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Gesetzlich verordnete Wohlfühlzone?

Den Arbeitgebenden trifft nach schweizerischem Arbeitsrecht eine Fürsorgepflicht. Er hat im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmenden zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen.

Im Rahmen der Fürsorgepflicht hat der Arbeitgebende zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität der Arbeitnehmenden jene Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und nach den Verhältnissen des Betriebs angemessen sind. Jedoch nur soweit es ihm mit Rücksicht auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse und die Natur der Arbeitsleistung billigerweise zugemutet werden kann. Der Arbeitgebende hat insbesondere die betrieblichen Einrichtungen und den Arbeitsablauf so zu gestalten, dass Gesundheitsgefährdungen und Überbeanspruchungen der Arbeitnehmenden nach Möglichkeit vermieden werden und die Arbeit ideal organisiert wird. Diese Verpflichtungen ergeben sich aus dem Obligationenrecht (Art. 328 OR) sowie aus dem Arbeitsgesetz (Art. 6 ArG). Schliesslich hat der Arbeitgebende auch dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmenden nicht sexuell belästigt werden und den Opfern von sexuellen Belästigungen keine Nachteile entstehen.

Arbeitsplatzgestaltung

Insbesondere in der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3) sowie in der (nicht justiziablen) 200-seitigen Wegleitung des Seco (Wegleitung), die zahlreiche Empfehlungen enthält, werden die Pflichten des Arbeitgebenden im Rahmen des Gesundheitsschutzes weiter konkretisiert. Diese gehen aber nicht soweit, dass er verpflichtet wäre, aus dem Arbeitsplatz eine Wohlfühloase zu machen. Jedoch werden diverse Massnahmen festgehalten, deren Einhaltung im Rahmen des Gesundheitsschutzes geboten ist. Hierauf soll nachfolgend eingegangen werden:

Lichtverhältnisse

ArGV 3 sieht vor, dass Räume, Arbeitsplätze und Verkehrswege innerhalb und ausserhalb der Gebäude entsprechend ihrer Benützung ausreichend natürlich oder künstlich beleuchtet sein müssen. In den Arbeitsräumen soll Tageslicht vorhanden sein sowie eine künstliche Beleuchtung, die den Anforderungen der Arbeit angepasste Sehverhältnisse gewährleistet. Räume ohne natürliche Beleuchtung dürfen nur dann als Arbeitsräume benützt werden, wenn durch besondere bauliche oder organisatorische Massnahmen sichergestellt ist, dass den Anforderungen des Gesundheitsschutzes insgesamt Genüge getan ist. Ausserdem muss von ständigen Arbeitsplätzen aus die Sicht ins Freie gewährleistet sein. In Räumen ohne Fassadenfenster sind ständige Arbeitsplätze ebenfalls nur zulässig, wenn den Anforderungen des Gesundheitsschutzes insgesamt Genüge getan ist. Die Behörden können auf schriftlichen Antrag der Arbeitgebenden im Einzelfall Ausnahmen von den Vorschriften der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz bewilligen. Das allerdings nur, wenn die Arbeitgebenden eine andere, ebenso wirksame Massnahme treffen oder die Durchführung der Vorschrift zu einer unverhältnismässigen Härte führen würde und die Ausnahme mit dem Schutz der Arbeitnehmenden vereinbar ist.

Anforderungen an den Raum und den Arbeitsplatz

Aus der Pflicht zum Gesundheitsschutz wird aus der Wegleitung sowie dem vom Seco publizierten Prüfmittel Gesundheitsrisiken auch abgeleitet, dass der Arbeitgebende für ergonomisch und hygienisch gute Arbeitsbedingungen sowie einen einwandfreien Arbeitsplatz zu sorgen hat. Diese Vorschriften sind zum Teil ausserordentlich detailliert, doch lohnt es sich, sie einmal genauer anzuschauen:

Es muss so viel Raum vorhanden sein, dass sich der Arbeitnehmende bei seiner Tätigkeit ungehindert bewegen kann. Überdies soll der Raum natürlich oder künstlich belüftet sein. Bei natürlicher Belüftung sollen folglich Dachlichter und Fassadenfester, bei künstlicher Belüftung soll diese der Art des Betriebs angepasst werden. Jeglicher Lärm oder Vibrationen sind zu vermeiden, wobei der Arbeitgebende gehalten ist, Vorkehrungen zu treffen.

Bei ständigen Arbeitsplätzen muss die Sicht ins Freie gewährleistet sein.

Der Arbeitsstuhl müsste individuell verstellbar sein und dürfte die optimale Sitzhaltung nicht verhindern. Die Arbeitsfläche sollte bei Bildschirmarbeit eine Mindesttiefe von 80 Zentimeter und eine Mindestbreite von 120 Zentimeter aufweisen, wobei diese nicht blenden darf (Reflexionsgrad < 50 Prozent), die Körperwärme nicht ableitet und die Kanten abgerundet sind. Bezüglich Höhe der Arbeitsfläche soll vermerkt werden, dass wiederum differenziert wird, ob die Arbeit sitzend oder stehend verrichtet wird. Bei stehender Arbeit ist die Ellenbogenhöhe massgebend. Muss eine feine Arbeit, beispielsweise Zeichnen, verrichtet werden, so beträgt die Arbeitshöhe 5 bis 10 Zentimeter über der Ellenbogenhöhe, wobei eine Abstützung der Unterarme notwendig ist. Wird eine Arbeit manuell verrichtet, so beträgt die Arbeitshöhe 5 bis 10 Zentimeter unter der Ellenbogenhöhe. Bei sitzender Arbeit ist die Arbeitshöhe 5 bis 10 Zentimeter über der Ellenbogenhöhe für Präzisionsarbeiten mit kurzer Sehdistanz vorgesehen (beispielsweise der Uhrmacher, der die Uhr unter der Lupe montiert). Diesem sind auch eine Abstützung der Vorderarme beziehungsweise Handballen zu gewährleisten. Wird hingegen Bildschirm-, Schreib- oder Lesearbeit verrichtet, so entspricht die Arbeitshöhe der Ellenbogenhöhe. Zur Einrichtung der Arbeitsfläche gehören zudem – bei einem Bildschirmarbeitsplatz – das Vorhandensein einer externen Maus und Tastatur, Bewegungsraum um die Arbeitsfläche, gute Arbeitsplatzbeleuchtung und eine Sicht ins Freie bei ständigen Arbeitsplätzen.

Temperaturen

Gemäss ArGV 3 sind die Raumtemperatur, die Luftgeschwindigkeit und die relative Luftfeuchtigkeit so zu bemessen und aufeinander abzustimmen, dass ein der Gesundheit nicht abträgliches und der Art der Arbeit angemessenes Raumklima gewährleistet ist. Zudem hat der Arbeitgebende dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmenden vor übermässiger Sonneneinwirkung sowie Wärmestrahlung, die durch Betriebseinrichtungen und Arbeitsvorgänge verursacht wird, geschützt sind.

Gemäss der Wegleitung beträgt die Lufttemperatur bei sitzenden, vor allem geistigen Tätigkeiten (zum Beispiel Bildschirmarbeit) idealerweise 21 bis 23 Grad. Bei sitzender leichter Handarbeit werden 20 bis 22 Grad empfohlen. Bei hohen Aussentemperaturen (beispielsweise Sommer) sind die empfohlenen Lufttemperaturen nach oben anzupassen (bis maximal 28 Grad). Je stärker die körperliche Belastung, desto tiefer ist die zu empfehlende Temperatur. So werden unter anderem bei mittelschwerer Arbeit im Stehen (zum Beispiel Arbeit an der Maschine) 15 Grad als adäquat empfunden. Bei diesen in der Wegleitung genannten Temperaturen handelt es sich aber nicht um zwingende Temperaturen, die nicht überschritten werden dürfen, sondern um Empfehlungen. Abweichungen davon können ein Indiz sein, dass die Verordnung 3 nicht eingehalten wird.

Am 24. Oktober 2022 hat das Seco nun ein Merkblatt zum Gesundheitsschutz am Arbeits­platz im Rahmen von Energiesparmassnahmen erlassen. Dabei hält dieses fest, dass das Potenzial des Energiesparens auch am Arbeitsplatz soweit möglich ausgeschöpft werden soll. Dabei wurden insbesondere auch tiefere Raumtemperaturen vorgeschlagen.m

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Nicolas Facincani, lic.iur., LL.M., ist Partner der Anwaltskanzlei Voillat Facincani Sutter + Partner und berät Unternehmen und Private vorwiegend in wirtschafts- und arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. vfs-partner.ch

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