Korrespondenz

Wie kommen wir zu ­leserfreundlichen Texten?

Schreiben ist ein Handwerk, das Übung braucht. Stimmt. Hinter schlecht lesbaren Dokumenten steckt aber oft noch etwas anderes. Ein Zuviel an Fachwissen und Detailtreue. Was hilft? Das Wertequadrat und eine gute Textvorbereitung mit den richtigen Fragen. 

Der Teamleiter schnaubt: «Sehen Sie sich das an!» Vor uns liegen vier Seiten, gefüllt mit Zahlen, Detailpositionen, Abkürzungen, Klammerbemerkungen. Kein Zweifel – hier war einer zugange, der sein Handwerk kennt. Im Schlusssatz schreibt er: «Besten Dank für den geschätzten Auftrag.» Wir blättern zurück zum Start. Im Titel steht «Offerte Nr. …». Eine Anrede ist nicht zu sehen, das war dem Experten zu viel. Der Teamleiter ist unzufrieden: «Das liest doch kein Mensch. Wie bekommen wir das besser hin?»

In Unternehmen, von der Chef- bis zur Sachbearbeiterebene, existieren die abenteuerlichsten Definitionen über Leserfreundlichkeit und Verständlichkeit. Führungskräfte platzieren in ihren Strategiepräsentationen gerne ihre Eigensicht und sind erstaunt, wenn ihr Publikum selbst nach intensiver Druckbetankung ratlos den Raum verlässt. Alle anderen downloaden Standardvorlagen, die schreibgeschützt den Status einer heiligen Kuh geniessen. 

Alle wollen nur das Beste

Fatal ist: Alle wollen nur das Beste. Der Handwerker, der seine tausend Positionen beflissen notiert, ist engagiert. Die Führungskraft möchte in ihrer Präsentation zeigen: «Schaut her, so viel steckt dahinter!» Und Menschen im Backoffice nutzen überladene Vorlagen, damit auch wirklich alles glasklar herüberkommt. Zwar gibt es Ratgeberbücher mit vielen nützlichen Verständlichkeitsregeln, aber all diese Hinweise helfen weder dem Handwerker noch der Führungskraft oder dem Backoffice. 

Was hilft? In Unternehmen bewährt sich ein Lösungsansatz aus der Kommunikationspsychologie. Mit dem so genannten Wertequadrat wird die Ist-Situation bzw. die bestehende Haltung erst gewürdigt. Im zweiten Schritt wird die Übertreibung dieser Situation/Haltung dargestellt. 

Was haben der Handwerker, die Führungskraft und die Mitarbeiterin aus dem Backoffice gemeinsam? Ihre Genauigkeit. Zur Genauigkeit gehört meistens noch die Eigenschaft der Detailtreue. Beides sind wichtige Qualitäten in der Kommunikation. Würden wir dem Handwerker einfach sagen, er solle doch mal all den Kleinkram weglassen, hätten wir den ausgewachsenen Widerstand im Haus. Die Führungskraft würde um ihren Status fürchten und die Mitarbeiterin im Backoffice würde ohne Absicherung nach oben keinen Satz in ihrer Vorlage umschreiben; das käme einer Kompetenzüberschreitung gleich. 

Dank des Wertequadrates zu Beginn einer «Verständlichkeitsintervention» gelingt oft ein guter und sehr anschaulicher Einstieg in die Veränderung, denn die Methode ist nicht blossstellend, sondern lädt zur Verbesserung ein. Dieses Wertequadrat zeigt die starken und schwachen Seiten der Eigenschaften «Genauigkeit» und «Detail». Beides sind Qualitäten und Probleme des hier beschriebenen Handwerkers, der Führungskraft und der Backofficefrau.

Das Bild lässt ein einfaches Fazit zu. Der Handwerker schiesst mit seinen Detailposi-tionen ein Eigentor, weil der Kunde alles sezieren kann und Dinge hinterfragt, die gar nicht wichtig sind. Kostet ein technisches Teil 50 Rappen, gehört das nicht in die Offerte. Die Führungskraft büsst Vertrauen ein, denn erschlagene Zuhörer wenden sich ab. Und die Backofficefrau wird als stur und bürokratisch eingestuft.

Oft bleibt die übertriebene Eigenschaft unbemerkt und kann sich unkontrolliert verstärken. Wenn die Kundin dem Handwerker sagt, sie verstehe nur Bahnhof, dann listet er beim nächsten Mal noch mehr auf. Die Führungskraft powert mit zusätzlichen Strategiedetails und die Backofficefrau versteht die Welt nicht mehr. 

Probleme sichtbar machen

Was nun? Steht das Wertequadrat, geht es um den Ausgleich der negativen Seite. Der übertriebenen Genauigkeit stellen wir die Idee «Mensch vor Sache, das Wichtige zuerst» zur Seite. Und dem Detail hilft eine Frage: «Was ist meine Kernbotschaft?» Erst mit der Antwort auf diese Frage soll zum Beispiel eine Präsentation vorbereitet werden. 

Die Herausforderung besteht darin, die Eigenschaften bzw. das Grundproblem in einem Unternehmen oder bei Einzelpersonen richtig zu benennen. Es reicht nicht aus, einen schlechten Text mit ein paar Adjektiven oder Verben aufzubereiten. 

Das Wertequadrat lässt sich für nahezu alle Themen einsetzen. Wenn zum Beispiel eine Verwaltung ihre Eigenschaft «Führung» und «Kontrolle» negativ übertreibt, ihre Korrespondenz mit dem Satz «Wir haben Ihr Schreiben erhalten» anfängt, zwischendurch «Der Betrag ist zu überweisen bis …» schreibt und am Ende ein gut gelauntes, irgendwo abgeschriebenes «Wir sind gerne für Sie da!» platziert, wirkt das Gesamtbild unstimmig. 

Versteht die Verwaltung «Führung» als Menschen an die Hand nehmen ohne sie zu gängeln, so beginnt sie ihren Text so: «Ihr Schreiben ist eingetroffen, vielen Dank. Gerne veranlassen wir … Dazu bitten wir Sie, den Betrag von … bis … zu überweisen. Wir sind gerne für Sie da, sprechen Sie uns an, wenn etwas unklar sein sollte.» Gesamtbild: charmanter Klartext mit Logik – auch das ist Führung. 

Die Backofficemitarbeiterin holt sich aus der pingelig-absichernden Ecke heraus, indem sie so schreibt oder schreiben darf, wie sie spricht. Kein Mensch beginnt so einen Dialog am Telefon: «Wir beziehen uns auf … und teilen Ihnen mit, dass Ihr Hausarzt per Ende … seine Praxistätigkeit aufgeben wird.» Noch schlimmer: «Wir wurden informiert, dass Ihr Hausarzt … aufgeben wird.» Mensch zuerst macht die Sache entspannter: «Heute wenden wir uns mit einer Nachricht zu Ihrem Hausarzt an Sie. Dr. … beendet seine Tätigkeit auf Ende … Seine Nachfolgerin heisst …» 

Die Haltung entscheidet

Leserfreundliche und damit erfolgreiche Texte sind durchdacht, vorbereitet. Drei wichtige Fragen führen zu Klarheit, angemessener Textmenge und präziser Botschaft.

  1. Was ist das Ziel unserer Botschaft, zum Beispiel einer Offerte oder Präsentation?
  2. Welche Inhalte brauchen wir, um dieses Ziel zu erreichen? Was lassen wir weg? Worüber sprechen wir nicht?
  3. Wie möchten wir wirken in diesem Text?

Hoffentlich findet dieses Fazit Ihre Zustimmung: Ein verständlicher und damit guter Text befindet sich auf einer sauber ausgebauten Hauptstrasse, die über klar bestimmte Statio-nen zu einem erkennbaren Ziel führt. Ist dieser Weg noch ein wenig abwechslungsreich und unterhaltend, ist der Text perfekt. 

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