Recht

Von acht bis Mitternacht

Arbeitnehmer sind verpflichtet, Überstunden zu leisten – wenn es notwendig und zumutbar ist. Arbeitgeber sind hingegen verpflichtet, diese Mehrarbeit zu entschädigen – mit Zeit oder Geld. Oft ist das nicht der Fall. Das Thema Überstunden und Überzeit ist darum einer der Dauerbrenner im Arbeitsrecht. 

Grundsätzlich muss der Arbeitgeber den Betrieb so organisieren, dass die anfallende Arbeit innerhalb der mit dem Mitarbeiter vereinbarten Arbeitszeit erledigt werden kann. Nicht immer ist das jedoch möglich. Dabei sind drei Begriffe voneinander zu unterscheiden: die vertraglich vereinbarte (Normal-)Arbeitszeit, die darüber hinaus geleisteten Überstunden und, sofern letztere eine bestimmte Grenze überschreiten, die gesetzlich geregelte Überzeit.

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die in seinem Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitszeit zu leisten. Darüber hinaus sind Arbeitnehmer gemäss Art. 321c OR verpflichtet, Überstunden zu leisten, sofern dies betriebsnotwendig und zumutbar ist. Als notwendig gelten Überstunden aber nur dann, wenn sie nicht durch eine bessere Organisation oder die Einstellung von mehr Personal vermieden werden können. Die Grenze der Zumutbarkeit bilden die öffentlich-rechtlichen Arbeitszeit- und Gesundheitsvorschriften, und das Gericht macht für den Einzelfall auch eine Interessenabwägung zwischen den Bedürfnissen des Arbeitgebers und den persönlichen Verhältnissen des einzelnen Arbeitnehmers. Kaum zumutbar dürften zum Beispiel Überstunden für die alleinerziehende Mutter sein, die ihr Kind im Hort abholen muss, bevor dieser schliesst. 

Zuschlag von 25 Prozent

Als Überstunden gilt jene Arbeitszeit, die über das vertraglich vereinbarte Pensum hinaus geleistet wird, jedoch noch unter der in Art. 9 des Arbeitsgesetzes (ArG) geregelten Höchstarbeitszeit von 50 Stunden, wobei eine tiefere Grenze von 45 Stunden für Arbeitnehmer in industriellen Betrieben sowie für Büropersonal, technische und andere Angestellte, mit Einschluss des Verkaufspersonals in Gross-betrieben des Detailhandels, gilt. Die Stunden, die über diese Höchstarbeitszeit hinaus geleis-tet werden, fallen unter den Begriff Überzeit. Ist im Vertrag eines kaufmännischen Angestellten zum Beispiel eine 40-Stunden-Woche vorgesehen und arbeitet er schliesslich einige Wochen lang 47 Stunden, um eine wichtige Arbeit abzuschliessen, so gelten fünf Stunden als Überstunden und zwei Stunden als Überzeit.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die geleistete Mehrzeit entschädigt wird. Die Überstunden kann der Arbeitgeber mit dem Einverständnis des Arbeitnehmers innert eines angemessenen Zeitraums durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer ausgleichen. Werden die Überstunden nicht durch Freizeit ausgeglichen und ist nichts anderes vereinbart worden, so hat der Arbeitgeber die Stunden mit einem Zuschlag von 25 Prozent finanziell abzugelten.

Erwähnung im Reglement reicht nicht

Das OR lässt den Parteien in Bezug auf Überstunden die Möglichkeit offen, vorab durch schriftliche Vereinbarung auf die Bezahlung der Überstunden und des Zuschlags zu verzichten. Es empfiehlt sich, eine solche Vereinbarung im Arbeitsvertrag explizit aufzunehmen und nicht nur in einem Reglement zu regeln. Der blosse Hinweis auf ein zum Vertrag gehörendes Reglement, ohne besondere Erwähnung dieser Klausel, genügt üblicherweise nicht.

Nicht vertraglich wegbedungen werden kann die Entschädigung für geleistete Überzeit. Diese ist wie die Überstunden mit Einverständnis des Arbeitnehmers durch Freizeit von mindes-tens gleicher Dauer auszugleichen oder finanziell zu entschädigen. Bei der finanziellen Abgeltung ist für Arbeitnehmer, für die gemäss Arbeitsgesetz eine reduzierte Höchstarbeitszeit von 45 Stunden gilt, erst ab der 61. Stunde ein Zuschlag von 25 Prozent geschuldet. Arbeitnehmer mit einer Höchstarbeitszeit von 50 Stunden erhalten den Zuschlag bereits ab der ersten geleisteten Stunde Überzeit.

Weit verbreitet ist die Meinung, für Kadermitarbeiter würden die Bestimmungen in Bezug auf Überstunden und Überzeit nicht gelten. Das Arbeitsgesetz schliesst zwar in Art. 3 lit. d sogenannte «leitende Angestellte» vom Geltungsbereich aus, in Art. 9 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz wird jedoch genauer definiert, was unter einer leitenden Tätigkeit zu verstehen ist: Nicht die Funktionsbezeichnung ist massgebend, sondern die eigentliche Tätigkeit eines Mitarbeiters bzw. seine Entscheidungsbefugnis in wesentlichen Angelegenheiten und seine Möglichkeit, die Unternehmenspolitik direkt mitzubestimmen.

Zu beachten ist, dass dieser automatische Wegfall bei diesen Kadermitarbeitern nur für die Überzeit gilt. Die Überstundenentschädigung fällt nicht automatisch auch weg, sondern bedarf ebenfalls der ausdrücklichen vertraglichen Wegbedingung. 

Indirekte Anordnung zählt auch

Heute sind viele Arbeitnehmer in einem flexiblen Arbeitszeitmodell angestellt, was die Abgrenzung von (Normal-)Arbeitszeit, Überstundenarbeit und Überzeit erschwert. Dadurch, dass der Mitarbeiter seine Arbeit mehr oder weniger frei einteilen kann, muss eine allfällige Mehrarbeitszeit nicht zwingend auch Überstunden oder Überzeit bedeuten. Oft handelt es sich nur um einen Gleitzeitüberhang, der durch den Arbeitnehmer bei nächster Gelegenheit wieder abgebaut werden kann. Ist der Mitarbeiter jedoch nicht mehr frei, seine Arbeitszeit einzuteilen, entstehen Überstunden oder Überzeit. Auch hier gilt, dass die Überstunden betrieblich notwendig und zumutbar sein müssen. Für Überzeit gelten die noch strengeren Bestimmungen von Art. 12 ArG.

Eine direkte Anordnung von Überstunden oder Überzeit muss indessen nicht zwingend erfolgen. Auch eine indirekte Anordnung, beispielsweise durch permanente Überlastung des Arbeitnehmers wegen Unterbesetzung, führt zu Überstunden oder Überzeit und kann nicht als Gleitzeit gelten.

Beweislast beim Arbeitnehmer

Sind sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber uneinig, ob und wie viel Mehrzeit geleistet worden ist, trägt gemäss allgemeiner Beweisregel nach Art. 8 ZGB der Arbeitnehmer grundsätzlich die Beweislast, da er eine Forderung gegen den Arbeitgeber stellt. Er hat den Nachweis zu erbringen, dass er die behauptete Mehrarbeit geleistet hat und dass es sich dabei um notwendige und im Interesse seines Arbeitgebers erbrachte Überstunden bzw. Überzeit handelt.

Empfehlenswert wäre, dass der Arbeitnehmer seinen Vorgesetzten, sofern diese Stunden nicht ohnehin ausdrücklich angeordnet wurden, über diesen Umstand regelmässig informiert, damit dieser entsprechend reagieren kann. Will der Arbeitnehmer seine Ansprüche einfordern, muss er die fünfjährige Verjährungsfrist nach Art. 128 Ziff. 3 OR beachten. Um unliebsame Überraschungen auf beiden Seiten zu vermeiden, empfiehlt es sich deshalb, bereits bei Vertragsschluss dieses Thema genau zu regeln. 

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Esther Geisser ist Juristin und hat viele Jahre als Personalchefin gearbeitet. Sie unterrichtet Arbeits- und Wirtschaftsrecht in der Erwachsenenbildung. 

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