvor in der Schweiz sehr strenge Regelung für Witwer mit Kindern im Oktober 2022 aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte etwas entschärft.

Ungleichheit gibt es auch bei Konkubinatspaaren. Wie in einem früheren Fach­beitrag erwähnt (s. Miss Moneypenny Ausgabe 2/2023), sind diese bezüglich Hinterlassenenleistungen vollständig ausgenommen. Eine Regelung, die diese Ungleichstellung von Konkubinatspaaren gegenüber verheirateten Paaren aufhebt, ist nicht in Sicht.

Und dann existiert noch die «AHV-Heiratsstrafe»: Ein Ehepaar, das ordentlich in Pension geht, kann gemeinsam maximal 150 Prozent des Höchstbetrags der AHV-Altersrente beziehen; in Zahlen aktuell 3675 Franken pro Monat. Hingegen unterliegt ein pensioniertes, nicht verheiratetes Paar dieser Plafonierung nicht. Das bedeutet, dass jeder Konkubinatspartner aktuell maximal 2450 Franken an monatlicher AHV-Altersrente beziehen kann.

Ungleichheiten in der Pensionskasse

Ein grosses Problem bezüglich Ungleichstellung besteht auch bei der Pensionskasse. Der Auf- und Ausbau der eigenen Vorsorge hängt vom Erwerbseinkommen ab. Hier geht es aber nicht per se um eine Ungleichstellung zwischen Frau und Mann; Teilzeiterwerbstätige und Personen mit sehr tiefen Löhnen sind je nach Einkommen nicht, oder falls doch, nur zu sehr geringen Leistungen in der Pensionskasse versichert. Ebenso bilden sie dementsprechend entweder keine oder nur geringe Sparbeiträge für ihre Altersvorsorge. Was die seit einiger Zeit im Raum stehende BVG-Revision letztlich verbessern wird, ist noch nicht druckreif.

Eine Ungleichstellung von Verheirateten und nicht Verheirateten liegt ebenfalls vor. Bei Verheirateten hat der hinterbliebene Ehepartner im Falle des Todes des anderen einen entsprechenden gesetzlichen Anspruch auf eine Hinterlassenenrente, mindestens aber auf eine Abfindung. In einem Konkubinat exis­tiert ein solcher gesetzlicher Anspruch nicht. Immerhin haben es viele Pensionskassen reglementarisch festgehalten, dass im Falle eines Konkubinats und des Todes des einen Partners der andere entsprechende Ansprüche geltend machen kann. Aber aufgepasst: Ein solcher Anspruch besteht nur dann, wenn zu Lebzeiten das Konkubinat bei der Pensionskasse schriftlich angezeigt wurde. Zudem muss das Konkubinat in einem solchen Fall unter anderem mindestens seit fünf Jahren bestehen. Ohne vorgängige Anzeige des Konkubinats bei der Pensionskasse ergeben sich keine Ansprüche auf Hinterlassenenleis­tungen, auch wenn es faktisch mehr als fünf Jahre bestanden hatte. Nicht vergessen werden darf, dass es sich um reglementarische Bestimmungen handelt: Die Pensionskasse kann also vorsehen, dass der überlebende Konkubinatspartner eine einmalige Kapitalzahlung anstelle einer Lebenspartnerrente erhält. 

Zudem existieren bei gewissen Pensionskassen zusätzliche Bedingungen für Konkubinatspaare. Ein reales Praxisbeispiel: Der überlebende Partner hat nur Anspruch auf Hinterlassenenleistungen, wenn das Konkubinat zuvor ordnungsgemäss gemeldet wurde, es fünf Jahre Bestand hatte und der überlebende Partner zum Zeitpunkt des Todes das 45. Altersjahr vollendet hat. Mit anderen Worten: Auch wenn das Konkubinat schriftlich hinterlegt wurde und mehr als fünf Jahre bestanden hatte, erhält der überlebende 40-jährige Konkubinatspartner aufgrund eines solchen reglementarischen Passus keine Leistungen. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail.

Ungleichheiten in der Unfallversicherung

Dass Hinterlassene nach unserem Sprachgebrauch nicht gleichzeitig auch Anspruchsberechtigte im sozialversicherungsrechtlichen Kontext sind, sollte mittlerweile klar sein. Diese Unterscheidung ist auch in der Unfallversicherung und dort im Besonderen bei den Hinterlassenenleistungen erkennbar. Eine Witwe erhält eine Rente, wenn der Ehepartner nach UVG versichert war und aufgrund eines Unfalls verstirbt. Erfüllt die Witwe die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht, wird ihr eine einmalige Witwenabfindung ausbezahlt. Im umgekehrten Fall erhält der Witwer zwar auch eine Rente, diese Regelung ist aber enger gefasst als jene zur Witwenrente. Erfüllt der Witwer hingegen die Voraussetzungen für eine Rente nicht, so wird ihm keine einmalige Witwerabfindung zuteil, da der Gesetzgeber eine solche Leistung nicht vorsieht.

Wie sieht es mit dem Konkubinat aus? Genau gleich wie bei der AHV: Stirbt der nach UVG versicherte Konkubinatspartner, geht der überlebende Partner aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht leer aus. Zudem ist eine Begünstigung des Konkubinatspartners wie besispielsweise bei der Pensionskasse nicht möglich.

Und nun? (K)ein Blick in die Kristallkugel…

Der Wandel der gesellschaftlichen und familiären Verhältnisse schreit förmlich nach weiteren Anpassungen des Vorsorgesystems. Wenn aber der Blick zurück uns etwas gelehrt hat, dann dass der politische Prozess schon immer sehr hemmend auf eine zielgerichtete und auch zeitgemässe Weiterentwicklung unserer Sozialversicherungssysteme einwirkte. Es liegt auf der Hand, dass durch solche Änderungen im System nicht alle Ungleichstellungen auf einmal behoben werden können. Die Eigenverantwortung in der Vorsorge ist und bleibt aktuell, egal in welcher familiären Konstellation man sich gerade befindet. Dabei muss man sich aber immer vor Augen halten: Selbstvorsorge gibt es nicht zum Nulltarif – oder wie Milton Friedman einst gesagt haben soll: «There’s no such thing as a free lunch.»

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Marco Riedi ist Sozialversicherungsfachmann und Ausbilder mit eidg. Fachausweis, ­Dozent für Sozialversicherungsrecht an diversen Weiterbildungsinstitutionen sowie Gründer und Geschäftsführer der Bedra GmbH in Chur. bedra.ch

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