Das Gedankenkarussell stoppen
Achtsamkeit hilft uns, im Jetzt zu leben. Wer das übt, kann auch in stressigen Situationen einen ruhigen Kopf behalten. Das ist eine der wichtigsten Kompetenzen in unserer schnelllebigen Zeit.

Wirksames Selbstmanagement ist in unserer schnelllebigen Welt sehr wichtig geworden. Technologische und demografische Veränderungen, getrieben durch soziale und ökonomische Unsicherheit, geschehen immer rascher. Die Halbwertszeit von Produkten und Services nimmt teilweise drastisch ab, Unternehmen werden innert Monaten vom Wettbewerb überholt.
Diese Bedingungen erzeugen bei den Mitarbeitenden zunehmend Stress. Die Anzahl von Weiterbildungs- und Beratungsangeboten im Bereich Stress- und Ressourcenmanagement explodiert. Viele Menschen bedienen sich mittlerweile fernöstlicher Philosophien, Methoden und Techniken wie zum Beispiel Yoga, Qigong, Tai-Chi und Achtsamkeitsmeditation, um wirksamer mit Stress umzugehen.
Das Glücksempfinden steigern
Doch was bewegen solche Philosophien und Techniken wirklich? Richard Davidson, Professor für Psychologie an der University of Wisconsin-Madison, beschäftigt sich seit vielen Jahren konkret mit dem Thema Achtsamkeitsmeditation und deren Auswirkungen auf das Gehirn. Er erforscht, inwiefern durch gezieltes Training die emotionalen Verdrahtungen im Gehirn messbar verändert werden können, und zwar so, dass Menschen mehr Glück empfinden und mehr positive menschliche Qualitäten wie zum Beispiel erhöhtes Mitgefühl hervorbringen. Im Rahmen seiner Forschungsprojekte führte er vor einigen Jahren umfangreiche Fallstudien an tibetischen Mönchen durch, die in ihrem Leben bereits bis zu 40 000 Stunden Meditationspraxis hatten (entspricht ca. 4,5 Jahren). Dank neuen bildgebenden Verfahren in der Medizin konnten die Hirnaktivitäten von langzeitmeditierenden Mönchen anhand verschiedener Indikatoren untersucht werden.
Eine der ersten Untersuchungen aus dem Jahre 2003 liefert faszinierende Resultate: Die Mönche zeigten noch nie zuvor in dieser Höhe gemessene Levels von sogenannten Gamma-Wellen im Gehirn. Dieser Zustand wird in Verbindung gebracht mit erweiterter Wahrnehmung, schnellerer Informationsverarbeitung und gesteigerter Problemlösungsfähigkeit. Zudem zeigten sie eine sehr hohe Hirnaktivität im linken präfrontalen Kortex (Stirnlappen) im Vergleich zu Menschen ohne Meditationspraxis. Diese steht für positive Emotionen, erhöhte Aufmerksamkeit und Ausgeglichenheit. Bei erfahrenen Meditierenden wurden auch Verdickungen in Bereichen der Grosshirnrinde gemessen, die für ein gutes Gedächtnis, Empathie, Emotionsregulation und Stressresistenz wichtig sind.
Wirkung schon nach kurzer Zeit
Doch welche positiven Wirkungen kann die Achtsamkeitsmeditation bei Menschen entfalten, die wenig oder keine Meditationserfahrung haben? Forschungsresultate von Dr. Sara Lazar, Psychologin an der Universität Harvard, zeigen, dass die Teilnehmer eines sogenannten 8-wöchigen Achtsamkeitskurses (Stressbewältigung durch Achtsamkeit – MBSR) im Vergleich zur Kontrollgruppe bereits nach dieser kurzen Zeit eine Zunahme der grauen Substanz in verschiedenen Hirnregionen aufwiesen, die für Fähigkeiten wie erhöhte Selbst- und Fremdwahrnehmung, Konzentrationsfähigkeit, Stressregulation, Impulskontrolle, emotionale Intelligenz und Perspektivenwechsel gebraucht werden. In der Zwischenzeit belegen viele weitere Studien, dass gezieltes Achtsamkeitstraining bereits nach sehr kurzer Zeit eine positive Wirkung bei den Übenden entfalten kann.
Den Moment wahrnehmen
Doch wie kann Achtsamkeit am ehesten beschrieben werden? Achtsamkeit ist eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit, die absichtsvoll ist, sich auf den gegenwärtigen Moment bezieht (statt auf die Vergangenheit oder die Zukunft) und nicht wertend ist. Sie sind sich z. B. darüber im Klaren, welche Gedanken, Emotionen und Körperempfindungen Sie im Moment haben, wie Sie diese interpretieren und darauf reagieren. Die meiste Zeit sind wir uns dieser Dinge jedoch nicht bewusst und handeln, basierend auf bestehenden Reaktionsmustern, auf ähnliche Art und Weise mit ähnlichen Ergebnissen.
Bill George, Professor für Praktisches Management an der Universität Harvard und ehemaliger VR-Präsident und CEO von Medtronic, meditiert seit vielen Jahren und beschreibt die Wirkung von Achtsamkeit so: «Dank der Achtsamkeitspraxis habe ich ein Werkzeug zur Verfügung, das mir hilft, mein Leben in jedem Moment so zu erfassen, wie es ist, und es zeitgleich zu steuern. Achtsamkeit lehrt mich, die Aufmerksamkeit auf den Moment zu fokussieren, meine Gefühle wahrzunehmen und Emotionen in stressvollen Situationen besser zu kontrollieren. Wenn ich achtsam bin, bin ich mir meiner Person und deren Wirkung auf andere Menschen besser bewusst. Ich habe die Möglichkeit, jeden erlebten Moment aus einer gewissen Distanz zu beobachten und bewusst zu entscheiden, wie ich mich in jeder Situation verhalten möchte, um angemessen Einfluss darauf zu nehmen. Auf diese Weise schaffe ich es, auch in stressigen Lebenssituationen gelassener zu sein, meinen Werten entsprechend zu handeln und in meiner Mitte zu bleiben.»
Reizüberflutung überfordert uns
In der Achtsamkeitsmeditation geht es also um das systematische Training, die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu richten und diese so wahrzunehmen, wie sie ist, ohne das Erfasste zu interpretieren oder etwas daran ändern zu wollen. Aufkommende Gedanken und Gefühle werden gleichmütig beobachtet und nicht bewertet. Das ist jedoch nicht so einfach, da das Gehirn laufend Reize aussendet, die wir aufgreifen. Wählen wir keinen aus, werden permanent neue Reize angeboten. Dies führt zu einer Reizüberflutung, die das Gehirn irgendwann überfordert und uns nicht mehr klar denken lässt.
Google übt Achtsamkeit
Wenn wir Achtsamkeit üben, sind wir diesem stressvollen Gedankenkarussell nicht länger ausgeliefert. Die an die Oberfläche drängenden Wünsche, Erwartungen und Sorgen lassen sich schneller sortieren und sogar bewusst loslassen. Nach einiger Achtsamkeits-praxis merken wir, dass wir anders als gewohnt handeln können. Wir können beispielsweise bewusster entscheiden, ob wir uns in einer Situation aufregen oder ruhig bleiben. Oder ob wir nur das Schlechte oder auch das Gute erkennen und dementsprechend konstruktiver reagieren.
Auch Google hat die Vorteile von Achtsamkeitstrainings für die eigene Belegschaft erkannt. Seit 2007 bietet das Unternehmen seinen Mitarbeitern ein Programm für persönliches Wachstum mit dem Titel «Search Inside Yourself» an. Der Initiant ist Chade-Meng Tan, ursprünglich ein Google-Ingenieur, der auch den oben erwähnten wissenschaftlich fundierten 8-wöchigen Achtsamkeitskurs (MBSR) ins Programm integriert hat. Mithilfe dieser Trainings sollen die Mitarbeiter ihre emotionale Intelligenz weiterentwickeln, mit dem Ziel, glücklicher, stressresistenter, kreativer und letztlich leistungsfähiger und erfolgreicher zu werden.