premium VA oder VPA

Virtual (Personal) Assistants: Wer sie sind, was sie tun

In den USA und bei den europäischen Nachbarn gibt es sie schon lange: die Virtual (Personal) Assistants. Jetzt erreicht das Businessmodell auch die Schweiz. Doch was genau tun Fernassistenzen? Und lohnt es sich auch hierzulande, in diesen Beruf einzusteigen?

Tim Ferriss musste dringend etwas ändern. Der amerikanische Unternehmer und Workaholic hatte jede Woche 80 Stunden gearbeitet, bis er irgendwann kollabiert war. Er wusste: So konnte es nicht weitergehen. Ferriss’ Burnout geschah zu der Zeit, als in den USA gerade das Outsourcing in Länder wie Indien Mode war, vor etwa 20 Jahren also. Mit dem Auslagern von teilweise ganzen Geschäftseinheiten sparten die Firmen viel Zeit und Geld. Ferriss dachte: Warum nicht das, was im Businessumfeld funktionierte, auch auf seine privaten Zeitfresser anwenden?

Also beschloss der gestresste Geschäftsmann, sich sein Leben zurückzuholen, indem er es auslagerte. Er wandte sich an GetFriday, einen indischen Anbieter von Virtual-Assistant-Services. Die Agentur teilte ihm mehrere persönliche Fernassistenten zu, die ihm von Recherchen für sein Geschäft bis zum Ausfindigmachen und Buchen von Salsakursen alles abnahmen – zu seiner vollsten Zufriedenheit und für nur vier bis zehn Dollar die Stunde. Ferriss nutzte derweil die freie Zeit, um in der Welt herumzutingeln, Abenteuer zu erleben und seinen Bestseller «Die 4-Stunden-Woche» zu schreiben.

Indem er in seinem Buch von den Vorzügen der VPAs schwärmte, löste Ferriss einen weltweiten Boom der bis dahin eher unbekannten Virtual-Assistants-Branche aus: GetFriday konnte sich vor Anfragen kaum retten und nachdem das Buch 2008 auch in deutscher Sprache erschienen war, begannen in Deutschland die ersten Start-ups wie strandschicht.de, virtuelle Assistenz mit Heimarbeitskräften in Polen oder Bulgarien anzubieten. Heute gehen Schätzungen von bis zu 25’000 virtuellen Assistentinnen und Assistenten auf der ganzen Welt aus, die ihre Services entweder als Freelancer oder über Agenturen anbieten.

Die Palette der Leistungen ist breit. Virtual Assistants (VAs) und Virtual Personal Assistants (VPAs) übernehmen alles, was per Computer, Telefon und Internetverbindung erledigt werden kann und wofür es keine Vor-Ort-Präsenz braucht – von geschäftlichen Tasks bis zu Aufgaben im privaten Bereich, von repetitiven Routinearbeiten bis zu spezialisierten Services, für die Fachwissen nötig ist.

Typische virtuelle Assistenzservices sind:

– Meetings vereinbaren, Termine verwalten

– Sich um Korrespondenz kümmern

– Präsentationen erstellen

– Schreiben, übersetzen, Korrektur lesen

– Audiofiles transkribieren

– Telefondienst übernehmen

– Rechnungen stellen, Buchhaltung betreuen

– Social-Media-Kanäle bespielen

– Events organisieren

– Geschäftsreisen, private Ferien oder den Coiffeurbesuch planen

Die Liste ist nicht abschliessend und auch der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt; so lasen virtuelle Assistenten von GetFriday einem Zweijährigen auf der anderen Seite der Welt Gutenachtgeschichten vor. Das Kind soll problemlos eingeschlafen sein. Vorteile für die Auftraggeber gibt es viele: Indem sie solche Aufgaben an externe Dienstleister auslagern, haben sie mehr Zeit für ihre Kernaufgaben. Dadurch, dass die Freelancer und Freelancerinnen auf Stundenbasis arbeiten, kosten sie die Kunden nur dann etwas, wenn tatsächlich Arbeit anfällt. So werden Fixkosten gesenkt, weil Firmen keine eigenen Leute beschäftigen und bezahlen müssen. Das hilft vor allem Start-ups, da diese sich typischerweise keine festangestellten Assistenzen leisten können.

 

«Die VA-Branche in der Schweiz ist noch relativ klein», sagen Stephan Gasser und Sabrina Stöckli von der Salvas GmbH.

 

Kein Businessmodell für nebenher

Doch bis die virtuelle Assistenz die Schweiz erreichte, sollte es bis zur Pandemie dauern. Erst durch das Lockdown-bedingte Homeoffice wurde die digitale Zusammenarbeit zum «new normal» und nicht mehr misstrauisch beäugt. Das ebnete auch hierzulande den Weg für solche Assistenzservices. «Die Auftraggeber sind offener geworden», bestätigt Sandra Jörimann, Virtual Assistant seit 2018 und Gründerin des Branchen-Netzwerks Virtuelle Assistenz Schweiz. «Sie haben gemerkt, dass eine Zusammenarbeit möglich ist, obwohl man einander nur über Zoom kennt.» Jörimann hatte vor ihrer Selbstständigkeit sechs Jahre lang als Assistentin an der ETH Zürich gearbeitet. Heute bietet sie akademische Lektorate und Transkriptionen aus dem Schweizerdeutschen für den inländischen Markt an. «Am Anfang war ich breiter aufgestellt und sprach auch Kundschaft in Deutschland an.» Doch sie musste merken: «Das ging preislich nicht auf.» Denn die ausländische Konkurrenz ist gross und um einiges günstiger. So bietet beispielsweise eine georgische Agentur virtuelle Assistenz für 3.50 Euro die Stunde an, mit Leuten, die fliessend Deutsch sprechen, aber mit einem Lohn von nicht einmal 400 Euro monatlich in ihren Heimatländern auskommen. Deshalb sei es der richtige Schritt gewesen, sich zu spezialisieren und auf Schweizer Kunden zu fokussieren, sagt Sandra Jörimann.

 

«Nur diejenigen, die wirklich gut sind, werden sich durchsetzen können», sagt Jill Oppliger.

 

Aber nicht nur im Ausland gibt es Konkurrenz, auch hier wächst allmählich das Angebot. «Zum Glück», sagt Jill Oppliger, ehemalige Direktionsassistentin und seit etwa vier Jahren mit ihrer Firma Mermonta GmbH als Virtual Executive Assistant selbstständig. «Endlich entsteht ein Markt.» Doch sie kritisiert auch: «Es gibt viele, die das nur nebenher machen; entweder, um ihr Haupteinkommen aufzubessern oder um eine Arbeitslosigkeit zu überbrücken.» Das drücke auf die Preise, aber auch auf die Qualität der Dienstleistungen, was sich wiederum auf die professionellen Virtual Assistants auswirke. «Wir müssen dann bei den Auftraggebern Vertrauen aufbauen und erklären, warum wir teurer sind.» Deshalb bietet Oppliger zusammen mit dem KV Zürich ein Webinar zum Thema virtuelle Assistenz an. Darin erklärt sie Auftraggebern und künftigen VAs gleichermassen, was von einem Profi auf diesem Gebiet zu erwarten ist. Sie glaubt, dass sich mit der Zeit die Spreu vom Weizen trennen werde: «Nur diejenigen, die wirklich gut sind, werden sich durchsetzen können», sagt Oppliger.

Stephan Gasser sieht es ähnlich: «Mir scheint, viele machen das nebenbei, vor allem im Schweizer Markt.» Der Luzerner hat letzten Sommer zusammen mit seiner Kollegin Sabrina Stöckli die Salvas GmbH gegründet. Die Agentur bietet virtuelle Assistenz in den Bereichen HR und Marketing & Sales und ist auf Schweizer Start-ups und KMU spezialisiert. Vor der Firmengründung haben Gasser und Stöckli den Markt gründlich recherchiert. Sie stellten fest: «Die VA-Branche in der Schweiz ist noch relativ klein.» Für professionelle Anbieter gibt es daher viel Potenzial. «Wir haben auch gemerkt, dass die hiesigen Kunden qualitativ gute Arbeit schätzen. Ihnen sind Kenntnisse im Schweizer Arbeitsmarkt oder Branchenwissen wichtiger als ein tiefer Preis.» Deshalb macht sich Gasser auch keine Sorgen wegen der ausländischen Konkurrenz: «Klar, in Deutschland gibt es Leute, die für 20 Franken die Stunde oder weniger arbeiten. Aber unserer Erfahrung nach sind solche Angebote nicht nachhaltig», sagt der Jungunternehmer.

Doch der Schweizer Markt steckt noch immer tief in den Kinderschuhen. Um künftigen VAs ihre ersten Schritte zu erleichtern, hat Sandra Jörimann deshalb das Netzwerk Virtuelle Assistenz Schweiz gegründet. «Die meisten Informationen zum Thema kommen aus Deutschland; es gibt Blogposts, Tutorials, auch spezialisierte VA-Coaches. Aber als ich anfing, gab es nichts für den Schweizer Markt. Ich musste die Informationen mühsam auf die Regeln und Gegebenheiten hierzulande anpassen», erzählt sie. Um anderen diesen Aufwand zu ersparen, schreibt sie nun selbst Artikel zum Thema und sorgt dafür, dass Interessierte sich zu einer Community zusammenschliessen können.

Man spürt: Zwar hat es lange gedauert, bis das Geschäftsmodell Virtuelle Assistenz die Schweiz erreicht hat. Aber dank findigen Unternehmerinnen und Unternehmern wie Sandra Jörimann, Stephan Gasser oder Jill Oppliger nimmt das Business auch hier langsam, aber sicher Fahrt auf.

Arbeiten als VA: Die Sonnen- und die Schattenseiten des Geschäfts

Ob Grossunternehmen, Start-ups, KMU oder Leute wie Tim Ferriss – dass die Auftraggeber von virtuellen Assistenzen profitieren, liegt auf der Hand. Doch wie steht es mit den VAs und VPAs selbst? Haben auch sie nur Vorteile? Oder hat der Beruf auch seine Schattenseiten? Wir haben die wichtigsten Punkte für Sie zusammengetragen.

Wichtig zu wissen ist: Wer in der Schweiz als VA oder VPA arbeitet, ist meist selbstständig erwerbend. Damit gehen die gleichen Herausforderungen und Verpflichtungen einher, wie sie Selbstständige aus anderen Branchen haben. Auf der anderen Seite hat man natürlich auch die gleichen Freuden und Freiheiten. Wer in dieses Geschäft einsteigen möchte, kann also nicht einfach VA oder VPA auf seine Visitenkarte schreiben, sich den Laptop unter die Achsel klemmen und nach Hawaii fliegen, um vom Strandkorb aus seine Kunden zu bedienen. Bevor man loslegt, sollte man sich die Rechtsform seiner Selbstständigkeit überlegen und sich bei den Steuerbehörden und Sozialversicherungen melden. Doch zum Glück gibt es in der Schweiz Organisationen, die einem dabei unter die Arme greifen, wie das Institut für Jungunternehmer IFJ.

Auch wenn ihm die ganze Bürokratie keinen Spass macht – Stephan Gasser, Virtual Assistant für Marketing & Sales und Co-Founder der Salvas GmbH, findet: «Auf einer Zufriedenheitsskala von 1 bis 10 bin ich bei einer 9.»

Die Sonnenseiten

Flexibilität.
«Ich habe den Beruf gewählt, weil ich flexibler und ortsunabhängiger sein wollte», sagt Sandra Jörimann, VA und Gründerin des Netzwerks Virtuelle Assistenz Schweiz. Während sie das erzählt, sitzt sie gerade in Portugal. «Allerdings habe ich festgestellt, dass ich trotzdem nicht jeden Tag an einem anderen Ort sein kann. Ich brauche Routine und Struktur, besonders wenn ich arbeite.» Trotzdem: Wenn sie wollte, könnte sie schon morgen von den Bahamas aus arbeiten. Oder einfach einen Tag frei nehmen. Ohne einen Chef zu fragen.

Abwechslung.
Wer für einen fixen Arbeitgeber arbeitet, kennt diesen mit der Zeit in- und auswendig. Als VA hingegen hat man verschiedene Kunden, Abwechslung ist ein natürlicher Teil des Geschäfts. Stephan Gasser bestätigt: «Genau das macht es spannend. In einer Festanstellung wäre es mir zu monoton.» So ist Sandra Jörimann gerade dabei, Interviews für diverse Dokumentarfilme zu transkribieren. Sie findet: «Durch die unterschiedlichen Aufträge erhalte ich Einblick in Bereiche und Themen, den ich sonst nicht hätte.»

Man lernt viel.
«Bei jedem Kunden lernt man dazu», sagt Stephan Gasser – ob man mit neuen IT-Systemen vertraut werden oder sich branchenspezifisches Know-how erwerben muss. Auch wenn es auf den ersten Blick aufwendig erscheint: Man profitiert, weil man sich mit der Zeit ein immenses Wissen aneignet. Auch für die Kunden lohnt es sich, denn die VAs bringen eine breite Aussenperspektive ein.

Unabhängigkeit.
Die meisten VAs arbeiten für mehrere Auftraggeber. So sind sie auch nicht von einem einzigen Unternehmen abhängig. «Risikodiversifikation» nennt sich das in der Betriebswirtschaftslehre. Sie können nicht entlassen werden, wie zum Beispiel bei einem fixen Arbeitgeber bei einer Restrukturierung – und wenn ihnen trotzdem mal ein Kunde abhandenkommt, haben sie genügend andere, um den Verlust abzufedern.

Die Schattenseiten

Geld.
«Man hat nicht jeden Monat das gleiche Einkommen. Mal ist es mehr, mal weniger», erzählt Sandra Jörimann. Ausserdem: Bei der Kundenakquise verhandelt man immer den Preis. Man sollte daher seinen Wert kennen. Sie argumentiert: «Auf den ersten Blick scheint mein Stundensatz im Vergleich zu einer festangestellten Assistentin höher», sagt sie. «Aber die Kunden bezahlen mich ja auch nur dann, wenn Arbeit anfällt. Unter dem Strich sparen sie.» Sie ergänzt: «Zudem bezahle ich alles selbst: Sozialversicherungen, Ferientage, Krankheitstage. Ich trage das ganze Risiko.» Das müsse man den Kunden bei der Preisverhandlung vielfach erklären.

Kundenakquise.
«Es wäre schön, wenn die Leute einfach bei uns anklopfen würden», sagt Stephan Gasser. «Website online stellen, sagen, was man tut, und schon brummt das Geschäft. Aber so funktioniert es leider nicht.» Es brauche eine gewisse Aufbauzeit und Durchhaltevermögen, weiss der Geschäftsgründer. Eine gute Strategie, um auf sich aufmerksam zu machen, ist, sich auf Social Media zu zeigen und das eigene Netzwerk zu aktivieren. Auch Jobplattformen für Freelancer können helfen. Der Verein Digitale Nomaden Schweiz empfiehlt unter anderem upwork.com, freelancer-schweiz.ch, freelancer.com oder auch fiverr.com.

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Jelena Martinelli ist selbstständige Texterin bei martinellitext. Sie schreibt leidenschaftlich gerne Blogs und Publireportagen und auch sonst alles, was mit Online-Marketing zu tun hat.

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