Die Big Five der Kommunikation
Grosszügigkeit, Werte, Kultur, Wünsche und Konflikte prägen unser tägliches Miteinander und beeinflussen massgeblich, wie wir miteinander kommunizieren. Sie sind die Big Five in Gesprächen und Texten und stehen im Zentrum unseres Lebens.
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Grosszügigkeit
Lange Zeit habe ich sie in meiner Tasche behalten und in Workshops nicht zum Thema gemacht: die Typologie. Ich vermied die Diskussion über Typen, weil wir Menschen viel zu schnell dazu neigen, andere und uns selbst zu kategorisieren. Wer einmal ein starkes Signal aussendet, ist sofort ein «bestimmter Typ». Heute, in Zeiten grosser Verwerfungen, Unsicherheiten und Krisen, nutze ich die Typologie bewusst. Dabei arbeite ich mit drei Grundmustern.
- Die ZDFlerinnen und ZDFler: Diese Menschen fokussieren Zahlen, Daten, Fakten (ZDF). Ihnen ist es wichtig, auf den Punkt zu kommen. Smalltalk ist Zeitverlust. Sie steigen in ein Thema ein, um möglichst schnell mit einer Antwort wieder auszusteigen. Ihre Signalwörter sind zum Beispiel «schnell, sofort, jetzt, antworten, rasch, lösen». Sie werden unruhig, wenn sie tiefgründigen Darlegungen begegnen. Sie möchten nicht «etwas zusammen genauer anschauen». Sie wollen weitermachen.
- Die Kontakterinnen und Kontakter: Diese Menschen bauen Brücken zu anderen. Ihnen ist die Beziehung wichtig. Smalltalk ist erwünscht, weil sie über Belanglosigkeiten Stimmungen aufnehmen. Sie lassen sich Zeit, Kontakt ist Qualität. Ihre Signalwörter sind «willkommen, herzlich, sich Zeit nehmen, Verständnis zeigen, eingehen auf etwas ...». Sie reagieren verärgert bei fehlendem Interesse, denn sie möchten gut mit jemandem klarkommen und achten auf Befindlichkeiten.
- Die Analytikerinnen und Analytiker: Sie sind die Expertinnen und Experten der Tiefenbohrung. Sie vertrauen erst, wenn sie ein Thema in seiner Komplexität verstehen. Ihre Signalwörter sind «Schritt für Schritt, genau, exakt, detailliert, erläutern, analysieren, beurteilen, prüfen». Sie finden es inkompetent, wenn jemand auf das Filettieren eines Themas verzichtet und nur eine Antwort haben will.
Mit Typologie arbeiten darf weder Korsett noch Bewertung sein. Es ist vielmehr ein Spiel. Ich höre jemandem zu und versuche herauszufinden, was die Motive und Bedürfnisse meines Gegenübers sein könnten. In Zeiten extremer politischer, wirtschaftlicher und menschlicher Verhärtung ist Grosszügigkeit eine wunderbare Haltung.
Werte
Werte sind unser innerer Kompass, unsere Orientierung und der Weg zu Sinn. Es geht nicht darum, glücklich zu sein; es geht um Sinn und Wert, zum Beispiel bei der Arbeit. Jede Krise sollten wir gnadenlos nutzen, denn in der Verunsicherung oder Verwirrung befinden sich Räume voller Möglichkeiten. Wir dürfen sie erkunden. Das geht in der Alltagskommunikation sehr gut mit standardisierten Formulierungen in Gesprächen und Texten. Echt wertvoll ist viel besser als höflich und hohl.
Beispielsweise ist der Satz «Bei Fragen stehen wir Ihnen zur Verfügung» uralt und etabliert. Hinter einem Satz, einer Aussage steht eine Absicht, eine Emotion, ein Gefühl. Das alles können wir uns als Raum vorstellen, den wir betreten und kennenlernen dürfen. Zu diesem gehört der Basiswert «Liebe». Und zu dieser gehört die Beziehung, die Nähe und die Distanz. Hier gibt es keine Regel und kein modern oder veraltet. Es gibt die passende, die stimmige Kontaktebene. Mit dieser Idee wird es in meinen Workshops ganz ruhig. Alle denken darüber nach, wie sie intern und extern mit Menschen in Kontakt sein möchten. Insgesamt arbeite ich mit zwanzig Werten, wobei ich vier ins Zentrum stelle.
- Liebe Beziehung, Kontakt, Nähe, Distanz
- Frieden Lösung, Zuversicht
- Gesundheit Frische Wortwahl, Flexibilität
- Freiheit Raum, Möglichkeiten
Ein Beispiel zur Freiheit. Drohend klingt so: «Sie müssen ... einreichen, ansonsten sehen wir uns gezwungen, ...» Die Freiheit gibt Raum: «Ihre ... müssen bis ... bei uns sein. Damit ermöglichen Sie uns, auf ... zu verzichten. Vielen Dank für ... »
Werte brauchen unsere Bereitschaft, Kommunikation mit Sinn zu erfüllen. Werte arbeiten gern für uns. Wir brauchen sie nur zu aktivieren, ihr Feuer zu erkennen.
Kultur
Es ist ein Stereotyp, vielfach widerlegt, und doch höre ich es dauernd. «Ich krieg ein Brötchen.» Das sagen scheinbar alle Deutschen in der Bäckerei. Klartext hat es schwer in der Schweiz. Hier sind wir höflich, zerren den Konjunktiv und das Passiv auf die Bühne, um die Klarheit verborgen auszudrücken. «Wir müssten ... veranlassen, falls ... nicht bei uns eingereicht werden.» Es gibt auch Deutsche, zum Beispiel meinen Mann, die in der Bäckerei «Ich hätte gern ...» sagen. Wir dürfen Schweizerinnen und Schweizer bleiben mit allen Vorteilen und Sturheiten. Auch hier hilft der Basiswert «Liebe». An ihrer Seite steht die Zugehörigkeit. Fingerzeig schliesst aus, Zugehörigkeit bezieht ein.
Kultur braucht Austausch und das aufrichtige Interesse an Menschen. Kultur ist das feine Band, das uns in Unternehmen, in Teams, zu Hause, in der Familie und in jeder Gemeinschaft verbindet. Werte begleiten und gestalten jede Kultur. Nur mit einem Kulturbewusstsein zeigt sich eine Sprache, die Menschen erreicht und zusammenführt.
Wünsche
Kürzlich hat mich diese Frage in einem E-Mail erreicht: «Hallo Angelika, wir möchten fix vereinbaren, welche Anrede- und Grussformen wir intern verwenden. Du kannst uns bestimmt sagen, was man heute schreibt. Einige bei uns finden «Liebe alle» passend und «Herzliche Grüsse». Hast du Erfahrung damit, und was ist heute Usanz?» Mit zunehmendem Lebensalter traue ich mich, auch mal bockig zu sein. Meine Antwort war gewollt flapsig: «Keine Ahnung, was Usanz ist. Was man schreibt, weiss ich auch nicht. Aber ja, ich habe Erfahrung mit diesem Thema.» Es ist verständlich und gut, wenn Unternehmen mit Beispielen arbeiten und so ihrer Sprache ein Gesicht geben.
Bei der Anrede und beim Gruss funktioniert das jedoch schlecht oder ist unbefriedigend, weil wir hier nach der persönlichen, stimmigen Form suchen und nicht nach einer gesellschaftlichen Usanz. Ich empfehle, grosszügig und bewusst individuell zu sein, wenn es um Anrede und Gruss geht. Zwei Fragen helfen bei der Wahl. Was ist mein Motiv, mein Grund für meine Nachricht? Was ist mein Bedürfnis, mein Wunsch? Es lohnt sich, Motiv und Wunsch etwas Zeit zu schenken, auch in einem Alltag voller Zeitdruck. Wer Wünsche äussert, zeigt sich und legt offen, was wichtig ist.
Konflikte
Wir brauchen eine wertvolle, gesunde und frische Konfliktkultur. Sie macht uns auch kompetenter und stabiler im Umgang mit Unsicherheiten. Wer den Konflikt im Dialog meidet, steckt irgendwann in einer klebrigen Harmoniesauce fest. Harmonie ist zwar ein wichtiger Wert, denn seine Qualitäten sind Balance, Ruhe, ein gutes Miteinander. Doch seine Schattenseiten sind Schwelbrände, also ein Brand ohne offene Flammen. Wichtig ist beim Konflikt die Grundhaltung.
Arbeite ich für meinen Sieg, dann kommuniziere ich mit der Haltung «Ich krieg dich!» Entscheide ich mich für den Frieden, die gesunde Balance, dann heisst es «Ich gewinne dich für ...» Zu einem Konflikt gehören auch Grenzen, oft als rote Linien beschrieben. In Unternehmen erlebe ich viele Menschen, die gelernt haben, stets höflich zu sein, Beleidigungen, Angriffe oder einfach blöde Bemerkungen zu ignorieren. Niemand ignoriert einen Angriff auf seine Integrität. Wer einen Konflikt auch mal auf den Tisch legt, seine Emotion zumutet, verhindert einen Schwelbrand und damit Frustration, Ermüdung, Sarkasmus oder Abneigung. Sprechen wir Konflikte an: «Ich sehe hier einen Konflikt mit ... Wie siehst du das?».
Die Big Five gehören auf den «Marktplatz» jedes Unternehmens, jeder Organisation, jedes Teams. Was tun wir für unsere Grosszügigkeit? Wie lernen wir unsere Werte kennen? Was ist unsere Kultur? Wie äussern wir Wünsche? Und wie bitten wir den Konflikt zu Tisch? Alles anregende Fragen in einer heissen Zeit.