Social Media

Erst zuhören, dann zwitschern

Social-Media-Plattformen zu bedienen ist keine grosse Sache – denken viele. Stimmt, wenn es um die technische Handhabung geht. Doch die neuen Kommunikationskanäle leben von sorgfältig ausgewählten Inhalten und da hapert es bei vielen Firmen. Wer über Facebook und Co. nur Werbung und PR verbreitet, gewinnt keine Follower und verspielt Chancen, findet Nadine Stutz, Social Media Managerin der Raiffeisen Schweiz.

Frau Stutz, Sie haben 2012 zum Thema Social Media und Brand Management promoviert. Was haben Sie herausgefunden?

Es hat sich bestätigt, was hinter hervorge­haltener Hand bereits gemunkelt wurde: Die neuen Möglichkeiten halten ihre Versprechen nicht. Und zwar nur, weil sich die Firmen nicht an die neue Art der Kommunikation anpassen. Ich habe mich vor allem mit Facebook befasst und untersucht, welchen Einfluss der neue Kommunikationskanal auf Unternehmen und Marken hat. Man muss sich bewusst sein, dass Facebook und Co. reine Plattformen sind, Instrumente. So wie früher einmal das Telefon neu war. Entscheidend ist, wie sie genutzt werden. Sprich bei Social Media: Welche Inhalte sie bekommen.

Was verstehen die Unternehmen daran nicht?

Viele Firmen sehen Social Media als Push­medien: als Kanal, um ihre Nachrichten rauszuschmettern. Meist handelt es sich dabei noch um PR oder Werbung. Die Chance besteht jedoch darin, einen Dialog aufzubauen. Es geht darum, Fragen zu stellen und vor allem zuzuhören. Damit haben viele Mühe. Aller Anfang liegt darum bei der Beschäftigung mit der Zielgruppe: Worüber sprechen die? Was interessiert sie? Und vor allem: Wo sind sie?

Unterscheidet sich also die Nutzung von Social Media im Privaten und im Geschäfts­umfeld?

Ich finde sehr, ja. Obwohl das natürlich von der persönlichen Einstellung abhängt. Ich poste privat keine Fotos von mir, habe nicht den Drang, allen zu erzählen, wo ich am Wochenende mit wem war und was ich in den Ferien zu Mittag ass. Diese Zurückhaltung ist ein ungeschriebenes Gesetz unter Social-Media-Verantwortlichen. Im beruflichen Kontext hingegen soll man unbedingt den Blick hinter die Kulissen gewähren. Für Unternehmen geht es genau darum, sich menschlich zu zeigen, zu teilen, exhibitionistisch zu sein. Ich meine ­damit nicht die klassischen Kampagnen, sondern Hintergrund-Infos, Geschichten aus dem Alltag, Fotos vom letzten Kunden-Event.

Wo liegt die Grenze zu zu viel Selbstdarstellung?

Ganz schlimm ist eine Haltung im Sinne von: Wer lauter schreit, ist besser daran. Das kommt schlecht an. Es darf auch nie anbiedernd sein. Reine Selbstdarstellung ist ebenfalls schlecht, wenn sie der entsprechenden Zielgruppe keinen Nutzwert bringt. Wer jedes Mal nur einen Post macht, wenn die Firma wieder einen Preis gewonnen hat, langweilt. Wenn der Post einer von vielen ist, bei dem man als Leser vielleicht sogar die Vorgeschichte mitbekommen hat, die Entwicklung des entsprechenden Projekts, den Projektleiter via Blogeintrag kennenlernte oder so, hat die Meldung einen ganz anderen Stellenwert.

Keine Werbung und PR also. Aber bei einer solchen Offenheit, wie viel Ehrlichkeit ist möglich, ohne Schaden zu nehmen?

Es spricht nichts gegen Werbung und PR an sich. Man kann Werbung machen, aber dann schaltet man einen Banner und es ist jedem klar, dass es sich um Werbung handelt. Ehrlichkeit ist zentral. Für die Glaubwürdigkeit einer Firma ist es darum sogar gut, wenn Kritik kommt. Wenn man dann zugibt, dass es ein Problem gab, dem Kritiker und damit der Community erklärt, wie es dazu kam und was jetzt dagegen unternommen wird, schafft man Vertrauen und einen Dialog. Das heisst aber nicht, dass man als Unternehmen im Netz die ganze Zeit über eine defensive Haltung einnehmen soll und sich ständig entschuldigen muss. Gewisse Nörgeler muss man auch einfach aushalten können.

Eine Gratwanderung, nicht?

Doch, das braucht manchmal ein bisschen Fingerspitzengefühl. Ich bin sicher, dass einige Shitstorms nur entstanden sind, weil Unternehmen falsch reagiert haben. Weil zu salopp geantwortet wurde, der Ton nicht stimmte, nicht sauber gelesen oder das Gegenüber sich nicht Ernst genommen fühlte. Oft geht es bei Kritik nur darum zu signalisieren: Wir haben dich gehört und klären ab. Meines Erachtens ist das ein Grund, warum es unfair ist, die Social-Media-Kanäle einfach einem Prak­tikanten zu überlassen. Um verantwortungsvoll und richtig zu reagieren, braucht es ein sehr grosses Unternehmens-Know-how. Es braucht viel inhaltliches Verständnis für die aktuellen Themen der Branche, politische Diskussionen und News.

Dann wären Assistentinnen gute Social-Media-Verantwortliche, wenn die Kapazitäten für eine solche Stelle fehlen. Durch ihre Nähe zum Chef sind sie bestens über die Abläufe in der Firma informiert.

Die Informationsnähe ist sicher vorhanden, ja. Das technische Know-how kann man lernen. Ich finde es aber sehr bedenklich, diese Aufgabe so nebenbei noch jemandem ans Bein zu binden. Es muss klar das Commitment und eine Strategie von oben kommen, dass Social Media Management ein fixer Auftrag ist, der ins Jobprofil aufgenommen wird. Der Zeitaufwand ist viel zu gross für nebenbei. Das ist nichts, was man immer am Mittwoch oder jeden Tag um halb sechs noch rasch erledigt. So fährt man die Geschichte an die Wand.

Wie gross ist Ihr Team?

Wir bewegen uns auf sechs Plattformen mit eigenen Profilen: Facebook, Twitter, Youtube, Xing, Linkedin und auf unserem Blog. Dafür haben wir im Moment 160 Stellenprozent. Natürlich produzieren wir nicht alle Inhalte selbst. Inzwischen werden wir bei neuen Projekten meist schon ins Kick-off-Meeting eingeladen und überlegen uns zusammen mit dem Team, ob wir das Projekt digital begleiten können. Bis es soweit ist, braucht es in den meisten Unternehmen ziemlich viel Sensibilisierung. Hier könnten Assistentinnen einen grossen Beitrag leisten. Beiträge von Chefs auf Blogs kommen sehr gut an … Allerdings nur, wenn sie wirklich aus ihrer persönlichen Feder stammen.

Was machen Sie für Geschichten? Die Finanzbranche bietet nicht viel Emotionen …

Gerade Dienstleistungsunternehmen wie Versicherungs- und Finanzinstitute mit Produk­ten, die hohen Erklärungsbedarf haben, können sehr gute Geschichten schreiben. Neben Einblicken in den Bankenalltag bieten wir Serviceleistungen im Sinne von Produktevergleichen oder Artikeln wie «Diese fünf Papiere müssen Sie bei einer Anlage-Beratung dabei haben». Für tolle Inhalte braucht es ein sehr gutes Netzwerk innerhalb des Unternehmens. Social Media hat keinen Selbstzweck. Die Inhalte kommen von den Mitarbeitern.

Kann es sich eine Firma noch leisten, nicht auf Social Media Kanälen präsent zu sein?

Die Präsenz alleine ist nur eine Seite der Medaille. Wenn keine Kapazität da ist, eigene Profile zu betreuen, ist das schade, aber wahrscheinlich nicht problematisch. Es ist jedoch fahrlässig, wenn niemand Monitoring betreibt; also verfolgt, wie über das eigene Unternehmen auf Facebook, Twitter und Co. diskutiert wird. Das Monitoring ist einerseits eine Möglichkeit, auf Kritik, Fragen und Unsicherheiten einzugehen, das ist die reaktive Seite. Andererseits kann aktiv die Stimmung in der Zielgruppe und wichtige Fragen und Interessen herausgespürt werden. Ich bin vor kurzem in einem Mütter-Chat auf Facebook auf die Diskussion gestossen, worin wohl der Unterschied zwischen unserem Götti-/Gotti-Konto und dem Jugendsparkonto liege. Intern wären wir wohl nie auf die Idee gekommen, dass der Unterschied nicht völlig klar ist.

Was würden Sie einer Assistentin emp­fehlen, die zur Social-Media-Verantwortli­chen ernannt wird?

Als erstes würde ich zurückfragen, was das genaue Ziel des Auftritts ist. Falls es schwammig ist, würde ich dem Chef anbieten, einen Vorschlag zu erarbeiten. Wie das Beispiel oben mit den Müttern zeigt, kann Social Media alles sein: Produkteinfo, Kundendienst, Marktforschung, Informationsplattform, Marketing … In einem zweiten Schritt würde ich umfassend recherchieren: Wo wird von wem über uns gesprochen, was wird gesagt, wo sind wir präsent, wo nicht, welche Themen tauchen auf, wo bewegt sich die Zielgruppe und wer sind die Meinungsführer. Egal, was das Ziel ist, es braucht eine gute Übersicht. Als nächstes würde ich Gleichgesinnte suchen, bei Social-Media-Verantwortlichen in anderen Unternehmen Fragen stellen, Gruppen auf Facebook und Co. beitreten, Erfahrungen suchen. Und dann würde ich den Mut fassen, dem Chef einen tolles Konzept vorzulegen.

Haben Sie so etwas wie goldene Regeln für die Betreuung von Social Media?

Ich habe mir ein paar Regeln aufgestellt, ja.

  1. Respekt ist wichtig. Egal mit wem, der Umgang muss respektvoll und anständig sein.
  2. Humor hilft. Keine Firma ist der Nabel der Welt. Man sollte sich nicht zu Ernst nehmen.
  3. Kein Marktgeschrei. Die Leser interessieren sich für Emotionen, Geschichten, Inhalt. Nicht für Mogelpackungen und Drei-für-Zwei-Angebote.
  4. Fragen stellen. Man muss wirklich up to date sein und sollte sich nie scheuen, Fragen zu stellen. 5. Geduld üben. Man muss mit allen Arten von Menschen umgehen können. Und manchmal sind einzelne Türchen noch nicht offen und brauchen Zeit.

Dr. Nadine Stutz

Eigentlich wollte Nadine Stutz ihre Doktorarbeit zum Thema Brand Management und Brand Commu­nities schreiben, doch dann ging 2007 Facebook live … Das Zuckerbergsche Werk und sein Einfluss auf Unternehmen und Marken begeisterten die Kommunikationswissenschaftlerin so, dass sie ihm ihre Dissertation widmete. Seither sind Social ­Media ihr Leben, wie sie sagt. Die 35-Jährige war mehrere Jahre in den Bereichen Brand Management und Kommunikation für die Hochschule Luzern tätig. Seit 2012 baut sie mit viel Engagement und Erfolg die Abteilung Social Media für Raiffeisen Schweiz auf.

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