premium Special: Tabus im Büro

Mittels Lohntransparenz bestehende Strukturen hinterfragen

Transparent über Geld, Löhne und Vorsorge sprechen und diese Tabus ein für alle Mal beseitigen, dafür plädiert Nadine Jürgensen, Anwältin und COO von «ellexx», der Online-Finanzplattform für Frauen.

Weshalb sollten wir mehr über Geld reden?
Nadine Jürgensen: Geld ist Energie, die untrennbar mit unserem Leben verbunden ist. Es durchdringt fast alle Aspekte unseres Daseins und spielt eine zentrale Rolle. Deshalb sollten wir offen darüber reden und seine Bedeutung reflektieren.

Das Tabu Geld hält sich dennoch wacker, trotz lauter Weckrufe und Lohntransparenz-Pionieren. Was ist unser Problem, wenn es ums Geld geht?
Wenn wir offen und transparent über Geld sprechen, ermöglicht das eine kritische Überprüfung bestehender Strukturen – und das ist nicht überall erwünscht. Beispielsweise könnten wir ­Fragen stellen wie: Wie viel zahlt ein Unternehmen und wie viel verdient eine Person? Wenn wir diese Informationen von jedem Betrieb hätten, können wir sie diskutieren, hinterfragen und Veränderungen herbeiführen. Deshalb ist mir die Lohntransparenz ein grosses Anliegen. Bei uns im Unternehmen führt niemand mehr Lohnverhandlungen, da unser Modell den Lohn anhand von Kriterien wie Ausbildung, Erfahrung, Verantwortung und Anzahl der Jahre im Unternehmen festlegt. Der Lohn sollte nie nur aufgrund von subjektiven Einschätzungen und reinem Verhandlungsgeschick festgelegt werden.

Apropos Transparenz: Auf eurer Finanzplattform sprechen Frauen im «Money Talk» über Geld. Wie schwierig ist es, sie dazu zu bewegen, so offen zu sein?
Erstaunlich einfach, weil unsere Interviewten verstehen, dass dies zu mehr Transparenz führt, wenn wir sehen, wer für seine Leistung mehr oder weniger verdient. Warum ist beispielsweise eine Kita-Betreuerin, die sich um Kinder in den entscheidenden ersten vier Lebensjahren kümmert, so schlecht bezahlt, während ein Universitätsprofessor, der junge Erwachsene in einer weniger sensiblen Phase unterrichtet, etwa fünfmal so viel verdient? Wo setzen wir unsere Massstäbe an und was ist uns welche Leistung wert? Um diese Diskussion führen zu können, benötigen wir ­konkrete Informationen darüber, wie die Vergütungsstrukturen tatsächlich aussehen. Es ist irgendwann nicht mehr vertretbar, wenn Menschen Löhne erhalten, die nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen…

… im Gegensatz zur Care-Arbeit?
Es ist wichtig, dass wir der Care-Arbeit einen angemessenen Wert zuschreiben – zumindest auch einen für die soziale Absicherung. Wenn beispielsweise Mütter Teilzeit arbeiten oder eine berufliche Pause einlegen, können sie oft nicht in die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge einzahlen und haben dadurch im Alter möglicherweise nicht ausreichend finanzielle Mittel. Das ist ein Thema, über das wir sprechen müssen.

Frauen sind nach wie vor mehr von Altersarmut betroffen, was rund um die 13. AHV-Rente ebenso zu Diskussionen führte. Wie können sich Frauen absichern, damit sie im Alter nicht mit leeren Händen dastehen?
Erstens: Jede Frau sollte sich bewusst sein, dass sie im Alter nicht allein von der AHV leben kann, selbst mit einer 13. AHV-Rente nicht, die maximal 100 bis 200 Franken pro Monat mehr ausmachen wird. Momentan liegen die Einzelrenten zwischen 1200 und 2500 Franken pro Monat. Wenn man nicht genügend in der zweiten oder dritten Säule angespart oder keine private Vorsorge getroffen hat, wird man auf Ergänzungsleistungen angewiesen sein.

Zweitens: Wenn eine Frau teilzeitbeschäftigt ist und längere Arbeitspausen einlegt, verringert sich ihre Einzahlung in die zweite Säule. Das führt zu Abzügen aufgrund des Koordinationsabzugs. Deshalb ist ein klares Ja für die BVG-Revision im Herbst besonders für uns Frauen wichtig. In die dritte Säule kann man zudem nur einzahlen, wenn das Einkommen ausreichend ist, und auch hier ist es schwierig, die maximale Summe von etwas mehr als 7000 Franken einzuzahlen, wenn man Teilzeit erwerbstätig ist. Frauen, die somit zu Hause Care-Arbeit übernehmen oder weniger verdienen, werden zu wenig in die zweite und dritte Säule einzahlen können.

Verheiratete Frauen sind indes in gewisser Weise abgesichert, solange beide Partner ähnlich lange leben. Aber im Falle einer Scheidung oder Trennung, die etwa 50 Prozent der Paare betrifft, wird es schwieriger. Es gibt zwar einen Vorsorgeausgleich, bei dem die zweite und die dritte Säule aufgeteilt werden, aber wenn die Frau danach nicht weiterhin das gleich hohe Einkommen wie der Mann erzielt, wird sie Lücken in ihrer Vorsorge haben und muss mit einem reduzierten Lebensstandard im Alter rechnen. So führen Scheidungen dazu, dass jede vierte geschiedene Rentnerin auf Ergänzungsleistungen angewiesen ist. Im schlimmsten Fall übernimmt eine Frau unbezahlte Care-Arbeit und ist nicht verheiratet – dann ist sie überhaupt nicht abgesichert. Es gibt viele Frauen, die sich dieser Gefahr nicht bewusst sind.

Was kann man tun?
Idealerweise auf das ganze Erwerbsleben hochgerechnet mindestens 60 bis 70 Prozent der Zeit erwerbstätig bleiben.

Seit der Gründung von «ellexx» ist es euer Anliegen, die Gleichstellung in Geldfragen («Close the Gaps») zu erlangen. Inwiefern fruchtet euer Einsatz bisher?
Es fühlt sich an, als hätten wir bereits einiges bewegt. Das zeigt sich daran, dass wir anfangs viel Gegenwind erfahren haben. Als wir 2019 Investoren suchten, stiessen wir auf Skepsis: «Was für eine seltsame Idee, braucht man das wirklich?» Doch seit unserem Start im Jahr 2021 bewährt sich unser Konzept. Im Jahr 2023 führten wir zudem ein Crowdinvesting durch und gewannen fast 1400 weibliche Investorinnen. Kann man da wirklich behaupten, dass Frauen und Finanzen kein Thema sind?

Zudem ist in ganz Europa das Thema Frauen und Finanzen in den Fokus gerückt. Sogar Banken starten jetzt Social-Media-Kampagnen, die speziell auf diese Thematik abzielen. Das alles geschah alles nach unserer Initiative. Wir haben es geschafft, Frauen erstmals auf eine Weise anzusprechen, die Finanzen nicht einfach als oberflächliches «Pink-Washing» erscheinen lässt. So sprechen wir offen darüber, warum Frauen oft denken, dass Finanzen sie nichts angehen. Häufig sind es Vorbehalte, die tief in alten Glaubensgrundsätzen verankert sind. So können Frauen erst seit 37 Jahren ein eigenes Bankkonto eröffnen und erleben bei Bankgesprächen immer noch, dass sie nicht als ernstzunehmende Partnerinnen wahrgenommen werden. All das thematisieren wir – und das hat bereits einen starken Einfluss auf den Finanzplatz Schweiz sowie auf das Selbstverständnis der Frauen.

Welchen Mythos rund um Frauen und Finanzen hätten Sie gerne für immer aus der Welt geräumt?
Dass Menschen, die Teilzeit arbeiten, weniger leistungsfähig sind. Tatsächlich sind sie oft effizienter, da sie ihre Zeit sehr gezielt nutzen. Zwar mögen zwei Teilzeitkräfte etwas teurer sein als eine Vollzeitkraft, aber sie bieten auch mehr Flexibilität, decken Krankheitsausfälle ab und sind oft hoch motiviert. Es sollte deshalb möglich sein, Teilzeit zu arbeiten, solange man gute Gründe dafür hat. Zum Beispiel, wenn man schulpflichtige Kinder hat oder einen Partner, der Betreuung benötigt. 

Warum tun gerade wir Schweizerinnen und Schweizer uns so schwer mit der Teilzeitarbeit?
Wir haben eine hohe Produktivität. Das ist gut so, setzt die kommenden Generationen aber enorm unter Druck, die Babyboomer ersetzen müssen, während die Arbeit und das Privatleben oft schwer vereinbar sind. Wir unterstützen junge Mütter viel zu wenig, und es überrascht nicht, dass sich viele gegen Kinder entscheiden, wenn diese zur Armutsgefahr werden könnten. Es ist an der Zeit, mehr Unterstützung zu bieten und die Vorurteile gegenüber Teilzeitarbeit abzubauen.

Nadine Jürgensen

Nadine Jürgensen ist COO der Plattform «ellexx», Anwältin und langjährige Politikjournalistin. Sie ist eine einflussreiche Stimme für politische Gleichberechtigung in der Schweiz und zudem Co-Präsidentin der Bewegung «WE/MEN, Männer und Frauen zusammen für mehr Gleichberechtigung in der Öffentlichkeit». Als Beirätin unterstützt sie das Team von «Tadah» sowie den «Conscious Influence Hub».
ellexx.com

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